Du befindest dich hier: Home » News » „Boykott bringt leider nichts“

„Boykott bringt leider nichts“

Foto: 123rf

Heute beginnt die umstrittene Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Der Sportjournalist Ronald Reng erklärt, wie er zu einem WM-Boykott steht und wer für ihn als Favorit ins Rennen geht.

Tageszeitung: Herr Reng, werden Sie die Fußball-WM in Katar verfolgen?

Ronald Reng: Wenn Daichi Kamada und Mario Götze spielen, schaue ich immer zu. Jetzt wissen Sie auch schon, wessen Fan ich bin: Eigentlich interessiert mich nur Eintracht Frankfurt und ihre Spieler, selbst wenn Nationalteams spielen. Falls Ihre Frage aber darauf anspielte, ob man die WM durch Nicht-Schauen boykottieren sollte, wie es viele deutsche Fans fordern: Das bringt leider nichts. Weil es nicht ins Gewicht fällt. Die letzte WM, 2018, sahen weltweit 3,5 Milliarden Menschen. Ob in Westeuropa nun ein oder zwei Millionen weniger zuschauen, wird niemand spüren. Diese WM verdient Protest, aber es bräuchte andere Maßnahmen als einen Fernsehboykott.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel wäre es wirksam gewesen, wenn die organisierten Fangruppierungen europaweit einen Reiseboykott initiiert hätten. Eine WM ohne echte Fans in den Stadien wäre leblos gewesen. Ich lese aber, dass allein der Deutsche Fußball-Bund 35.000 Tickets abgesetzt hat.

Was erwarten Sie sich von dieser Weltmeisterschaft?

Ich erhoffe mir, dass es so eine WM wie diese nie mehr geben wird – eine WM, die mutmaßlich durch schamlose Bestechung im Exekutiv-Komitee der FIFA an ein Land vergeben wurde, das katastrophale Bedingungen für eine Ausrichtung bietet. Nicht genug Unterkünfte, viel zu hohe Hotelpreise, keinen nachhaltigen Bedarf für die Stadien. Und jetzt habe ich noch gar nicht angefangen, über die Lebensbedingungen in Katar zu reden.

Vor allem in Deutschland steht im Vorfeld nicht das Sportliche, sondern die Debatte rund um die Menschenrechte vor Ort, die fragliche Vergabe und die vielen Toten auf den Baustellen im Fokus. War eine solche Kontroverse in dieser Intensität zu erwarten?

Absolut. Zum einen lieben Deutsche moralische Diskussionen. Zum anderen sind die Mängel des WM-Ausrichters diesmal einfach zu groß. Es stimmt ja nichts an dieser WM. Sie haben es angesprochen: Katar ist ein ultrareiches Land, das Arbeitern nur 2,55 Euro die Stunde für den Bau der Stadien zahlte. Und dann haben wir einen Fußball-Weltverband, der sich vehement wehrte, als Katar die Bierstände in den Stadien aus der Sicht schaffen wollte – der aber der dänischen Nationalelf verbietet, auf den Trainingsshirt den Slogan „Menschenrechte für alle“ zu tragen.

Kritisiert wird auch, dass die WM mitten im Winter stattfindet. Kann das gutgehen? Wird sich so etwas womöglich wiederholen?

Aber auf der südlichen Welthälfte findet die WM nun erstmals im Sommer statt. Das vergessen wir in unserer eurozentrischen Sicht oft. Denn das ist doch schön: Dass fußballbegeisterte Nationen wie Argentinien oder Australien nun auch einmal die WM bei Gartenpartys genießen können.

Kann man damit rechnen, dass sich Verbände und Spieler bei der WM klar zu den Menschenrechtsverletzungen und den vielen Toten auf den WM-Baustellen positionieren?

Das wird spannend, eigentlich spannender als die Frage, wer Weltmeister wird. Denn die FIFA versucht es ja strikt zu verhindern. Aber ich bin mir sicher, es wird – zumindest symbolische – Aktionen einiger Teams geben.

Kommen wir zum Sportlichen: Wer geht für Sie als Favorit in diese WM?

Brasilien. Ich weiß, ein langweiliger Tipp, zum Gähnen. Aber es spielt nun mal derzeit niemand besser.

In Südtirol gibt es auch viele Deutschland-Fans. Wie weit schaffen es Manuel Neuer und Co.?

