Nobelpreisträgerin Jelinek
„Die Sprache von der Leine lassen“ nennt Claudia Müller ihren sehenswerten Dokumentarfilm im Untertitel. „Female Views“ laden dazu ein.
von Renate Mumelter
2004 bekam sie den Literaturnobelpreis. Damit hatten wohl vor allem diejenigen nicht gerechnet, die Elfriede Jelineks Texte (und damit auch sie) nicht mochten. Alle aber fühlten sich dazu befugt, irgendetwas über sie zu sagen, Jörg Haider zum Beispiel. „Ich denke, dass sie nur deshalb berühmt geworden ist, weil sie gegen Österreich gewettert hat“, dekretierte der selbsternannte Literaturexperte und FPÖ-Politiker in die Kamera. Sie habe nur Hass entwickelt, „und damit hat das für mich keine literarische Wertigkeit“.
Der von vielen verehrte „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki wunderte sich in einem Literarischen Quartett des ORF darüber, dass sich eine Autorin jeden Morgen hinsetzt, um zu beschreiben, „wie eine Frau von einem Mann gequält wird, was ihr angetan wird“. Es ging um das Jelinek-Buch „Lust“. In einem Quartett sitzen erfreulicherweise vier Menschen und Sigrid Löffler schaffte es, Reich-Ranicki in die Schranken zu weisen und über das aufzuklären, was Jelineks Absicht war.
Jelineks Literatur
Das sind nur zwei kleine Beispiele aus Claudia Müllers Film „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“, der beim Filmfest München Premiere hatte und erst kürzlich auf der Viennale gezeigt wurde. Jetzt kommt er nach Bozen, zunächst auf Einladung von den Female Views für einen Abend im Filmclub, danach sollte er weiter im Programm laufen.
Michael Hanekes „Die Klavierspielerin“ wäre eine schöne Ergänzung dazu. Der preisgekrönte Film mit Isabelle Huppert und Annie Girardot hat den gleichnamigen Jelinek-Roman als Ausgangspunkt. Der Roman erschien 1983, der Film kam 2001 heraus. Elfriede Jelinek sagt dazu, es sei ihr persönlichster Roman. Sie habe sich anders als die meisten Schreibenden erst an dieses persönliche Schreiben annähern müssen.
Sie gilt als „Wunderkind, Skandalautorin, Vaterlandsverräterin, Feministin, Modeliebhaberin, Kommunistin, Sprachterroristin, Rebellin, Enfant terrible, Nestbeschmutzerin, geniale, verletzliche Künstlerin“. Jelineks Texte erfordern wirkliches Lesen. Bequem sind sie nie.
Den Nobelpreis bekam sie für „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“.
Claudia Müllers Stil
Die Regisseurin hatte sich mit diesem Film viel vorgenommen, denn nichts ist schwieriger als einen Film über Sprache zu drehen, die zwar bildhaft ist, aber nicht unmittelbar Bilder liefert. Zu Elfriede Jelinek gibt es Unmengen von Material, damit zu arbeiten ist eine Herausforderung. Aber Claudia Müller hat Erfahrung mit Porträts, mit Kunst, mit Philosophie und Literatur. Sie hat aus der Fülle ein Porträt geflochten, das eine gute Vorstellung von Jelinek und ihren Texten bietet und die Lust weckt, ihre Texte wieder oder erstmals in die Hand zu nehmen.
Claudia Müller zeigt nicht nur das Porträt dieser vielschichtigen Persönlichkeit sondern gleichzeitig ein Porträt jener Jahrzehnte, die Elfriede Jelinek wie alle anderen Frauen dieser Generation geprägt haben. Unpolitisch ist da nichts. Jelinek war immer eine, die sich einmischt.
Der Film wird auch in Brixen (21.11.), Schlanders (23.11.) und Bruneck (24.11.) zu sehen sein.
Filmtipps
Für alle, die mitreden können möchten gäbe es im Filmtreff Kaltern am 12. und 13. November noch Hochkoflers „Joe – Der Film“.
Ebenfalls am 12. und 13. November in Kaltern Jafar Panahis „No Bear“. Der Iraner drehte bisher trotz Berufsverbots weiter. Jetzt aber sitzt er wegen Propaganda gegen das Regime im Evin Gefängnis in Teheran. Deshalb konnte er heuer den Spezialpreis der Jury in Venedig nicht entgegennehmen.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.