Du befindest dich hier: Home » News » Melonis Irrtümer

Melonis Irrtümer

SVP-Senatorin Julia Unterberger zerpflückt in einer vielbeachteten Rede die Frauen- und Gesellschaftspolitik von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

von Matthias Kofler

Mittwochabend im Palazzo Madama: Julia Unterberger nimmt gerade zur Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Stellung. In den Reihen von Fratelli d’Italia herrscht Aufregung. Einige Senatoren protestieren lautstark. Die FdI-Leaderin sieht sich gezwungen, ihre Gefolgsleute mit einem Handzeichen zum Schweigen zu bringen. Julia Unterbergers Rede wird seitdem im Netz gefeiert. Der SVP-Senatorin ist es gelungen, die Frauen- und Gesellschaftspolitik der neuen Regierung zu zerpflücken und die Wogen innerhalb der eigenen Partei zu glätten. Zahlreiche Frauen (und auch Männer) haben es nicht goutiert, wie SVP-Exponenten in den vergangenen Tagen Meloni hofiert und zur „bescheidenen Staatsfrau“ emporgehoben hatten. Einige sollen sogar mit dem Parteiaustritt gedroht haben.

Sie spreche hier als Südtirolerin, als fortschrittliche und feministische Frau, also aus einer Position heraus, „die mit der Ihren nicht übereinstimmt“, eröffnet die SVP-Senatorin ihre Stimmabgabeerklärung. Melonis Regierungserklärung habe ihr nicht missfallen. Zugegeben, es habe sich sich um eine rechtskonservative, aber in Ton und Form akzeptable Rede gehandelt. „Ich hoffe, dass die Meloni der Vox-Kongresse der Vergangenheit angehört“, sagt die Chefin der Autonomiegruppe. Anschließend weist Unterberger auf einige Widersprüche in der Rede der FdI-Leaderin hin.

„Gestern haben Sie nicht weniger als 15 Mal auf den Begriff der Freiheit verwiesen. ,Seid frei‘, rieten Sie den jungen Leuten, ,denn im freien Willen liegt die Größe des Menschen.‘ Sehr richtig. Aber freie Entscheidungen erfordern eine Politik, die individuelle Entscheidungen respektiert, ob es sich nun um den Abbruch einer Schwangerschaft oder um die Beendigung des eigenen Lebens handelt. Eine Politik, die an alle Familien glaubt und nicht nur an die, die von einem Mann und einer Frau gegründet werden. Freiheit bedeutet, anders sein zu können und so akzeptiert zu werden, wie man ist. Wenn Sie weiterhin von einer italienischen Nation sprechen und sich damit auf ein Band des Blutes und der Kultur beziehen, schließen Sie all diejenigen aus, die in diesem Land leben, ohne ein solches Band zu haben.“

Dafür erntet Unterberger tosenden Applaus aus der linken Hemisphäre des Plenarsaals. Die Politikerin unterstreicht, dass die Südtiroler italienische Staatsbürger seien, die der deutschen Kultur angehörten und in ihrer Vielfalt respektiert und akzeptiert werden wollten. Anschließend geht sie auf Melonis Würdigung der Frauen ein, die für sie ein Vorbild waren.

„Ich hätte hinzugefügt, dass Sie, wenn Sie heute Premierminister sind, dies vor allem dem Kampf der Feministinnen für die Anerkennung selbst der grundlegendsten Rechte zu verdanken haben. Feministinnen, die bekämpft und lächerlich gemacht wurden, so wie Sie in ihrer Rede das Engagement für eine frauengerechte Sprache lächerlich gemacht haben. Glauben Sie wirklich, dass die Sprache nicht die Realität bestimmt, dass sie keine Stereotypen verstärken oder verändern kann? Ich habe nie die Abneigung von euch rechten Frauen verstanden, eure Weiblichkeit auch in der Sprache zu zeigen. Glauben Sie wirklich, dass das Weibliche zweitklassig ist, wie ich einen rechten Kollegen sagen hörte? In meiner Kultur ist es undenkbar, dass eine Frau sich über das Männliche definiert. Haben Sie schon einmal vom Herrn Bundeskanzler Merkel gehört? Verzeihen Sie mir, aber ich werde mir erlauben, sie ,die‘ Präsidentin zu nennen.“

Unterberger entscheidet sich für Zuckerbrot und Peitsche: Zwar habe Meloni die „gläserne Decke“ durchbrochen. Allerdings könnte dies daran liegen, dass die Ministerpräsidentin die Regeln des männlichen Systems nie in Frage gestellt habe. Und beim Blick auf die geringe Zahl der Ministerinnen werde dieser Zweifel zur Gewissheit. Die Rechte der Frauen hätten mit Meloni zwar nichts zu befürchten hätten. Das sei aber nicht genug. Von einer Ministerpräsidentin hätte sie das größte Engagement für andere Frauen erwartet, so Unterberger.

Die SVP-Senatorin lobt sodann Melonis Bekenntnis zu Europa, zum transatlantischen Bündnis und zur Unterstützung der Ukraine. Sie hoffe, dass es ihr gelingen werde, die Pro-Putin-Stimmung ihrer Verbündeten zu besänftigen, sagt Unterberger. Positiv hebt die Autonomiegruppen-Chefin auch Melonis klare Botschaft gegen den Faschismus und die totalitären Regime hervor.

„Das war in der Vergangenheit leider nicht der Fall“, erinnert Unterberger an das Votum der Rechtsaußenpolitiker mit Orban gegen den Rest Europas. „Und dann müssen Sie Ihre Parteigenossen, vor allem die in Südtirol, über die neue Linie informieren. Sie haben die schlechte Angewohnheit, faschistische Denkmäler zu feiern und mit Phrasen wie ,Geht nach Österreich‘ oder ,Bringt die italienische Flagge an jedem Hof an‘ zu provozieren. Ein Verhalten, das für eine Bevölkerung, die während des Ventennio so sehr gelitten hat, nicht leicht zu verdauen ist.“

Ihre Enthaltung bei der Vertrauensabstimmung begründet Unterberger mit Melonis Ankündigung, die autonomen Standards von 1992 wiederherzustellen – ein „starkes Zeichen“, das man nicht ignorieren könne. Die SVP-Politikerin verschweigt aber nicht die „vielen Zusammenstöße in der Vergangenheit“, die es mit Alleanza Nazionale und den „Brüdern Italiens“ gegeben habe. „Ihr seid Nationalisten, wir sind eine sprachliche Minderheit, die nur dank der Autonomie existieren kann“, schließt Unterberger ihre Rede.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (40)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.

2025 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen