Grüne Fehler
Die Grünen enttäuschen bei den Parlamentswahlen mit einem mickrigen Ergebnis von 8 Prozent. Welche strategischen Fehler sich die Ökopartei geleistet hat – und warum die „grüne Welle“ nicht auf Südtirol überschwappen will.
von Matthias Kofler
Vor einem Monat hat die Südtiroler Wirtschaftszeitung eine Umfrage zu den Landtagswahlen veröffentlicht, deren Ergebnisse die Parteispitze der Grünen in einen Rausch ver- setzt hat: 17 Prozent auf Landesebene, mit Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba zwei der beliebtesten Politiker des Landes – eine Regierungsbeteiligung in Südtirol schien gesichert. Die Parlamentswahlen am Sonntag haben die Grünen wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die mickrigen 7,7 Prozent auf Landesebene sind eine Enttäuschung. Auch auf nationaler Ebene schaffte es das Bündnis aus Europa Verde und Sinistra Italiana mit 3,6 Prozent nur mit Ach und Krach über die Sperrhürde. Warum will die „grüne Welle“ nicht auf Südtirol (und Italien) überschwappen? Die Tageszeitung zeigt auf, welche Irrtümer und Fehler der Parteispitze im Wahlkampf unterlaufen sind.
Der aussichtslose Alleingang
Die Grünen haben entschieden, in den beiden Senats-Wahlkreisen Meran und Brixen allein, also ohne Bündnispartner, anzutreten. Marlene Messner landete im Westen mit 6,8 Prozent nur auf dem siebten Platz – und damit nicht nur hinter den Oppositionsparteien Team K und Freiheitliche, sondern auch noch hinter der No-Vax-Bewegung Vita. Im Westen erreichte Hans Heiss mit 15,58 Prozent immerhin den zweiten Platz. Das Grüne Urgestein rechnete aber – wie die meisten Polit-Beobachter – mit ei- nem Ergebnis deutlich über 20 Prozent, zumal er mit dem SVP- Kandidaten Meinhard Durnwalder einen Kontrahenten vorfand, der in mehrere Skandale verwickelt war. „Es war fahrlässig und kindisch, nicht mit den anderen Oppositionskräften zu reden und allein anzutreten“, ist der ehemalige Grüne Kammerabgeordnete Florian Kronbichler überzeugt. Im Grunde genommen sei man „nicht viel besser“ als Mitte-Links auf gesamtstaatlicher Ebene. Auch dort hat sich die Entscheidung von PD- Chef Enrico Letta, ohne die 5- Sterne-Bewegung zu kandidieren, als Trugschluss erwiesen, der letztlich dem Mitte-Rechts-Block zur Mehrheit verholfen hat. Das Mitte-Links-Bündnis und der Movimento 5 Stelle haben gemeinsam in etwa gleich viele Stimmen wie Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia. Das italienische Wahlgesetz prämiert aber jene Parteien, die in einem Bündnis antreten. Laut Kronbichler hätten die Grünen im Wahlkreis Brixen versuchen müssen, die anderen Oppositionskräfte dazu zu bringen, zugunsten von Heiss auf eine eigene Kandidatur zu verzichten. „Heiss ist ökumenisch wählbar“, so der Ex-Kammerabgeordnete. Der Alleingang in den beiden Senats-Wahlkreisen hatte zur Folge, dass sich die Stimmen jener Bürger, die nicht SVP wählen wollen, auf mehrere (Klein- )Parteien aufgesplittert haben. „Dabei gibt es in Südtirol viele, die das Bedürfnis haben, dass neben der SVP auch Vertreter der Opposition im Parlament vertreten sind“, unterstreicht Kronbichler.
Der „überschätzte“ Schullian
In den beiden Kammer-Wahlkreisen sind die Grünen im Verbund mit anderen Mitte-Links-Kräften angetreten. Während man im Wahlkreis Nord dem Team-K-Arzt Franz Ploner den Vortritt gelassen hat, haben die Grünen im Wahlkreis Süd mit Elide Mussner eine eigene Kandidatin ins Rennen geschickt. Mussner erreichte mit 22,44 Prozent ein (unerwartet) starkes Ergebnis, zu dem in erster Linie der PD (12 Prozent) beigetragen hat. Die Grünen selbst kamen „nur“ auf sieben Prozent. Durchsetzen konnte sich in besagtem Wahlkreis der SVP-Politiker Manfred Schullian mit 33 Prozent. Das Rennen um den Sitz in Rom ging knapper aus, als es die Grünen vor der Wahl prognostiziert hatten. Schullian, für den die parlamentarische Arbeit angesichts eines Jahreseinkommens von 500.000 Euro nur ein „Nebenjob“ sei, wäre schlagbar gewesen, ist Kronbichler überzeugt. Die Grünen hätten all ihre Hoffnungen auf Roberta Rigamonti gesetzt, die über die regionale Verhältniswahl vergeblich um einen Sitz buhlte. „Für die arme Elide Mussner hat die Grüne Partei wenig getan, sie musste allein mit ihrem Vater den Wahlkampf meistern“, schüttelt Kronbichler den Kopf.
