Zeitgenössische Odyssee
Martina Mahlknecht & Martin Prinoth bilden zusammen das Künstler*innenduo TÒ SU. Beim transart-Festival zeigen sie eine Filminstallation über Seeleute, die während der Pandemie unfreiwillig in Hamburg festsaßen.
Tageszeitung: Erklären Sie uns zunächst, was der Künstlername TÒ SU bedeutet.
Martina Mahlknecht & Martin Prinoth: TÒ SU kommt aus dem Rätoromanischen und bedeutet übersetzt soviel wie „aufnehmen, dokumentieren“. Das hat viel mit unserer Arbeitsweise zu tun. Wir kommen vom Dokumentarfilm und dem Theater und suchen den künstlerischen Austausch mit Menschen aus dem „realen“ Leben, Expert*innen des Alltags sozusagen.
Als Duo erforschen Sie transkulturelle Grenzräume in einer globalen Welt und setzen sich mit eurozentrisch geprägten Perspektiven und der eigenen kulturellen Identität auseinander. Global, transkulturell, eurozentrisch, Identität – das sind sehr viele komplexe Begriffe auf einmal. Wie erklären Sie einem weniger informierten Publikum, was Sie machen?
Es geht in unseren Projekten vor allem darum, andere Perspektiven einzunehmen und das eigene Blickfeld zu erweitern. Dafür arbeiten wir mit Menschen zusammen, die eine andere Expertise oder einen anderen kulturellen Hintergrund mitbringen. Vor allem interessieren wir uns für Perspektiven, die in unserer Gesellschaft weniger repräsentiert sind. Uns geht es dabei darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die Dinge, die wir tun (oder nicht tun), auch Auswirkungen auf andere haben.
Letztlich behandeln alle diese Begriffe postkoloniale Fragestellungen. Weil der Kolonialismus weiterhin unsere Welt prägt?
Ja, die Abhängigkeiten, die durch koloniale Machtansprüche entstanden sind, wirken nach wie vor in unsere Welt. Um Wohlstand und Fortschritt zu gewährleisten, müssen Lieferketten einwandfrei funktionieren. Im Vergleich zur monströsen Größe von Fracht- und Containerschiffen scheinen die menschlichen Schicksale, die sie am Laufen halten, verschwindend klein und werden allzu gerne ausgeblendet. Es geht in unserer Zusammenarbeit vor allem auch darum, der Menschlichkeit und der Gemeinschaft Raum zu geben, die wir unter den Seeleuten sehr präsent erlebt haben. Mit wie viel Aufmerksamkeit und Verständnis die Seemänner einander begegnen, trotz der schwierigen Situation, in der sie sich befinden, ist beeindruckend und sehenswert.
Ihre künstlerische Sprache sind dokumentarische Formen zwischen Film, multimedialer Installation und Performance. Um das Politische Ihrer Praxis zu betonen?
Das kommt tatsächlich eher daher, dass wir nach der richtigen Form für die Vermittlung der Arbeiten suchen. Um in die intime Gesprächssituation zwischen den Seeleuten einzutauchen, scheint es uns stimmig, dass die Zuschauer*innen jede*r für sich mit Kopfhörern zum*r Zuhörer*in des Gesprächskreises wird. Für den Tanz, den die Seemänner performen, scheint uns die großformatige Projektion richtig, damit auch das Publikum hier einen Moment von Gemeinschaft erlebt und danach im Idealfall in den Austausch über das Erlebte geht.
Für die Filminstallation „Overseas“ haben Sie mit Seeleuten aus dem Inselsaat Kiribati zusammengearbeitet, die während der Pandemie unfreiwillig in Hamburg festsaßen. Welche Geschichten erzählen diese Menschen?
In den Geschichten erzählen die Seeleute von ihrer Arbeit auf Hoher See, sie erzählen von der Bedeutung der Musik während der langen Abwesenheit von ihrem Zuhause und von den Auswirkungen des Klimawandels, der auf ihren Heimatinseln bereits sehr spürbar ist. Wie Katikun Mataroo, einer der Seeleute, sagt „Aufgrund unserer Arbeit auf Hoher See haben wir ein besonderes Gespür für die Probleme, die diese Welt betreffen“ und so geben sie uns als Reisende zwischen den Kontinenten Einblick in eine sehr besondere Welt und eine sehr besondere Gemeinschaft.
Die Installation findet in einem gefluteten Becken im NOI Techpark statt. Damit die Besucher die Odyssee der Seeleute am eigenen Leib erfahren können?
Das wäre dann wohl die sehr sanfte Variante dieser Odyssee. Die Idee, dass die Zuschauer*innen die Gespräche der Seeleute mit Gummistiefeln ausgerüstet in einem gefluteten Becken erleben, hat zwei inhaltliche Verweise – es nimmt Bezug auf den Arbeitsort der Seemänner, die ständig von Wasser umgeben sind und auf die Bedrohung durch den steigenden Meeresspiegel, von dem die Heimatinseln der Seemänner besonders stark betroffen sind.
„Overseas“ ist der erste Teil einer geplanten Trilogie über Lebensrealitäten und Arbeitsbedingungen auf Hoher See. Weil dort der globale Warenverkehr und seine Verwundbarkeit den gemeinsamen Ort haben?
Wir leben inzwischen seit 15 Jahren in Hamburg, eine Stadt, die geprägt ist von der Schifffahrt. Aber nicht nur große Hafenstädte sind von den Lieferketten abhängig. 90 Prozent der Waren unseres täglichen Bedarfs kommen über den Seeweg zu uns.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Martina Mahlknecht, geboren in Brixen, studierte Freie Kunst und Bühnenraum an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am Mozarteum in Salzburg. Martin Prinoth wurde in St. Ulrich geboren. Nach seinem Studium der Kommunikationswissenschaften an der Uni Salzburg diplomierte er im Bereich Film und Digitales Kino an der Hochschule für Bildende Künste HfbK Hamburg. Beide leben zwischen Bozen und ihrer Wahlheimat Hamburg.
OVERSEAS
Während der Covid-19-Pandemie saßen zahlreiche Seeleute aus dem pazifischen Inselatoll Kiribati im Hafen von Hamburg fest. In Kollaboration mit ihnen entwickelte das in Hamburg lebende Südtiroler Künstler*innenduo TÒ SU (Martina Mahlknecht und Martin Prinoth) die ortsspezifische Filminstallation OVERSEAS. In einem gefluteten Becken taucht das Publikum ein in die Geschichten der Seeleute über Sehnsucht und Trennung, Geld und Anerkennung, Stolz und Gemeinschaft, Umwelt- und Klimarisiken. Mit dokumentarisch-performativen Mitteln machen die Künstler*innen Innenansichten des globalen Warenverkehrs und seine Verwundbarkeit sicht- und spürbar und erzählen eine zeitgenössische Odyssee.
Termin: Zu sehen bis 22. September jeweils von 10:00 – 18:00 Uhr im NOI Techpark, Voltastr. 13 Bozen. Eintritt Frei
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