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„Proviamo anche questa“

Der Italien-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, Oliver Meiler, erklärt, warum sich die ItalienerInnen in die Postfaschistin Giorgia Meloni verliebt haben – und er rechnet damit, dass der Zauber der und des Neuen schnell wieder vorbei sein könnte.

TAGESZEITUNG Online: Herr Meiler, Sie haben in einem Feature zur politischen Situation in Italien geschrieben: Italien habe sich wieder mal verliebt, diesmal in die Postfaschistin Giorgia Meloni. Warum haben sich die ItalienerInnen in Meloni verliebt?

Oliver Meiler: Wahrscheinlich, weil sie noch nie dran war und in den vergangenen Jahren immer in der Opposition war, dann sagen viele: Proviamo anche questa! Es scheint mir aber ein kühles, fast zweckmäßiges Verlieben zu sein.  

Sie schreiben in Ihrem Beitrag weiter: Das Gute an den ItalienerInnen sei, sie entlieben sich auch wieder schnell. Glauben Sie, dass auch bei Giorgia Meloni – so wie bei Matteo Salvini, Beppe Grillo, Silvio Berlusconi und Matteo Renzi – der Zauber bald wieder vorbei ist?

Das wäre zumindest die erwartbare Konsequenz aus dem alten Reflex. Außer bei Berlusconi ging es bei allen recht schnell, und Berlusconi hielt sich auch nur, weil er die öffentliche Meinung zu seiner Person wuchtig mitbestimmen konnte mit seinen Medien und Mitteln. Italien ist politisch wahnsinnig volatil, da geht es rauf und runter mit erstaunlichem Tempo. Ob sich Meloni diesem Gegensog entziehen könnte? Ich glaube es nicht. Bei aller politischen Geschicktheit und Kohärenz, die man ihr nachsagt, ist sie dafür dann doch nicht konsensfähig genug. Und die schwierigen Zeiten, in denen wir leben und die eine richtig gute Regierung erfordern würden, werden den Rest beitragen. Meloni hat ja auch kaum gutes Personal in ihrer Partei.  

Giorgia Meloni (Foto: FB/Meloni)

In einem Interview mit der Washington Post hat Giorgia Meloni gesagt, sie sei kein Monster. Brüssel ist besorgt. Ist Meloni für Europa eine Gefahr?

Nur schon, dass sie klarstellen muss, kein Monster zu sein, spricht Bände über den Blick des Auslandes auf die politischen Entwicklungen in Italien. Ihr Modell war bisher immer Viktor Orbans Ungarn und das nationalistische Polen – wenn sie daran festhalten würde, zusammen mit Salvini, der ja gleich tickt wie sie, ja dann hätte Europa ein größeres Problem. Ein großes Gründungsmitglied der EU im nationalistisch-souveränistischen Orban-Modus? Das ginge nicht gut.   

Wie wird Europa im Falle eines Wahlsieges der Rechts-Koalition reagieren? Glauben Sie, dass es Sanktionen gibt wie 2000, als in Österreich Wolfgang Schüssel eine Koalition mit Jörg Haider gebildet hat?

Nein, das glaube ich nicht, jedenfalls gibt es dafür bisher keine Anzeichen. Reagieren werden die Medien, aber die europäischen Institutionen zunächst wohl eher nicht. Es kommt ja dann auch noch wesentlich drauf an, ob diese Rechte überhaupt gewillt ist, zusammen zu regieren. Je nach Wahlausgang habe ich da meine Zweifel. Stürzen Lega und Forza Italia total ab und wären nur noch absolute Juniorpartner von Fratelli d’Italia, dann kann es vielleicht sein, dass es ihnen zu dumm ist, Melonis Handlanger zu sein. Überhaupt zweifeln beide daran, dass Meloni das Zeug zur Ministerpräsidentin hätte. Da spielen ja auch eine Menge persönliche Animositäten mit, und die sollte man nicht unterschätzen.   

Meiler-Artikel in der SZ (Sreen)

In Ihrem Beitrag „Flüchtig wie ein Furz“ präsentiert der Vize-Chefredakteur des CorSera, Aldo Cazzullo, die spannende These: Im Kopf der Italiener sei der Staat böse. Sie fügen hinzu: Berlusconi habe diesen Reflex der Italiener am besten für sich genutzt. Ist Italien wirklich ein Land, in dem jeder mal regieren darf?

Offenbar schon, ja. Wer hätte es für möglich gehalten, dass die kleinen Fratelli d’Italia in viereinhalb Jahren ihren Konsens möglicherweise auf ein Viertel der Wählerschaft ausweiten würden. Cazzullo sagte in dem Interview auch noch, er gehe davon aus, dass Meloni es sogar auf 28 oder 30 Prozent bringen könnte. Das wäre dann sieben, fast acht Mal mehr als 2018. Und nur, weil sie nicht mitregiert haben, das ist schon sehr erstaunlich.   

Haben Sie eine Erklärung für den Stimmungsumschwung in Italien: Weg von Draghi, dem Retter des Euro, der Italien wieder zu einer Fixgröße im EU-Kontext gemacht hat, hin zu Giorgia Meloni, die so weit rechts draußen steht, dass zwischen ihren Fratelli d‘Italia und dem rechten Rand des Verfassungsbogens kein Blatt Papier mehr passt?

Ja, auch das ist erstaunlich, zumal Draghi ja bis zuletzt höchste Beliebtheitswerte genießt. Und nun sieht es also so aus, als würden die Italiener ausgerechnet massiv für die einzige Partei stimmen, die nicht an Draghis Regierung der nationalen Einheit teilgenommen hat? Manchmal hat man als Italien-Korrespondent seine liebe Mühe, den Lesern daheim Italien zu vermitteln.

Giorgia Meloni (Foto: FB/Meloni)

Was bedeutet es für die Macho-Republik Italien, wenn eine Frau das zweitwichtigste Amt im Staate einnehmen wird?

Ich glaube, in diesem ganz speziellen Fall ist das Frausein eine Tangente, obschon Meloni natürlich die erste Frau im Amt wäre und ihre eventuelle Nominierung ganz objektiv besehen einen historischen Wert hätte. Und doch gibt es ja diese Debatte darüber, ob die ganz und gar nicht feministische Meloni ein Sieg für die Frauen wäre oder eher nicht. Das ist ein heikles Terrain. Was die Machos angeht: Insgesamt wäre es ihnen natürlich zu wünschen, wenn sie sich endlich mal einer Frau fügen müssten. Aber muss es unbedingt Meloni sein?

Die Mitte-Rechts-Parteien versprechen dem Volk ein Flat Tax von 15 (Salvini) oder 23 Prozent (Berlusconi). Davon sollen Italiener mit einem Jahreseinkommen von bis zu 70.000 Euro profitieren. Kann so eine Flat Tax finanziert werden?

Nein, ich glaube nicht, sie ist wahrscheinlich sogar verfassungswidrig. Aber Versprechungen sind nun mal das Salz von Wahlkampagnen.

Berlusconi wirbt mit dem Versprechen, die Mindestpensionen auf 1.000 Euro monatlich anzuheben. Dieselbe Frage: Woher das Geld nehmen und nicht stehlen?

Eben! Berlusconi sagt auch nicht, wo er sparen würde, um die verdoppelte Mindestrente zu finanzieren. Italien hat einen horrenden Schuldenberg angehäuft, da sind solche Extravaganzen wohl gerade unmöglich.

Enrico Letta (Foto: FB/Letta)

Kommen wir zum Links-Block: Der PD von Enrico Letta verspricht im Falle eines Wahlsieges eine kräftige Senkung der Lohnnebenkosten zur Entlastung von Unternehmen und Arbeitnehmern?

Ja, und das ist vielleicht der vernünftigste Weg, gleichzeitig die Beschäftigung anzukurbeln und die Chancen der Jungen endlich etwas zu pushen.

Ist Letta der beste Kandidat, den das Mitte-Links-Lager hat aufbieten können?

Was man sagen kann: Er ist nicht gerade eine charismatische, mitreißende Figur – kein Blender. Aber seine Partei, den PD, hat er ganz gut in den Griff bekommen, seit er aus Paris zurückgekehrt ist. Und das will etwas heißen. Allerdings: Was ist nach den Wahlen, sollte der PD weit hinter Fratelli d’Italia liegen? 

