Peter Rosei liest
„Wer war Edgar Allan?“ war Peter Roseis erster Erfolgsroman: ein abgründiges Vexierspiel, eine rauschhafte Hommage an ein spätherbstliches Venedig und an Poe, den Meister des doppelbödigen Erzählens. Am Donnerstag liest er bei Literatur Lana.
1977 erschienen, 1984 kongenial von Michael Haneke verfilmt, verbindet „Wer war Edgar Allan?“ halluzinatorische Delirien mit präziser gesellschaftlicher Diagnose. Ein rauschgiftsüchtiger Student stromert durch Venedig, eine zwielichtige Contessa stürzt vom Dachgarten ihres Palazzo, ein Drogen-Syndikat herrscht geheimnisvoll im Hintergrund, und ein mysteriöser Herr namens Edgar Allan scheint viele dunkle Fäden zu ziehen. Die Neuauflage greift das Kult-Cover von Walter Pichler auf und macht einen Klassiker der Nachkriegsliteratur wieder für ein breites Lesepublikum zugänglich!
Es wäre aber falsch anzunehmen, ich hätte damals durchwegs ein ungeselliges Strotterleben geführt. An manchen Tagen, und gar nicht so selten, machte es mir ein eigentümliches Vergnügen, mein Quartier in der Kleidung eines eleganten jungen Herrn zu verlassen. Den leichten Staub mantel, wie er zu der Zeit in Mode war, über den Arm gelegt, strebte ich schnell der nächsten Anlegestelle zu und ließ mich durch das Gewirr brackiger Seitenadern auf den Canale Grande hinausrudern. Dann genoss ich es, als ein Auferstandener über die bunten und marmornen Fassaden der Paläste hinzublicken, die von größeren Kähnen erzeugten Wellen an ihren Portalen hell und glitzernd emporspritzen zu sehen. Je härter die vergangenen Exzesse gewesen waren, desto beglückender spürte ich die Frische der Meerluft, die Kühle der Schattenzonen, das breite Einströmen des Lichts: Wie fern war ich im Rausch diesem
Leben gewesen! Und in einer Mischung von Gefühlen, die mehr dem Spott als dem Ernst zu lag, erinnerte ich mich der Worte des Goetheschen Epigramms:
Diese Gondel vergleich ich der sanft einschau-
kelnden Wiege,
und das Kästchen darauf scheint ein geräumiger
Sarg.
Recht so! zwischen der Wieg und dem Sarg, Wir
schwanken und schweben
auf dem großen Kanal sorglos durchs Leben dahin.
Peter Rosei, geboren 1946 in Wien. 1968 promovierte er zum Doktor der Rechtswissenschaften. Seit 1972 lebt er als freier Schriftsteller in Wien und auf Reisen. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u. a. Franz-Kafka-Preis 1993, Anton-Wildgans-Preis 1999, Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 2006, Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien 2007 und Großes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich 2016. Zuletzt erschienen: „Die Wiener Dateien“ (5 Bände im Schuber, 2016), „Karst“ (2018), „Die große Straße“ (2019), „Das Märchen vom Glück“ (2021).
Termin: Donnerstag, 15. September um 20.00 bei Literatur Lana, Hofmannplatz 2 Lana
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.