Können Sie mich das nicht nach Ende des Turniers fragen? Eine hochbegabte Mannschaft, die bislang deutlich unter ihren Möglichkeiten blieb. Ihr ist das Beste und das Schlechteste zuzutrauen.

Wer hat das Zeug zur Überraschungsmannschaft?

Wales. Eine Mannschaft mit wahnsinnig intensivem Spiel und diesem unerschütterlichen Glauben eines frechen Außenseiters, die Welt einreißen zu können. Aber schauen Sie sich auf jeden Fall Daichi Kamada in der japanischen Nationalelf an. Er spielt, wie es Muhamad Ali predigte: Flieg wie ein Schmetterling, stich zu wie eine Biene.

Italien fehlt erneut bei der WM. Für viele ist bereits das ein Grund, die Veranstaltung nicht zu verfolgen. Glauben Sie, in Südtirol könnte dennoch WM-Stimmung aufkommen?

Ich denke, es wird in Südtirol eher eine WM, die man still zuhause schaut. Aber Fußballstimmung wird es geben – immer samstags, wenn während der WM der FC Südtirol im Drususstadion spielt. Die bemerkenswerten Leistungen der Mannschaft in der Serie B haben tatsächlich eine wunderbar entspannte Euphorie ins Drususstadion gebracht.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (9)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • brutus

    …ich teile die Meinung des Herrn nicht! Am meisten Geld wird bei den Fernsehrechten, mit den dazugehörigen Werbebannern, gescheffelt! …wenn diese nicht stimmen wird die FIFA nächstes Mal kleinere Brötchen backen müssen!
    Apropos FIFA ; da sie Inder Schweiz als gemeinnütziger Verein eingetragen ist, zahlt sie nicht einmal Steuern! …ach ne… 17 Millionen zahlt sie freiwillig, um die bei den Schweizer Politiker ruhig zu stellen!

  • prof

    Na ja,die FIFA zusammen mit der WADA ein ??????? ( schreibe nichts weiteres sonst wird es wieder gelöscht)interessant ist nur,daß beide in der Schweiz ihren Hauptsitz haben.

  • placeboeffekt

    Als der deutsche Wirtschaftsminister Habeck in Katar für Gas bettelte, hörte man keine Pieps von den Moralaposteln. Das schrecklich umweltschädliche Gas vom schrecklich menschenverachtenden Regime kaufte man nur zu gerne, ganz zu Schweigen vom Öl, aber beim Fussballspielen entdecken die üblichen Heuchler und Schreiberlinge plötzlich ihr Gewissen.

  • tirolersepp

    Wem die WM nicht passt soll nicht mitspielen, es wird niemand gezwungen !

    Die Welt ist nicht heilig – ohne Menschenrechtsverletzungen – leider !!!

  • andreas1234567

    Hallo nach Südtirol,

    natürlich schau ich mir das an weil ich es auch bper Fwernsehgebühr ezahlt habe.
    In D haben die Fernsehanstalten mit hunderten Millionen den Fifa-Wanst gestopft und sind mit einer ganzen Legion ins warme Katar gereist, das wird bei ORF und Rai nicht anders sein.
    Gleichzeitig meinen sie den Moralprediger geben zu müssen, das ist ein Benehmen welches Pharisäer für die Heiligsprechung qualifiziert.

    Die kunterbunten Berufsempörer sind sowieso grundsätzlich zu ignorieren.

    Serbien gegen Iran wäre mein Wunschfinale dann wüsste ich der Herrgott schaut auch zu bei diesem Irrsinn.
    Oder Costa Rica gegen Tunesien..

    Südtiroler in meiner Reiseregion werden das Geschehen mit dem üblichen Interesse verfolgen also irgendwo zwischen der täglichen Statistik aus Peking über umgefallene Reissäcke und dem Tagespreis für italienische Nationalfahnen in den Grössen 200×80 und 500×100

    Auf Wiedersehen dort wo Watten der wahre Nationalsport ist

  • klum

    Die beiden Finalmannschaften sollten dann einfach nicht auf das Spielfeld bevor Katar nicht den fälligen Schadenersatz für alle Toten, Verletzen (in der Bauphase) und deren Familien zusichert.

  • nobodyistperfect

    Was für ein Kommentar, stell dir vor es ist WM und keiner geht hin, anscheinend hat man als Journalist nicht die Hausaufgaben gemacht, sondern sich vom Geld blenden lassen. Wahrer Journalismus ist Recherche und nicht crtl+ copy.

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen