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„Es braucht einen Sündenbock“ 

Manfred Pinzger

HGV-Präsident Manfred Pinzger kann in Südtirol keine „überdurchschnittliche Tourismusbelastung“ erkennen und reagiert mit scharfen Worten auf die Kritik der Umweltverbände. 

Tageszeitung: Herr Pinzger, die Ergebnisse des Landesstatistikinstituts ASTAT zeigen eine überdurchschnittliche Tourismusbelastung in Südtirol. Wie bewerten Sie diese Zahlen?

Manfred Pinzger: Diese Zahlen sind im Verhältnis so nicht ganz korrekt. Da wir als Hoteliers- und Gastwirteverband stets Angriffen ausgesetzt sind, will ich das richtigstellen: In Südtirol sprechen wir von maximal 33 Millionen Nächtigungen im sogenannten Spitzenjahr 2019. Tirol verzeichnete hingegen über 45 Millionen Nächtigungen. Deshalb lassen wir diese ungleiche Beurteilung nicht einfach so auf uns sitzen.

Laut Ihnen gibt es also noch Luft nach oben?

In bestimmten Gebieten unseres Landes haben wir absolut das sogenannte „tetto massimo“ an Verträglichkeit erreicht. Dies trifft aber sicherlich nicht, wie derzeit oftmals pauschal beurteilt wird, auf das ganze Land zu, denn wir sind sehr unterschiedlich aufgestellt: In bestimmten Gebieten können Sie auch am 15. August eine Hochgebirgswanderung machen und werden überrascht sein, sollten Sie fünf weitere Menschen antreffen. Ich habe erst kürzlich um eine Flasche Wein gewettet, dass Stammgäste, die jedes Jahr zu mir in den Vinschgau kommen, am Sonntag auf einer der schönsten Rundwanderungen des Vinschgau weniger als zehn andere Bergwanderer treffen würden. Fakt ist: Sie haben lediglich sechs Wanderer getroffen. Auch entlang des Marteller Höhenwegs kann man im August stundenlang wandern und trifft dabei eher auf einen Bären als auf jemanden, der einem auf die Zehen tritt. Deshalb lassen wir solch pauschale Vorwürfe gegen den Tourismus von verschiedenen unqualifizierten Personen nicht gelten.

In welchen Gebieten ist hingegen die Decke erreicht?

Das Dolomitengebiet ist im Sommer und in bestimmten Wintermonaten sehr gut besucht. Dort sind sich jedoch die Touristiker selbst größtenteils einig, dass das Maß erreicht ist. Um das zu verstehen, brauchen wir keine belehrenden Worte von irgendwelchen Pseudogrünen oder Natur- und Umweltschützern. Sie sollen ihre Arbeit machen und wir machen unsere. Aus diesem Grund haben wir uns, im Gegensatz zu anderen Sektoren, bei der Diskussion zum Betten-Reglement konstruktiv eingebracht. Wir verstehen sehr wohl selbst, wo die Decke erreicht ist.

Ist das Maß nicht bereits überschritten?

In bestimmten Gebieten wären die Gemeindeverwalter, die Bürgermeister und die Verantwortlichen für die wirtschaftliche Entwicklung sogar dankbar für eine stärkere Belebung und die Schaffung weiterer Arbeitsplätze vor Ort. In anderen Gebieten sind wir absolut damit einverstanden, dass es so reicht. Deshalb kann man nicht durchgehend Frontalangriffe gegen einen Sektor starten, in dem über 40.000 Beschäftigte einen guten Job gefunden haben. Alles, was den Tourismus anbelangt, wird schlecht geredet. Wie immer braucht es einen Sündenbock. Diese Pauschalverurteilungen der Herrschaften vom Verband für Natur- und Umweltschutz und dem Heimatpflegeverband schlagen dem Fass den Boden aus, weil sie schlichtweg nicht wahr sind. Wir haben tausende Familienbetriebe, die in der Peripherie arbeiten und die man mit solchen Verurteilungen allesamt in denselben Topf wirft.

Die Hauptforderung der Umweltschützer ist ein nachhaltiger Tourismus. Wie setzt sich der HGV dafür ein?

Die touristische und somit auch die urbanistische Entwicklung müssen im Einvernehmen mit der Verträglichkeit gestaltet werden. Doch nicht das gesamte Land lässt sich über einen Kamm scheren. Natürlich kommt es zu viel Durchzugsverkehr im Land, doch wir haben uns als Sektor in die Diskussion eingebracht und Zugeständnisse für eine bessere Steuerung gemacht. Zweitens geht es um die Ressourcen: Wir müssen natürlich vorsichtig sein, was den Wasserverbrauch anbelangt. Wie bisher kann es bestimmt nicht weitergehen. Deshalb haben wir selbst intern kundgetan, dass auch wir als Gastronomen mit Hinweistafeln die Gäste zum Wassersparen animieren müssen. Seit Jahren setzen wir uns für nachhaltige Entwicklungen ein, sind Teil des Klimaneutralitätsbündnisses und bilden Mitarbeiter auf internationaler Ebene aus, unsere Betriebe in Bezug auf Nachhaltigkeit zu unterstützen. Zudem haben wir mit den Vitalpina Hotels eine Kooperationsgruppe in unserem Verband, die mehr oder weniger alle zertifiziert sind. Derartige Angriffe gegen uns sind absolut ungerechtfertigt, denn wir tun alles in unserer Macht stehende, um unseren Beitrag zu leisten.

Welche Maßnahmen sind in den stark belasteten Gebieten nötig?

In Prags wurde das beispielsweise inzwischen geregelt. Durch Verkehrsregelungen dürfte es möglich sein, dass man Hotspots besser steuern kann. Diesen Vorschlag machen wir bereits seit vier oder fünf Jahren und erwarten uns entsprechende Schritte seitens der Politik. Bestimmte Gebiete, die stark überlaufen sind, müssen gesteuert werden. Doch wird es jemandem im Burggrafenamt, Schenna oder Meran zu viel, soll er in den Zug steigen, nach Mals fahren und dort abseits von jeglichen Massen eine von dutzenden Wanderungen machen. Bestimmte Herrschaften marschieren provokativ in die Hotspots, um stets jammern und reklamieren zu können. Steuerungen, wie sie zurzeit in Prags angewandt werden, sind vermehrt und auch seit längerem bereits nötig. Deshalb fordern wir seit Jahren eine verträgliche Steuerung.

Wie bewerten Sie den beschlossenen Bettenstopp?

Im Sinne einer flächendeckenden soliden Entwicklung, hätte man zwischen strukturstarken und strukturschwachen Gemeinden differenzieren müssen. Die Politik hat anders entschieden und natürlich bleiben einige Fragen offen. Der Bereich mit dem größten Zuwachs in den letzten zehn Jahren, nämlich Urlaub auf dem Bauernhof mit einem Nächtigungsplus von 53 Prozent, wurde von der Kontingentierung herausgenommen. Hier fehlen mir die konkreten Begründungen. Wir stehen als Verband zu dem, was den gewerblichen Bereich betrifft: Mit Ausnahme der bereits genehmigten Tourismuszonen werden keine neuen großen Betriebe auf der grünen Wiese benötigt. Unsere kleinen Betriebe sollen jedoch im Interesse einer möglichen Entwicklung bestimmte Erweiterungsmöglichkeiten haben. Der Markt verlangt einen sensibleren Umgang mit der Natur und der Umwelt und wir verstehen auch ohne belehrende Worte von irgendwelchen Natur- und Landschaftspflegern, dass es in diesem Bereich Handlungsbedarf gibt.

Interview: Franziska Mayr

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