„Die Besten heißen Hans“
Nach dem Sensationssieg gegen Parma ist in Südtirol endgültig das FCS-Fieber ausgebrochen. Das weiß-rote Wunder ist ein akribisch geplantes Wunder.
von Artur Oberhofer
Es waren Gänsehaut-Momente: Als Schiedsrichter Matteo Gualtieri am Samstag nach 94 Spielminuten das Spiel abpfiff, erhoben sich die FCS-Fans in dem mit 5.100 Zuschauern restlos ausverkauften Drususstadion – und es gab zehn Minuten lang Standing Ovations für die weiß-roten Helden, die einen der großen Anwärter auf den Aufstieg in die Serie A, den AC Parma, mit 1:0 niedergerungen hatten.
In Südtirol ist jetzt endgültig das FCS-Fieber ausgebrochen. Mit fünf Siegen und zwei Unentschieden in den letzten sieben Spielen ist der FC Südtirol in der Tabelle in schwindelnde Höhen emporgeklettert. Das weiß-rote Wunder hat viele Gesichter: Da ist einmal Pierpaolo Bisoli, der Trainer, der den FCS nach der Niederlagen-Serie übernommen und „verwandelt“ hat. 17 Punkte in sieben Spielen: das hätten die kühnsten Optimisten nicht erwartet. Wenn man die Spieler des FCS fragt, was Bisoli anders macht als sein Vorgänger Lamberto Zauli, dann sagen sie unisono: „Bisoli ist total verrückt.“
Soll heißen: Der Trainer versteht es, die Mannschaft bis in die Haarspitzen zu motivieren, er weiß, wie man Mannschaftsgeist entwickelt und pflegt. Bisoli lebt den Fußball, er ist fast schon manisch in der Analyse. Und vor allen Dingen kann Pierpaolo Bisoli ein Spiel lesen. „Er sieht Details, die sonst keiner sieht“, sagt Dietmar Pfeifer, der Geschäftsführer des FCS.
Am Samstag gegen Parma hat Bisoli den linken Verteidiger Tommaso D’Orazio in der 27. Spielminute vom Feld genommen, nicht nur weil er gelb-verwarnt war, sondern weil Parma auf D’Orazios Seite leichtes Spiel hatte.
Nur wenige Trainer trauen sich, einen Spieler in der ersten Hälfte rauszunehmen.
Auch Raphael Odogwu hat eine spektakuläre Entwicklung hinter sich.
Keiner im Verein sagt es offen, aber der 31-jähriger Nigerianer ist beim FC geblieben, weil er unverkäuflich war. Weil ihn niemand wollte.
Pierpaolo Bisoli hat aus dem 1,88 Meter langen Raphael Odogwu einen Stürmer gemacht, der jetzt einen Marktwert von rund 300.000 Euro hat, doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Bisoli stellt Odogwu als Mittelstürmer auf. Odogwu bindet immer zwei, drei Gegenspieler an sich, er ist ohne Foul nicht vom Ball zu trennen und schafft als „Turm“ in der Mitte freie Räume für die schnellen Offensivspieler des FCS auf den Außenbahnen.
Bisoli nennt Odogwu ein „verkanntes Genie“.
Ein weiterer Spieler, der beim FC Südtirol voll eingeschlagen hat, ist Hans Nicolussi-Caviglia.
Der Aostaner, von dem FCS-Miteigner Hans Krapf sagt, dass „die, die Hans heißen, immer die Besten“ seien, wird in der nächsten Saison in der Serie A spielen.
Der 22-jährige Mittelfeldspieler, der nur durch einen Kreuzbandriss im linken Knie zurückgeworfen wurde, hat alle italienischen Jugend-Nationalmannschaften durchgemacht – von der U17 bis zur U21. Hans Nicolussi-Caviglia hatte im Dezember 2019, bevor er sich schwer verletzte, einen Marktwert von 1,6 Millionen Euro.
Pierpaolo Bisoli setzt Nicolussi-Caviglia als Spielmacher vor der Verteidigung ein, seine millimetergenauen Pässe in die Spitze sind Fußball vom Feinsten. Und gegen Parma hat der Blondschopf ein Traumtor erzielt. „Das Schönste, das ich bisher geschossen habe“, sagte Nicolussi-Caviglia selbst.
Die Transferrechte von Hans Nicolussi-Caviglia gehören Juventus Turin.
Nach den bisher gezeigten Leistungen ist die Nr. 14 des FCS in der Serie B nur auf Durchzug. Er hat ohne Zweifel die Klasse und den Charakter, um in der höchsten Spielklasse zu spielen.
Der wichtigste Einkauf des FC Südtirol – und hier zeigt sich auch die Cleverness des weiß-roten Sportdirektors Paolo Bravo – war jener von Andrea Masiello. Der fast 300-fache Serie-A-Spieler war wegen eines Wettskandals gesperrt.
Das war den FCS-Verantwortlichen wurscht. „Man hat mit ihm Klartext gesprochen“, heißt es dazu aus der Vereinszentrale.
Masiello hat die Chance, die sich ihm bot, genutzt. Er ist auf dem grünen Rasen der unumstrittene Chef. Mit seiner Routine, mit seiner Abgeklärtheit und mit seiner stoischen Ruhe ist er die zentrale Figur im Mannschaftssystem des FCS. Wenn der FCS jetzt eine der stabilsten Abwehrreihen der gesamten Liga hat, ist dies vor allen Dingen Masiellos Verdienst.
Der Trainer und auch die Vereinsbosse werden auch nach dem Sieg gegen Parma nicht müde zu warnen: „Jetzt nur nicht überheblich werden.“ Irgendwann, das sagte Pierpaolo Bisoli am Samstag, werde diese Wahnsinnsserie auch reißen. „Dann wird sich zeigen, ob wir E… haben“, fügte Bisoli hinzu.
„Nur nicht überheblich werden“, mahnt auch FCS-Manager Dietmar Pfeifer.
Dass der FCS Sensationelles leistet, das sagen auch die nackten Zahlen. Ein einziger Spieler des AC Parma, der Argentinier und ehemalige Inter-Profi Cristian Ansaldi, hat einen Marktwert von 12 Millionen Euro.
Das ist in etwa das gesamte Jahresbudget des FC Südtirol.
Ansaldi verdient bei Parma 1,5 Millionen Euro pro Jahr, der bestbezahlte Profi beim FC Südtirol bekommt 120.000 Euro.
Apropos Geld: Auch die Manager- und Gesellschafterstruktur ist mit dem Aufstieg des FCS in die Serie B gewachsen. Nicht nur monetär, sondern auch qualitativ. Mit Gerhard Comper, Walter Pardatscher und Carlo Costa sitzen jetzt drei erfahrene und bestens vernetzte Manager in der Kommandozentrale, die wissen, wie man ein Unternehmen führt.
Die Standing Ovations vom vergangenen Samstag beweisen indes, dass das Projekt FC Südtirol endlich Wurzeln geschlagen hat. Und dass die Step-by-Step-Philosophie der Verantwortlichen beim FCS die richtige war.
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