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„Wir haben klare Visionen“

Sven Knoll

Warum strebt die Süd-Tiroler Freiheit keine Regierungsverantwortung an? Warum sieht die STF nicht endlich ein, dass Österreich ein gutes Verhältnis zu Italien wichtiger ist als die Selbstbestimmung für Südtirol? Fragen an Sven Knoll.

Tageszeitung: Herr Knoll, die Süd-Tiroler Freiheit ist die einzige militante Oppositionspartei im Land. Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, Regierungsverantwortung zu übernehmen?

Sven Knoll: Militant würde ich nicht sagen. Wir haben klare Visionen und Ideale. Das ist bei uns wichtiger als die Frage, ob man irgendwann Regierungsverantwortung übernehmen wird. Man hat in der Politik die Möglichkeit mitzugestalten, aktiv Vorschläge einzubringen und die Regierung in irgendeine politische Entscheidungsrichtung zu drängen. Man muss nicht selbst in der Regierung sitzen, und das unterscheidet uns auch von den anderen Oppositionsparteien. Kein STF-Mitglied tritt bei den Wahlen an, weil er Landeshauptmann werden will.

Sie haben sich also damit abgefunden, nie regierungsfähig zu sein?

Es geht nicht ums Abfinden. Regierungsverantwortung zu übernehmen, ist nicht unser primäres Ziel. Unser Ziel ist, politische Botschaften unterzubringen. Außerdem: Wenn man nicht die alleinige Regierungsmehrheit hat, dann findet man sich in einer Koalition wieder, und da nutzen die schönsten Ideale nichts, wenn der Regierungspartner sie nicht mitträgt. Schauen Sie sich hier in Südtirol die Lega an: Wo, bitte, ist die Handschrift der Lega in der Landesregierung? Oder schauen Sie nach Österreich: Wo finden Sie in der Bundespolitik Grünes?

Also haben Sie sich damit abgefunden, nie Landesrat zu werden?

Das ist nie mein Ziel gewesen. Ich will ein politisches Ziel erreichen. Der Landtag bietet uns in dieser Hinsicht eine Bühne. Dort können wir unsere Forderungen legitimieren, wenn du nur außerparlamentarisch bist, bekommt du zur Antwort: Was willst du? Du bist nicht gewählt! Auch aus der Opposition hat man die Möglichkeit mitzugestalten.

Die STF bzw. ihre Vorgängerparteien und -Bewegungen sitzen seit 30 Jahren mit zwei, maximal drei Abgeordneten im Südtiroler Landtag und rufen nach Selbstbestimmung, die nie kommt. Ist dieses kümmerliche Dasein im politischen Schrebergarten nicht irgendwann frustrierend?

Natürlich ist es so, dass es in der Politik einen langen Atem braucht. Ich selbst bin ein sehr ungeduldiger Mensch, mir gehen viele Dinge viel zu langsam. Als ich 2008 in den Landtag gewählt wurde, war ich 28 und habe geglaubt, die Welt aus den Angeln heben zu können. In dieser Phase war die Eva (Klotz) eine gute Lehrmeisterin, weil sie hat immer gesagt: „In der Politik gehen manche Dinge schnell, manche Dinge langsam. Wichtig ist, dass immer jemand diesen politischen Weg weitergeht.“ Durch uns ist das Thema Selbstbestimmung immer präsent, und wenn der Moment kommt, dann sind wir vorbereitet. Wer weiß, was sich jetzt mit Giorgia Meloni entwickelt …

Was entwickelt sich?

Auch eine Entwicklung wie in England mit dem Brexit hätte vor fünf Jahren niemand für möglich gehalten. Das bedeutet: Man muss ein Ziel vor Augen haben, man muss auf den günstigen Moment vorbereitet sein. Diese Haltung gibt uns auch langfristig Glaubwürdigkeit, denn wenn man sich in der Politik stets danach richtet, wie der Wind bläst, wird man beliebig und kann jederzeit ersetzt werden. Schauen Sie sich die Eva an, sie wurde von Freund und Feind geschätzt, weil man wusste, dass sie eine gewisse politische Vorstellung hat und diesen Weg aus Überzeugung geht.

Die STF sieht sich als Bindeglied zwischen Südtirol und Österreich. Wenn man zurückblickt, etwa auf Ihre Forderung des Doppelpasses, dann hat Ihre Bewegung eigentlich nichts erreicht, von Österreich nichts bekommen … oder erinnern Sie sich an einen großen Aufriss?

Fairerweise muss man sagen, dass es der Doppelpass bis ins Regierungsprogramm geschafft hat. Der Doppelpass hätte am Montag im Ministerrat beschlossen werden sollen, aber am Samstag, zwei Tage zuvor, ist die Regierung gesprengt worden. Es haben also nur zwei Tage zur Umsetzung gefehlt. Man kann sagen: Pech gehabt, dumm gelaufen. Oder man kann sagen: Es war vielleicht nicht der richtige Moment, wir bleiben dran. Außerdem bestätigt die jetzige Entwicklung unsere Sorgen …

Sie meinen?

Meloni und ihre Regierung möchten die Autonomie in eine Territorialautonomie umwandeln. Und wenn sie jetzt sagt, alles soll auf den Status von 1992 gestellt werden, dann kann man das zweiseitig lesen …

… dass Rom uns das nehmen wird, was wir nach 1992 bekommen haben?

Richtig. Ich würde als Volkspartei jedenfalls vorsichtig sein und keinen Jubelchor anstimmen, denn Meloni & Co. haben durch ihre Worte und Taten in der Vergangenheit eindrucksvoll bewiesen, welcher Gesinnung sie sind. Der Doppelpass wird sicher wieder ein großes Thema. Italien selbst gibt allen ethnischen Minderheiten einen Doppelpass, warum soll Österreich den Südtirolern, die eine ethnische Minderheit in Italien sind, keinen Doppelpass geben?

Man hat ein bisschen den Eindruck, dass Österreich ein Auskommen mit Italien viel wichtiger ist als die Anliegen der STF …

Ein gewisser Pragmatismus wird sicher mit eine Rolle spielen. Und warum sollte sich Österreich in ein diplomatisches Hickhack mit Italien verstricken, wenn es in der Regierungspartei keine klare Linie gibt? Wir alle wissen, dass Arno Kompatscher bei jeder Gelegenheit in Wien angerufen und gebettelt hat: „Tut das mit dem Doppelpass nicht!“ Was hätte Wien in so einer Situation machen sollen? Hätte Wien den LH ignorieren sollen?

Im Grunde leben Sie von der STF vom Heimatpathos, von der Erinnerung?

Von der Erinnerung, aber nicht im Sinne von Rückwärtsschauen, sondern wir wissen, woher wir kommen, und wir wissen, wohin wir wollen. Die große Gefahr in Südtirol ist, dass man die Identität verliert. Die Regierungspartei …

… die SVP …

… die SVP rückt immer weiter von der Identitätsbildung ab. Wenn man als Minderheit überleben will, dann muss man Tag für Tag ums kulturelle Überleben kämpfen. Wer verteidigt in Südtirol die Autonomie, wenn die SVP das nicht mehr tut?

Woraus folgern Sie, dass die SVP den Kampf um die Identität aufgegeben hat?

Weil es dafür klage Signale gibt. In der Europaregion könnte man so viel machen! Es zwingt uns beispielsweise niemand, im Tourismus die Tolomei-Namen zu verwenden. Warum geht man im Tourismus nicht her und verwendet nur mehr die historischen Namen und wirbt offensiv damit – auch in Italien …

Wie kann man jungen SüdtirolerInnen, die in Italien geboren und vollgefressen sind, weismachen, dass es ihnen in Österreich besser gehen würde? 

Die Frage der Identität ist keine finanzielle Frage. Wenn es Italien finanziell besser ginge, dann wären wir bereit, die Identität aufzugeben? Wir haben es mit einer Frage der Zukunft zu tun: Wir haben eine Autonomie, weil wir eine österreichische Minderheit im italienischen Staat sind. Wenn wir damit anfangen, uns selbst in Frage zu stellen, welche Rechtfertigung haben wir dann noch für die Autonomie?

Kommen wir zu Italien: Die STF hat der Staat Italien nie interessiert. Glauben Sie nicht, dass es an der Zeit wäre, dass Ihre Bewegung diese kompromisslose Staatsfeindlichkeit ablegt und endlich sagt, was man von Italien will?

Das haben wir immer klar zum Ausdruck gebracht: Wir wollen selbst darüber abstimmen, ob wir zu Italien gehören wollen oder nicht. Es ist keine Demokratie, wenn man zu etwas gezwungen und nicht gefragt wird. Ich habe erst jüngst in meinen Recherchen einen familiären Ansatz entdeckt: Im Zuge einer Recherche habe ich herausgefunden, dass der Bruder meiner Oma in Moena im Fassatal gefallen ist. Jahre später, 1931, hat man ihn aus dem Grab in Vigo di Fassa herausgenommen und seine sterblichen Überreste ins Beinhaus nach Rovereto gebracht. Dort liegt er als Francesco, obwohl er der Franz aus Saltaus war. Man hat diesem Mann also nicht nur Identität, sondern auch die Würde genommen. So ein Staat ist nicht mein Staat.

Kommen wir zurück zu Meloni …

Ich frage Sie: In welchem anderen Staat wäre es möglich, Mussolini als den besten Staatsmann der letzten 50 Jahre zu bezeichnen? Oder ein (Ignazio) La Russa sammelt Mussolini-Devotionalien und sagt zu Corona-Zeiten, anstatt die Hände zu schütteln sollte man sich mit dem römischen Gruß grüßen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Da sagt ein Politiker, man sollte aus Sicherheits- und Hygienegründen den römischen Gruß auspacken – und kein Mensch schreit auf! Mehr noch: Die SVP geht her und enthält sich der Stimme. Das ist Opportunismus pur.

Sie wollen also weiterhin mit den Ihren in einer Blase der Folklore und der Nostalgie weiterarbeiten?

Was heißt Blase? Schauen Sie in die Geschichte: Wer heute Utopist ist, ist morgen oft Realist.

Italien hat mit Giorgia Meloni eine neue Regierungschefin, erstmals bekleidet eine Frau dieses Amt. Befürchten Sie, dass sich am Ist-Zustand Südtirols bzw. an dem derzeitigen Autonomiestatus etwas verändern könnte?

Ja. Weil ich glaube, dass der ganze Staat zentralistisch ausgerichtet wird. Südtirol spielt in den Parlamentskammern numerisch keine Rolle mehr. Und die Autonomiefeindlichkeit wird mit jeder größeren Krise in Europa zunehmen. Meloni und Konsorten haben bereits zu verstehen gegeben, dass es in Italien nur ein Gesetz gibt: nämlich Italien. Das ist, zusammengefasst, Melonis Botschaft. Der große Unterschied zu früher ist, dass jetzt ein Alessandro Urzì in Rom sitzt, er kann perfekt Deutsch, und innerhalb der Verwaltung kann er an den Hebeln drehen und uns Schwierigkeiten machen.

Es hat ja seitens der neuen Regierung Signale an Südtirol gegeben, die dann die SVP veranlasst haben, sich in den Vertrauensabstimmungen zu enthalten. Was sagen Sie zum Verhalten der SVP?

