„Dunkle Musik für dunkle Zeiten“
Hannes Kerschbaumer hat für das Rahmenprogramm der Biennale Gherdëina ein Werk für Chor und Elektronik komponiert, das heute vom Grödner Jugendchor Cor di Jëuni Gherdëina unter der Leitung von Samuel Runggaldier in der Fischburg uraufgeführt wird.
Tageszeitung: Herr Kerschaumer, eine Komposition für den Grödner Jugendchor Cor di Jëuni Gherdëina mit dem Titel „Dark Voices“ – was ist an Jugendstimmen dunkel?
Hannes Kerschbaumer: Der musikalische Kontext, den ich in diesem Werk geschaffen habe, verleiht den Stimmen etwas Dunkles. Hohe Register werden nur selten bedient, Klänge gleiten stufenlos durch den Tonraum, verschmelzen mit den elektronischen Klängen. Und nicht zuletzt die Textfragmente selbst verweigern eine heitere Stimmung. Dunkle Musik für dunkle Zeiten.
Haben Sie selbst einmal in einem Chor gesungen?
Chormusik war in meiner Kindheit und Jugend eine ständige Begleiterin. Angefangen beim Kirchenchor meines Heimatdorfes, dann beim Vinzentiner Knabenchor, später beim Domchor Brixen.
„Dark Voices“ ist ein Werk für zwei Soprane, Sprecherin, Chor und Elektronik. Was macht das Schreiben von Vokalmusik aus? Geht es dabei vor allem um den konsonanten Klang?
Die menschliche Stimme ist bekannterweise das flexibelste und klangreichste Instrument – dies macht das Komponieren mit Stimme so spannend. Im Kontext der Chorkomposition tritt zudem noch die Anzahl der Stimmen hinzu, welche wiederum neue klangliche Konstellationen ermöglicht. Laut meiner eigenen ästhetischen Auffassung ist konsonanter Klang nur ein möglicher Knotenpunkt von vielen innerhalb eines klanglichen Kontinuums. Wenn wir bedenken, welch riesige Palette an geräuschhaften konsonantischen Klängen eine Stimme erzeugen kann, wäre es doch schade, den Stimmapparat auf das „traditionelle“ Singen einzuschränken.
Zwei Chöre und Mehrkanal-Elektronik, um immersive Klangräume im Innenhof der Fischburg zu schaffen. Können Sie uns Ihre Kompositionsmethode mit einem Bild beschreiben?
Ein wichtiger Teil des Kompositionsprozesses war die Verräumlichung der Klänge. Jegliches Klangelement dieser Komposition weist eine individuelle räumliche Laufbahn auf. Mit der derzeit zur Verfügung stehenden Software ist es möglich, diese Laufbahnen am Bildschirm zu zeichnen und unmittelbar auch anzuhören. Dies ermöglicht ein haptisches räumliches Erleben des Klanges, wie ich dies in allen meinen Werken zu erschaffen versuche. Das Publikum im Innenhof der Fischburg wird umgeben sein von Klängen aus verschiedenen Positionen und menschlichen wie digitalen Klangquellen.
Chorsingen spielt in der zeitgenössischen Musik eine eher untergeordnete Rolle. Warum eigentlich?
Generell zeigt sich bereits im 20.Jahrhundert der Fokus auf kammermusikalische Besetzungen, auch im Bereich der Stimme. Wie es Solistenensembles für Neue Musik gibt, finden wir diese auch im Bereich der Vokalmusik. Jedoch müsste zuallererst eine Begriffsbestimmung von „zeitgenössisch“ vorgenommen werden, denn aufgrund derer würde sich bereits ein gänzlich anderes Bild ergeben. In vielen Ländern der Welt finden wir eine blühende Chorkultur, die auch Neues in ihre Programme einbindet. Beschränken wir zeitgenössische Vokalmusik hauptsächlich auf erweiterte Gesangtechniken jenseits des traditionellen Gesanges, ist eine untergeordnete Rolle erkennbar. Dies liegt einerseits daran, dass sich zeitgenössischer Gesang an Hochschulen erst seit wenigen Jahren etabliert und andererseits der Stimmapparat per se durch seine verschlossene Position im Körper weniger zugänglich gestaltet als andere Musikinstrumente und sich dadurch einer unmittelbaren Erforschung entzieht.
Die literarische Vorlage bilden Textfragmente von Leonardo da Vinci und Gina Mattiello. Worum geht es in den Texten?
Die Biennale Gherdeina trägt dieses Jahr den Titel „Persones Persons“. Ich nahm dies zum Anlass, um auf musikalische Weise einige Facetten des menschlichen Wesens, aber auch des menschlichen Körpers zu beleuchten. Leonardo da Vinci mit seinen Texten über den menschlichen Körper und Geist kamen mir sehr gelegen, auch Gina Mattiello stellt den menschlichen Körper in den Mittelpunkt und seziert ihn auf fragile Art und Weise. Aus mehreren Textfragmenten entstanden somit fünf Tableaus, fünf Blicke auf den Menschen: voices of body, voices of darkness, voices of cold, voices of hope, voices of despair.
Wie muss ein Text sein oder was muss er enthalten, damit Sie sagen: Das will ich vertonen.
Wenn sich bei mir beim erstmaligen Lesen eines Textes Klangvorstellungen einstellen, weiß ich, dass der Text geeignet ist. Bis dato hat sich dies immer noch als der beste Gradmesser bei der Textwahl erwiesen.
Interview: Heinrich Schwazer
Termin: 20. August um 16.00 und 18.00 in der Fischburg, Wolkenstein. www.biennalegherdeina.it/it/parallelevents/
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