Welche künftige Rolle trauen sie Giuseppe Conte und Beppe Grillo zu?

Conte scheint sich im Süden auffangen zu können, vor allem dank des Bürgerlohns und seiner politischen Neuausrichtung. Natürlich mutet es etwas merkwürdig an, dass Conte, der mit Salvini regiert hat und alles mittrug, nun den italienischen Mélenchon geben will – ganz links außen. Aber auch das passt ganz gut zur italienischen Politkultur: Was gestern unumstößlich galt, ist heute weit weg. Und Grillo: Spielt der überhaupt noch mit?   

Silvio Berlusconi in Meran (2018)

Zu unserem Land: Müssen die Südtiroler wieder zur Mistgabel greifen oder die Schützen in Alarmbereitschaft versetzen, wenn die Postfaschistin Meloni in Rom an die Macht kommt?

Auch davon verstehen Sie viel mehr als ich. Wenn ich raten müsste: Die Postfaschisten und die Faschisten vor ihnen waren ja nie sehr angetan von autonomen Modellen, um es mal sehr euphemistisch zu sagen, sie sind es heute so wenig wie früher. Und die Lega, die es wäre oder einmal war, ist so klein geworden, dass sie wohl den zentralistischen Kurs nicht korrigieren könnte, wenn Meloni den einschlagen wollte. Aber wahrscheinlich hätte sie ohnehin andere Probleme.

Aus den USA kommen beunruhigende Nachrichten: Demnach habe Russland Parteien in 24 Ländern mit rund 300 Millionen US-Dollar finanziert mit dem Ziel, diese Staaten zu destabilisieren. Glauben Sie, dass neben der Lega auch die Fratelli d’Italia Geld aus Russland bekommen haben?

Keine Ahnung. Aber überraschend wäre es nicht, Putins Destabilisierungsversuche in Europa konzentrierten sich vordringlich auf die extreme Rechte und die Rechtspopulisten. Ob die Russen sich dabei in Italien nur auf die Lega konzentriert haben, das weiß ich nicht.  

Welche Art von Russland-Politik erwarten Sie sich von Giorgia Meloni?

Sie beteuert ja gerade zu jeder Tages- und Nachtzeit, dass sie „filoatlantista“ sei, dass sie also, sollte sie an die Regierung komme, im Bezug auf den Krieg in der Ukraine die Linie der EU und der Nato fortführen würde, die auch Draghis Linie war. Diese Beteuerungen dienen dazu, den Westen zu beruhigen. Ihr eigener Atlantismus ist aber auch nicht gerade langen Datums. Und wie Berlusconi und Salvini, ihre Partner, über Putin denken, wissen wir ja hinlänglich. 

SZ-Korrespondent Oliver Meiler (Foto: Privat)

Die Fratelli d’Italia sind also transatlantisch und für Waffenlieferungen an die Ukraine, die Lega fordert die Abschaffung der Sanktionen gegen Russland. Wie können diese Parteien zusammen regieren?

Das ist die große Preisfrage. Eigentlich geht das nicht zusammen.

Sie zitieren in Ihrem Artikel Filippo Ceccarelli von „La Repubblica“ mit der Aussage: Wenn Meloni mal vier, fünf, sechs Monate im Palazzo Chigi sein wird, werden die Ersten sagen: Was für eine Qual, diese Meloni, die denkt nur an sich, was glaubt die eigentlich, wer sie ist. Ist das ein mögliches Szenario?

Wahrscheinlich schon, ja. Ob sie der Unmut auch zu Fall bringen würde, ist eine andere Frage, da spielen tausend andere Dynamiken der Politik. Und die sind in Italien bekanntlich völlig unvorhersehbar und oftmals irrational.

Interview: Artur Oberhofer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (10)

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  • rumer

    Warum sollte die Flat-Tax verfassungswidrig sein? Wer mehr leisten kann, muss mehr zahlen…..sagt die Verfassung. Wer 1 M€ verdient, zahlt dann 150k€, wer 100k€ verdient zahlt dann 15k€ und wer unter 7k€ verdient, zahlt eh nix.