Die halbherzige Unterstützung für Spagnolli
Gigi Spagnolli setzte sich im Senats-Wahlkreis Bozen-Unterland hauchdünn gegen den SVP-Kanddiaten Manfred Mayr und dem Mitte-Rechts-Mann Maurizio Bosatra durch. Kronbichler wirft seiner Partei, die Teil des Spagnolli-Bündnisses war, vor, sich nur „halbherzig“ für Bozens Ex-Bürgermeister ins Zeug geworfen zu haben. Die Grünen werfen Spagnolli noch immer vor, das Benko-Projekt durchgewunken zu haben. Der Neo-Senator machte aus der Not eine Tugend. Wenige Tage vor der Wahl schaltete er in den sozialen Netzwerken eine Werbeanzeige, in der er klarstellte: „Die Stimmen im Senats-Wahlkreis werden dem Kandidaten zugeordnet und nicht den Parteien, die ihn unterstützen.“
Die „vergessenen“ Auslandssüdtiroler
3.000 Auslandssüdtiroler hatten bei den Parlamentswahlen die Qual der Wahl: Sie waren gezwungen, eine der acht im Ausland kandidierenden nationalen Parteien anzukreuzen und die Vorzugsstimmen deren Kandidaten zu geben. Obwohl Verdi/SI in der Kammer-Wahl im Ausland allein angetreten ist, haben es die Südtiroler Grünen verpasst, einen eigenen Kandidaten für die Auslandswähler aufzustellen. Wohl auch deshalb, weil sie das Wahlgesetz nicht umrissen haben. Denn: Die Wähler im Ausland haben die Möglichkeit, Vorzugsstimmen zu vergeben. Die Südtiroler sind, im Gegensatz zu den Italienern, fleißige Vorzugsstimmengeber. Die Stimmen der Auslandssüdtiroler wären auch bei der nationalen Mandatsvergabe durch das Verhältniswahlrecht mitgerechnet worden. Die Südtiroler Grünen haben sich also doppelt ins Fleisch geschnitten.
Die unterschätzten Impfgegner
Die Liste Vita gehört zweifelsfrei zu den Siegern der Parlamentswahlen. Mit einem Ergebnis von über sechs Prozent für die Impfskeptiker haben nur die Wenigsten gerechnet. In mehreren Gemeinden konnte die Bewegung um Renate Holzeisen, der neuen Grande Dame der Impfkritiker, zweistellige Ergebnisse einfahren, in Unsere Liebe Frau im Walde/St. Felix ist Vita die zweitstärkste Partei hinter der SVP. Für die No-Vax-Bewegung waren die Parlamentswahlen ein Warmlaufen für die Landtagswahlen 2023. „Dass die Impfgegner bis zu den Landtagswahlen verschwunden sein werden, glaube ich nicht“, sagt Kronbichler. Die Parlamentswahlen hätten gezeigt, dass ein Antreten der No-Vax-Bewegung nicht unerheblich zu Lasten der Grünen gehe. Die Südtiroler Grünen sind überzeugte Impfbefürworter, in der links-alternativen Wählerschaft gibt es aber viele, die mit der Corona-Politik und insbesondere der Impfpflicht nicht einverstanden sind.
Grüne Umfragen-Könige
Vor den Landtagswahlen 2013 und 2018 hatten die Grünen in den Umfragen stets hohe Werte, die sie bei den anschließenden Wahlen nicht bestätigen konnten. Wird sich dies auch 2023 wiederholen? „Die Grünen sind traditionell Umfragenkönige“, meint Kronbichler. Grundsätzlich sei es auch besser, gute Umfragen zu haben als schlechte. Da die SVP personell schlecht dastehe, hätten die Grünen gute Chancen auf ein starkes Wahlergebnis. Im Unterschied zu den Parlamentswahlen gebe es bei den Landtagswahlen auch ein „einigermaßen gerechtes Wahlgesetz“. Seine Partei stecke jedoch in einem „Dilemma“. „Wir haben einen interethnischen Anspruch, dem wir derzeit nicht gerecht werden“, sagt der Ex-Onorevole. Zwar habe man eine Reihe von „Super-Kandidaten“ deutscher Muttersprache, mit Ausnahme von Riccardo Dello Sbarba, dessen Wiederkandidatur noch ungewiss ist, aber kein Aushängeschild auf italienischer Seite. Für die SVP kommen die Grünen freilich nur dann als Koalitionspartner in Frage, wenn sie italienische Abgeordnete mitbringen. Sobald sich die Ökopartei von den enttäuschenden Parlamentswahlen erholt hat, muss sie sich also schnell an die Arbeit machen. Denn mit dem Titel „Umfragenkönige“ können sie sich nichts kaufen.
Kommentare (23)
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