„Können 14 Prozent schaffen“
Die Grünen sind nach dem nicht gerade berauschenden Abschneiden bei den Wahlen in Tirol und in Italien wieder auf dem harten Boden der Realität gelandet. Grünen-Chefin Brigitte Foppa über Umfragen, Holzeisen und Meloni.
TAGESZEITUNG Online: Frau Foppa, was haben Sie gedacht, als Sie am Sonntag kurz nach 17.00 Uhr die erste Hochrechnung der Landtagswahlen in Tirol gesehen haben?
Brigitte Foppa: Im ersten Moment hat es schiacher ausgeschaut, als es dann effektiv war. Aber die Kollegen waren darauf vorbereitet, die Stimmung im Wahlkampf war etwas gedämpft.
Die Tiroler Grünen haben fast 1,5 Prozent der Stimmen verloren, liegen mit 9,20 Prozent sogar hinter der Liste Fritz. Ein Wahlergebnis, das den Zeitgeist nicht widerspiegelt, möchte man meinen …
Das stimmt. Im Nachhinein betrachtet, würde ich sagen, dass es zwar richtig war, die großen Themen Umwelt, Klima und Transparenz zu fahren. Vielleicht hätte man aber angesichts der derzeitigen Situation …
… Sie meinen die Energiekrise?
Ja, vielleicht hätte man die soziale Frage in den Vordergrund stellen sollen, wobei man Klima und Umweltschutz ja nie abgekoppelt vom Sozialen sehen kann. Wir sagen nicht umsonst immer: Wir sind ökosozial. Die soziale Frage ist wichtig, denn es darf ja nicht der Eindruck entstehen, dass Umweltschutz etwas Elitäres ist.
Auch das Wahlergebnis der Grünen bei den Parlamentswahlen ist durchwachsen. Wie erklären Sie sich, dass die Grünen in der Apollis-Umfrage bei 17 Prozent lagen, bei den Wahlen am Sonntag aber nur um die 7 Prozent erreicht haben. Von einer grünen Welle kann man da nicht sprechen?
Aufgrund des eigenartigen Wahlsystems ist es sehr schwierig, Zahlenvergleiche anzustellen. Wir haben im Pustertal 15,6 Prozent der Stimmen bekommen, was in etwa die Umfragen widerspiegeln würde, im Proportionalsystem waren es 8 Prozent …
Hans Heiss hat im Senatswahlkreis Ost mit über 20 Prozent der Stimmen gerechnet …
Das war vielleicht seine Wahrnehmung aufgrund von positiven Rückmeldungen, aber 16 Prozent würde ich jederzeit unterschreiben.
Es ist effektiv schwierig, Landtagswahlen und Parlamentswahlen zu vergleichen. Bei den letzten Landtagswahlen haben die Grünen 6,8 Prozent erreicht. Wo liegen die Grünen derzeit nach Ihrer Wahrnehmung?
Ich würde sagen: So um die 10 Prozent. Die 14 Prozent der deutschen Grünen sind ein Richtwert …
Ein hoher Richtwert …
Ja, aber dieser Wert ist drin. Ambitionierte Ziele kann man sich schon stecken. Der Trend geht thematisch in unsere Richtung, wir Grünen und unsere Themen sind gesellschaftsfähig. Ich habe das auch im Wahlkampf gemerkt. Die Leute sagen nicht mehr wie früher: Ihr Grünen, bleibt in weiter Ferne von mir!
Eine der großen Wahlsiegerinnen der Wahlen vom Sonntag in Südtirol ist die Liste Vita von Renate Holzeisen, die knapp 7 Prozent erreicht hat. Bei einer Landtagswahl wären das zwei, vielleicht sogar drei Mandate. Überrascht?
Ja, ich hätte sie marginaler eingeordnet. Und wir haben uns natürlich gefragt, woher diese Stimmen kommen …
Woher?
Ich denke, dass es sich teilweise um Proteststimmen handelt, die mobil sind, also um wandernde Proteststimmen. Der Background von Vita ist auf Protest gebürstet, auf fundamentalen Protest. Außerdem hat es eine starke Mobilisierung gegeben …
Die Bewegung war aber wenig sichtbar …
Das schon, ich glaube allerdings, dass die Bewegung über andere Kanäle stark mobilisiert hat, etwa über Telegram-Gruppen.
Hat die Bewegung Vita auch Anti-System-Stimmen erhalten?
Kann sein, jetzt muss man sehen, wie lange sich das Impfthema hält, wenn die Pandemie abflaut. Auch wir Grünen haben uns intensiv mit dem Impfthema auseinandergesetzt und uns am Ende für den kollektiven Gesellschaftsschutz entschieden, wissend, dass wir dabei auch Stimmen verlieren werden.
Auch die Grünen haben im Vorfeld der Parlamentswahlen das Schreckensgespenst Meloni und den Rechtsruck an die Wand gemalt. War das kontraproduktiv?
