„Impfwillige fehlen“

Patrick Franzoni
Covid-Impfkoordinator Patrick Franzoni erklärt, was mit den verfallenen Impfdosen passiert und warnt vor den Konsequenzen der Impfmüdigkeit.
Tageszeitung: Herr Franzoni, die italienische Arzneimittelagentur hat vor Kurzem grünes Licht für den neuen angepassten Corona-Impfstoff der BA.4 und BA.5 Variante gegeben. Wie viele Impfdosen haben wir in Südtirol?
Patrick Franzoni: Wir haben ungefähr 70.000 Impfdosen auf Lager, die wir jeweils in regelmäßigen Abständen aus Rom erhalten.
Wann verfallen diese Impfdosen?
Ursprünglich lag das Haltbarkeitsdatum der früheren Corona-Impfstoffe bei sechs Monaten. Durch regelmäßige Kontrollen konnte eine längere Haltbarkeit der Dosen festgestellt werden. Mittlerweile hat sich das Verfallsdatum daher auf zwölf Monate verlängert. Die neuen Impfdosen von Pfizer und Moderna sind nagelneu, sie wurden erst im Mai/Juni produziert. Vermutlich werden auch diese ein Jahr lang haltbar sein – sofern sie richtig gelagert werden.
Was passiert mit den verfallenen Impfdosen?
Die Impfverteilung wird auf europäischer Ebene koordiniert. Die jeweiligen Staaten kaufen die Impfdosen ein und verteilen sie im gesamten Territorium. Die Menge des gelieferten Impfstoffes wird dabei nach dem Verteilungsschlüssel der zu impfenden Personen berechnet – unabhängig davon, ob man diesen im Endeffekt aufbraucht oder nicht. In Italien haben alle Regionen Impfstoffe vorrätig. Kurz bevor die Dosen verfallen, werden sie zurückgezogen und an ärmere Länder verteilt, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, die Impfstoffe selbst zu kaufen. Allerdings muss dieser Prozess sehr schnell vonstattengehen, da die Impfstoffe in Kühlschränken bei bis zu minus 80 Grad aufbewahrt werden müssen. Wenn sie aus dieser Kühlkette hinausgelangen, müssen sie sofort verwendet werden. Trotzdem ist es enorm wichtig, dass auch ärmere Länder wie Afrika, wo wir mit ungefähr 25 Prozent bis jetzt nur eine sehr geringe Impfquote haben, die Herdenimmunität erreichen. Ansonsten können sie zur potenziellen Entwicklung einer neuen Variante beitragen. Wir dürfen nicht nur auf Europa oder Amerika schauen, es betrifft uns alle.
Steht der neue Impfstoff schon zur Verfügung?
Ja, seit einer Woche kann man sich mit dem neuen Impfstoff impfen lassen. Der Booster wird in erster Linie Risikopatienten sowie allen Personen über 60 Jahren empfohlen. Trotzdem bleibt es eine freiwillige Impfung. Jeder sollte diese Entscheidung für sich selber treffen und eine Risikoanalyse machen.
Wie viele haben ihn genommen?
Leider nur sehr wenige, vielleicht ein paar Tausend. An Impfdosen fehlt es nicht, aber an Impfwilligen. Viele glauben noch immer, dass wenn sie sich impfen lassen, sie sich nicht mehr mit Corona infizieren können. Aber die Impfung schützt lediglich vor einem schweren Krankheitsverlauf. Als Arzt ist es meine Aufgabe zu garantieren, dass die Krankenhäuser nicht überlastet werden und sie im Stande sind, ihre Kerntätigkeiten weiterzuführen sowie alle Wartelisten aufzuarbeiten, die sich in den letzten 29 Monaten angesammelt haben.
Machen Sie sich Sorgen, dass sich zu wenige Personen impfen lassen?
Wenn jemand in die Risikogruppe hineinfällt, ist es wichtig, dass man sich impfen lässt. Bei Personen mit Vorerkrankungen oder gebrechlichen Personen kann das Virus Komplikationen verursachen. Das bedeutet für uns natürlich eine zusätzliche organisatorische Belastung in den Krankenhäusern. Hinzu kommen alle anderen Personen, die sich aufgrund anderer Pathologien im Krankenhaus befinden, aber mit dem Corona-Virus infiziert sind und somit zusätzlich isoliert und eigens betreut werden müssen.
Braucht es neuen Schwung in der Impfkampagne?
Ja, ich hoffe, dass wir es schaffen, die Leute wieder für die Booster-Impfung zu mobilisieren. Die Pandemie hat Europa immer noch im Griff, sie richtet immer noch sehr viel Schaden an. Es wäre wichtig, die Bevölkerung davon zu überzeugen, die Corona-Impfung wie jene einer Grippe anzusehen und sich einmal im Jahr impfen zu lassen. Der neue bivalente Impfstoff bietet einen guten Schutz vor schweren Verläufen sowie einen noch besseren Schutz vor der Omikron-Variante, die – wie man diesen Sommer gesehen hat – extrem ansteckend ist. Die Corona-Impfung ermöglicht es uns, das Krankenhaus zu entlasten sowie dem coronabedingten Personalmangel in verschiedenen Bereichen wie der Feuerwehr, der Gemeinde, der Rettung oder dem Pflegedienst entgegenzuwirken. Sie schützt uns zwar nicht vor einer Ansteckung, aber man hat weniger Symptome und die Wahrscheinlichkeit, dass man sich in den ersten Monaten infiziert, ist wesentlich geringer. Es gibt immer noch viele, die den ersten Booster noch gar nicht gemacht haben. Außerdem sollten jene, die sich im November/Dezember zuletzt geimpft haben, sich jetzt mit dem neuen bivalenten Impfstoff boostern.
Interview: Sylvie Debelyak
Kommentare (13)
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