Lernen wir doch aus der Geschichte: Der italienische König hat 1920 hoch und heilig versprochen, dass die neuen Gebiete ihre fundamentalen Rechte behalten und erhalten würden. Meloni sieht uns nicht als Minderheit. Und sie wird alle Entscheidungen gegen Südtirol als Maßnahmen im Interesse des Staates verpacken. Die große Frage ist dann: Wer verteidigt unsere Rechte auf internationaler Ebene, wenn wir in Europa so viele Probleme haben? Wer steht auf und sagt zu Italien: „Ihr dürft die Minderheitenrechter der Südtiroler nicht schmälern?“ Gäbe es den Doppelpass, dann hätten wir dieses Problem nicht.

Stichwort Signale: Die Signale, die vom österreichischen Außenminister Schallenberg in Richtung seines neuen italienischen Amtskollegen Tajani ausgesendet wurde, sind klar auf Autonomie und nicht auf Selbstbestimmung ausgerichtet. Noch einmal: Wann sehen Sie und ihre STF endlich, ein, dass Österreich ein gutes Verhältnis zu Italien und die Autonomie viel wichtiger sind als die Selbstbestimmung?

Österreich hat immer gesagt: Wenn Südtirol die Selbstbestimmung will, dann muss Südtirol dies selbst sagen und fordern. Österreich kann nicht hergehen und sagen: Wir wollen die Selbstbestimmung für Südtirol. Es wird uns Südtirolern also nicht erspart bleiben, die Selbstbestimmung selbst zu fordern.

Interview: Artur Oberhofer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (10)

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  • steve

    Niemand in Europa will die Verschiebung von Grenzen, weil das nur Chaos stiften würde. Nicht einmal das Völkerrecht sieht Selbstbestimmung im Sinne von Sezession vor, sondern lediglich im Sinne von größtmöglicher Autonomie.
    Abgesehen davon machen Abspaltungen im vereinten Europa auch keinen Sinn!

    Ich finde die Partei, solange sie im Sinne von Eva Klotz das eine Ziel verfolgt und nicht wie unter Sven Knoll sonst auch noch überall ihren Quatsch dazugeben muss, dennoch durchaus sinnvoll, da sie ganz einfach die Verhandlungsposition der Svp gegenüber Rom stärkt.

  • prof

    Herr Knoll hat klare Visionen,daß ich nicht lache.
    Die Vision von Knoll ist einzig und allein,hier in Italien abzukassieren,denn in Österreich wäre er als Politiker mit seinen Visionen eine Null-Nummer.

  • artimar

    Allein, wenn wer dieses Aussage liest, erkennt hier die offensichtliche Selbstwidersprüchlichkeit des eigenen Anspruchs. Denn, wenn die STF tatsächlich davon überzeugt ist, die SVP sei heute nicht mehr die Ansprechpartnerin für Österreich und die Vertreterin der deutschen und ladinischen Minderheitenbevölkerung in Italien, wieso will sie dann diese dann nicht ablösen, beerben, um Südtirol vor weiteren Schaden zu bewahren?

  • pingoballino1955

    Sven und sein „Kasperletheater“

  • vinsch

    Herr Knoll, dank Meloni dürfen umgeimpfte Ärzte wieder zurück zur Arbeit, Kinder sind ihre Masken los, auf uns wird keine Hetzjagd mehr betrieben, Impfzwang ist ebenfalls Geschichte …

    • heracleummantegazziani

      Frau Vinsch, schon wieder Ihre Märchen? Es hat nie einen Impfzwang gegeben. Pflicht und Zwang sind nicht dasselbe.
      Dass diese Entscheidung ein Geschenk an die No-Vax-Bewegung ist, deren Stimmen man mit diesem Versprechen geködert hat, ist ihnen klar? Von der Maskenberfreiung für Sanitätspersonal und der Aufhebung der 100 Euro Strafen hat man schon mal Abstand genommen…

  • erich

    Wir haben klare Visionen, die hat die STF schon seit 50 Jahre, nur sind dies Luftblasen alle geplatzt, wie der Doppelpass

  • dn

    Mein Ziel ist es, nicht in Italien alt zu werden, auch nicht in Südtirol. Die meisten Kommentare hier beweisen mir, dass ich richtig liege.

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