Sich am Gegner abzuarbeiten, ist in meinen Augen nicht die richtige Strategie. Die Linken haben das getan. Und es ist schiefgegangen. Ich denke, dass es zielführender gewesen wäre, den Menschen ein alternatives Gesellschaftsmodell zu präsentieren, ihnen zu sagen, wie wir die Welt verändern wollen. Ich hätte mehr die eigenen Ziele, ein progressives Weltbild in den Vordergrund gestellt. Wenn man eine Beziehung eingehen will, dann sagt man ja auch nicht, was man alles nicht will.
Glauben Sie wirklich, dass Giorgia Meloni so dumm ist und Italien auf einen Anti-Europa-Kurs trimmen wird?
Das bleibt zu sehen. Es gibt die, die sagen, dass der Apparat in einem Staat so groß und so schwerfällig ist, dass es unmöglich ist, ihn unmittelbar auf eine neue Linie zu bringen. Gleichwohl gibt es Staaten, die stark ihre Ausrichtung geändert haben. Ich weiß nicht, was wir zu erwarten haben, aber ich glaube auch, dass das ganze Geschrei, das wir im Wahlkampf gehört haben, nicht eins zu eins in Gesetze umgewandelt wird. Aber Meloni ist ihrer Wählerschaft etwas schuldig, daher haben wir einiges zu erwarten.
Was empfinden Sie als Frau, wenn Sie sehen, dass in Italien erstmals eine Frau Ministerpräsidentin wird?
Es wird normaler werden, dass Frauen Premier werden, das finde ich gut, auch wenn Meloni keines meiner Ziele vertritt. Aber es ist gut, dass es Frauen gibt, die vorne stehen.
Ist Meloni eine starke Frau?
Ja, sonst hätte sie es nicht so weit gebracht. Sie hat einen guten Stab an Beraterinnen, sie hat – so habe ich mir sagen lassen – einen strategischen Kreis, in dem viele Frauen sind, die sie gut beraten.
Ihre Kandidatin Roberta Rigamonti hat den Einzug in die Kammer knapp verfehlt, weil das Grünen-Ergebnis zu schlecht war.
Das ist extrem schade, es wäre so gut gewesen, eine so kompetente Frau hätte Rom gutgetan.
Die zweitstärkste Partei in Südtirol sind die Nichtwähler. Aus welchem politischen Lager kommen die Nichtwähler?
Ich habe dieses Phänomen diesmal im Wahlkampf ganz stark wahrgenommen, daher habe ich versucht, dieses Thema bereits vor den Wahlen aufzuwerfen. Ich finde es schrecklich, wenn die Politik hergeht und nach den Wahlen Krokodilstränen vergießt. Ich wollte eine gesellschaftliche Debatte anstoßen. Ich glaube, dass diesmal auch viele Mittel-Links-Wähler der Wahl ferngeblieben sind. Von den Grünen hat mir niemand gesagt, dass er oder sie nicht wählen gehen, aber vielleicht hat man mir dies auch nicht zugetragen. Ich glaube, dass unter den Nichtwählern auch enttäuschte Meschen aus der Mitte sind, und natürlich viele SVP-Wähler, die frustriert sind, das hat man uns im Wahlkampf oft gesagt. Das Phänomen reicht also weit in alle Schichten hinein. Die Leute sagen, sie seien stuff, ich habe aber noch immer nicht ganz verstanden, was sie mit stuff meinen …
Eben, von was sind die Leute stuff?
Ich weiß es nicht. Einige sagen, sie seien stuff, weil sie immer wählen gegangen sind und sich nichts geändert hat. Andere sind stuff von den politischen Debatten, die als weit entfernt wahrgenommen werden. Vielleicht ist es gerade dieser große Abstand der politischen Debatten von der Realität. Die Menschen sehen finanzielle Sorgen auf ihre Familie zukommen, sie sehen die Politiker im Anzug im Fernsehen und fragen sich: Über was reden die da eigentlich? Man muss sagen, dass Giorgia Meloni sehr geschickt darauf reagiert hat, mit einfachen Auftritten. Sie hat in Sandalen zwischen den Krawattenträgern gesessen, sie hat den Eindruck vermittelt, dass sie so ist wie die einfachen Leute, eben nicht so weit weg von den Menschen.
Wenn man sich die Historie der Südtiroler Grünen ansieht, fällt auf, dass die Grünen nie spektakuläre Höhenflüge oder Mega-Schlappen hatten. Heißt das, dass die Grünen nur eine Stammwählerschaft haben, die von Wahl zu Wahl mal um ein, zwei Prozent ab- oder um ein oder zwei Prozent zunimmt? Sind die Grünen keine Wechselwähler?
Die Stammwählerschaft ist sehr wichtig, weil man mit den Stammwählern solide ist. Das ist ein wichtiger Wert, aber das heißt nicht, dass wir nicht in Richtung Wachstum gehen. Ich habe in diesem Wahlkampf gemerkt, wie viele Menschen wir mobilisieren konnten. Leute haben sich spontan gemeldet und gefragt, was sie tun können und ob sie Werbematerial bekommen. Am Tag nach den Wahlen haben sich neue Mitglieder einschreiben lassen. Das sind Signale, die Mut machen, dass wir nicht auf unserem Sockel sitzenbleiben.
Interview: Artur Oberhofer
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