    • heracleummantegazziani

      Weil Art. 53 Der Verfassung folgende zwei Prinzipien festhält:

      „Tutti sono tenuti a concorrere alle spese pubbliche in ragione della loro capacità contributiva.“

      „Il sistema tributario è informato a criteri di progressività.“

      Es stimmt zwar, dass auch mit einem einheitlichen Steuersatz, wer mehr verdient mehr Steuern zahlt, aber nicht im Verhältnis seines Vermögens. Das würde dem Prinzip der progressiven Besteuerung widersprechen. Progressive Besteuerung heißt, dass der Steuersatz nicht für alle gleich sein kann.

      • rumer

        @hera
        die Progressivität ist schon mal durch den Freibetrag für Geringverdiener gegeben. Damit sind schon viele steuerfrei.
        Warum verwendest du den Begriff Vermögen bei der Einkommenssteuer? Das Vermögen kriegst du eh nicht in die Einkommenssteuer. (Flat Tax ihin oder her) ….da musst du schon eine Vermögenssteuer einführen.

    • andreas

      STF ist u.a. wegen solchen wie dir unwählbar, bauernschlau und nur wie auch die meisten SVPler auf die eigenen Vorteile bedacht.
      Nebenbei wäre die Flat-Tax nach oben begrenzt und in einem Sozialstaat ist es üblich, das höhere Einkommen auch prozentual höher besteuert werden.
      Was ein Sozialstaat aber nicht vorsieht, sind neunmalkluge Bauern, welche auf Kosten der Gesellschaft jeden Cent abstauben wollen und sich danach noch als Helden fühlen, da sie das System ausgetrickst haben.

  • artimar

    Die Zurückhaltung, die Beschwichtigung …, insbesondere der dt. Auslandspresse, ist bekannt.
    Dabei entscheidet sich diesmal viel — insbesondere, ob in Europa die offene Gesellschaft, vor dem Hintergrund der gemachten historischen Erfahrungen in Italien mit Terror-und Gewaltherrschaft (1922-1945) sich gegenüber ihren Feinden zu verteidigen vermag (K. Popper).

    • artimar

      P.S. „Flüchtig wie ein Furz“, ein Vergleich über den man sich in Italien medial unheimlich aufgeregt hat, ist vielmehr eine Verharmlosung nach der Art des Alexander Gaulands mit dem „Vogelschiss“.
      Das hat man in Italien natürlich nicht verstanden. Das Zielpublikum war ja auch eine deutsche Leserschaft.

  • andreas1234567

    Hallo aus D,

    es verwundert nicht wenn ein deutscher SZ-Korrespondent auf die Meinung der „La Repubblicca“ zurückgreift, die haben zusammen dem britischen Independent und der spanischen El Pais eine enge redaktionelle Zusammenarbeit.
    Sollte man wissen in diesem Zusammenhang.
    Und speziell Berlusconi und La Repubblicca verbindet eine enge und herzliche Geschichte, die Zeitung hatte sich damals umfangreich in der pikanten Liebesgeschichte zwischen Berlusconi und seiner nicht ganz gleichaltrigen Liebschaft verbissen und ihn auch ziemlich und verdient vorgeführt.Bunga-Bunga Partys falls sich jemand erinnert..

    Das Interview ist dementsprechend einzuordnen, man springt dem geschäftlich verbundenem Blatt mit der „deutschen Meinung“ zur Seite weil man völlig zu Recht späte Rache erwartet.

    Und natürlich kann die Rechtsallianz das azurblaue vom Himmel versprechen und danach auch einhalten und bezahlen, Rom ist in den letzten beiden Jahren von der EU ein gigantischer Geldsack mit über 200 Milliarden Euro vor den Regierungspalast gestellt worden.
    Da kann Meloni,Salvini und Berlusconi lange den Weihnachtsmann und das Christkind spielen..
    Und wenn Südtirol ganz lieb ist darf das ungezogene Kind aus den Bergen auch mal in den Sack greifen..Böse Kinder kriegen aber nichts.

    Sonntagsgruss aus D

  • franz19

    Hätte die SVP mehr geleistet mit seinen Partner bräuchten alle keine Angst zu haben…Alle haben in seine eigene Säcke gewirtschaftet und das Volk war ihnen scheissegal …und das ist jetzt die Rechnung

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