„Familie braucht Rückgrat“
KFS-Präsidentin Angelika Mitterrutzner über ihre Motivation, über gleichgeschlechtliche Paare, Umwelt und Konsum.
Die Stimme einzelner Familien geht im Getöse des Alltags unter. Immer höher, schneller, weiter soll es gehen, die Menschen wollen immer mehr. Der Mensch ist gefangen in diesem Kreislauf nie endenden Wünschen und Bedürfnissen des immer Mehr, immer Größer, immer Noch…
Angelika Mitterrutzner, dreifache Mutter und Großmutter, ist seit 1991 im Katholischen Familienverband Südtirol aktiv und in bereits 3. Legislatur dessen Präsidentin.
Zu gut kennt sie die Probleme und Anliegen der verschiedensten Familienkonstellationen und hat im Laufe der immerhin über 30 Jahre viel gesehen, erlebt und ihre Erfahrungen und Schlüsse daraus gezogen.
Über ihre Motivation als KFS-Präsidentin, über die brisanten Themen Religion, gleichgeschlechtliche Paare, Umwelt, Konsum, Resilienz und über die Zukunft des Verbandes in einer unruhigen Zeit, in der Kirche und Familie mehr denn je in Frage gestellt werden, ist aus diesem Sommergespräch zu erfahren:
Woraus schöpfen Sie die Kraft, das Amt der KFS-Präsidentin auszuüben bzw. wodurch angespornt haben Sie die Nominierung zur bereits 3. Legislatur bei der Wahl im Vorjahr angenommen?
Meine Motivation ist die Gewissheit, dass es Menschen braucht, die sich für die Belange der Familien in Südtirol und darüber hinaus einsetzen – die Stimme der einzelnen Familie geht im Getöse des Alltags leider unter, deshalb fühlt sich der KFS als Sprachrohr für viele Familien. Bewusst sage ich nicht für alle Familien, denn ein Sprichwort lautet „Jedem recht getan ist eine Kunst, die niemand kann“ und natürlich sind nicht immer alle mit allem einverstanden. Eine Pandemie, die nur wenige Sitzungen und Zusammenkünfte in Präsenz ermöglichte, hat es schwer gemacht in persönlichen Gesprächen nach neuen motivierten Köpfen für den Vorstand zu suchen. Wir hatten auch eine Optimierung unserer Bezirke vorgenommen und mussten uns mit dieser neuen Struktur erst zurechtfinden. Gerne bin ich dem Wunsch der Vorstandsmitglieder nachgekommen und habe eine erneute Kandidatur angenommen.
Wie steuern Sie als Kapitän das KFS-Schiff mit der großen Besatzung der über 1000 Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen, einem Vorstand und einer Landesleitung?
Die große Besatzung ist das Potenzial des Familienverbandes! Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung und den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen ist hervorragend und meine Hochachtung gilt den vielen Ehrenamtlichen, die ihre Zeit unentgeltlich zum Wohle der Zweigstellen und der Familien zur Verfügung stellen. Da ist es eine Ehre, die Repräsentantin dieses Verbandes zu sein. Zugegebenermaßen gibt es nicht nur Freudenmomente, auch Unerfreuliches begleitet unseren Alltag im Verband, aber nachdem nicht alles so heiß gegessen wird wie es gekocht ist, finden wir meist eine gute Lösung für die anfallenden Probleme.
Wie hat sich die Familie im Laufe der vielen Jahre, die Sie im KFS sind, gewandelt?
Ich bin seit 1991 im KFS aktiv. Gewandelt hat sich so einiges, gab es früher in einigen Orten sogenannte Mütterrunden, wo sich Frauen mit (und ohne) Kinder am Vormittag getroffen haben um sich weiterzubilden, gemeinsam zu basteln oder etwas zu unternehmen, ist das heute kaum noch praktikabel. Heute müssen in den allermeisten Familien beide Elternteile arbeiten. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit hat es mit sich gebracht, dass die Familien Angebote unserer Zweigstellen gerne annehmen, persönliches Engagement und ehrenamtlicher Einsatz aber leider oft auf der Strecke bleiben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Wohl des Kindes nicht immer an erster Stelle steht, sei es in der Familie, in der Betreuung, in der Bildung, in der Freizeit – das finde ich bedenklich und sehr schade.
Welches sind für Sie persönlich die drei wichtigsten Werte, die heute in der Gesellschaft zunehmend fehlen und für die Sie brennen?
Herzlichkeit, Solidarität, gemeinsam getragene Verantwortung für Mensch und Natur.
Was sind für den KFS die wichtigsten Themen im Familienbeirat, dem der Familienverband seit der ersten Stunde angehört?
Als Interessenvertretung für Familien auf politischer Ebene macht sich der KFS vor allem für positive Sichtweise und Einstellung zur Familie, Wahlfreiheit für die Betreuung der Kinder bis zum dritten Lebensjahr bei gerechter finanzieller Absicherung für die Rente – Vereinbarkeit Familie und Beruf, qualitativ hochwertige außerfamiliäre Kinderbetreuung, steuerliche Vorteile für Familien, Verbesserung der Wohnsituation – für leistbares Wohnen stark.
Wie machen sich die Teuerungen für die Familien in Ihrer Wahrnehmung bemerkbar und wie kann der Wunsch nach „Weniger ist mehr,“ (…) weniger, langsamer, besser, schöner…, umgesetzt werden?
Die Teuerungen sind eine Tatsache, mit der wir uns momentan sehr stark beschäftigen müssen – und ein Patentrezept habe ich nicht auf Lager. Sicher haben viele Familien Probleme damit zurecht zu kommen, trotzdem entspricht es scheinbar der Südtiroler Mentalität, sich irgendwie durchzuwursteln und möglichst nicht zuzugeben, wie schwer man sich tut. Anders kann ich mir nicht erklären, dass wenige Südtiroler Familien um eine Unterstützung bei unserem Hilfsfond FiN (Familie in Not) ansuchen. Als KFS versuchen wir stets Hilfestellung zu geben. Wenn die Corona-Lockdown Zeiten auch oft bitter und gewöhnungsbedürftig waren, viele haben das gemeinsame, langsamere und reduzierte Leben genossen, war es für manche Familie doch ein Runterfahren zum Einfachen, Wesentlichen…
Sie selbst sind Mutter und Oma, Ehefrau und Hausfrau und waren jahrzehntelang „nebenher“ oder hauptsächlich berufstätig: Wie war das zu stemmen und gibt es ein Geheimrezept?
Geheimrezept gibt es keines. Geholfen hat mir ein verständnisvoller Arbeitgeber, mein Organisationstalent, meine Belastbarkeit, das Zurückstellen persönlicher Wünsche, mein Ehrgeiz und vor allem das Zusammenspiel in der Familie, das Verständnis meines Mannes, meiner Kinder, die Unterstützung meiner Mutter, der ich dann jahrelang (in zunehmendem Alter pflegebedürftig) vieles zurückgeben durfte, was sie für mich und meine Familie getan hat. Ein gesunder Optimismus und die Freude über Gelungenes, aber auch das Zulassen von Unvollendetem – das sind meine Wegbegleiter.
Vor welchen größten Herausforderungen stehen die Familien von heute?
Die Familien brauchen heute schon ein starkes Rückgrat, auch eine gute Portion Selbstbewusstsein, vor allem die nötigen finanziellen Unterstützungsmaßnahmen und nicht zuletzt die besonders wichtigen sozialen Kontakte (Großeltern, Nachbarschaftshilfe etc…)
Wie will es dem KFS gelingen, die Familien mit ihren Anliegen und Problemen abzuholen?
Unsere 114 KFS-Zweigstellen in den einzelnen Dörfern und die 10 KFS-Bezirke sind sehr aktiv, organisieren südtirolweit Aktionen, Kurse, Vorträge, Feste, religiöse Feiern im Jahreslauf für die Familien und gestalten damit das aktuelle Dorfleben für die Familien. Zudem bietet der Verband Kinderbetreuung (Erlebniswochen) in der Ferienzeit, ein Weiterbildungsprogramm mit Online-Vorträgen und Referaten in Präsenz zu den verschiedensten Themen das ganze Jahr hindurch. All das ergänzt mit unseren bewährten Projekten Familien-Jolly, Sternenkinder, Freiwilligenprojekt Frühe Hilfen. Auch in unserer Verbandszeitschrift FiS (Familie in Südtirol) werden aktuelle Themen von Fachleuten kritisch unter die Lupe genommen und beantwortet. So werden die Familien konkret unterstützt.
Hat der KFS Chancen, den Wirren, Kritiken und Anfeindungen standzuhalten und zu überleben?
Davon bin ich überzeugt, keine Frage!!!
Es ist dies „ein heißer Sommer mit unerwarteten Ereignissen“, heißt es in der Politik. Ist das auch im KFS so?
Heiß ist der Sommer und die Ereignisse sind vielfältig, besorgniserregend und unerwartet, aber gemeinsam gibt es Lösungen für Vieles, sicher nicht für Alles.
„Vielfalt Familie“ hat sich der Katholische Familienverband auf die Fahnen geschrieben. Was ist darunter zu verstehen, wie geht der KFS damit um?
Das KFS-Jahresmotto „Vielfalt Familie“ sagt aus, dass alle Familienformen, sei es unter den Mitgliedern als auch in den verschiedenen Ausschüssen, im KFS ausnahmslos willkommen sind. Darunter auch Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen. Es müssen vor allem jene Familien unterstützt werden, deren Kinder sich für eine Partnerschaft zwischen zwei Menschen gleichen Geschlechts entschieden haben. Wir wollen Zeichen setzen, dass wir alle eine Gemeinschaft sind. Für uns im KFS bedeuten alle gleich viel, es kommt auf die richtige Dosis an, wir wollen weder provozieren, noch übertreiben, aber diese Realitäten auch nicht verstecken.
Was ist die wohl größte Herausforderung für die mit über 15.000 Mitgliedsfamilien stärkste familienorientierte Verbandsstruktur des Landes?
Auch in Zukunft ehrenamtlich engagierte Menschen zu finden, die zusammen mit einem motivierten hauptamtlichen Team die Geschicke des Verbandes leiten und lenken.
Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie sich bzw. den KFS im Jahr 2030?
Persönlich sehe ich mich hoffentlich gesund mit meinem Mann auf Reisen oder irgendwo auf einem gemütlichen Platzl in Südtirol. Der KFS wird sich den Herausforderungen stellen und Lösungen für Probleme finden, noch wichtiger aber ist, dass der Familienverband immer Stütze und Sprachrohr für Familien ist und dies auch in Zukunft sein wird.
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