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„Umdenken im großen Stil“

Foto: lpa

Die Heimatpflegerin Claudia Plaikner, Präsidentin des Heimatpflegeverbandes, zeigt sich überzeugt, dass der Bettenstopp wirkungslos sein wird.

Tageszeitung: Frau Plaikner, Südtirol weist laut Landesstatistikinstitut ASTAT im Vergleich zu anderen Alpenregionen eine überdurchschnittliche Tourismusbelastung auf. Wie bewerten Sie sie?

Claudia Plaikner: Wir als Heimatpflegeverband Südtirol warnen bereits seit vielen Jahren vor dem immer stärker aufgeheizten Tourismus in unserem Land. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Auch im Zuge der Diskussionen über den Bettenstopp haben wir gefordert, nicht nur einen Bettenstopp zu beschließen, sondern den Tourismus als Ganzes anders zu denken. In Zeiten der Klimakrise muss Tourismus umgedacht und vor allem neu gedacht werden. Neue Tourismuskonzepte müssen sich der Verantwortung für den Menschen und für die Umwelt bewusster werden.

Welche Auswirkungen hat der Massentourismus aus Ihrer Sicht auf die Umwelt?

In Bezug auf die Umwelt geht es in erster Linie um die unzähligen Ressourcen, die durch den Massentourismus verschwendet werden. Ganz aktuell ist in diesem Zusammenhang die Wasserknappheit. Durch Saunaanlagen und Schwimmbäder werden abertausende Liter an Wasser verbraucht. Diesen Luxus können wir uns heute nicht mehr leisten. Auf der einen Seite verdorren den Bauern in der Poebene die Früchte und auf der anderen Seite wird bei uns in Saus und Braus gelebt und Urlaub gemacht. Unser Umgang mit der Ressource Wasser ist untragbar und wir müssen endlich lernen, Wasser als ein kostbares Gut zu betrachten. Der Tourismus beansprucht auch immense Nutzflächen. Man muss sich wirklich fragen, warum so viele Flächen vom Tourismus genutzt werden dürfen, obwohl man sie viel nötiger für die Lebensmittelproduktion gebrauchen könnte. In den letzten fünf Jahren hat die Gesamtfläche der Zonen für touristische Einrichtungen um unglaubliche 46 Prozent zugenommen. Zudem wird die Umwelt durch den starken Verkehr, verursacht durch die massiven Gästeanstürme auf Südtirol, zunehmend belastet. Erschreckenderweise trägt der Tourismus zu 20 Prozent der CO2-Emissionen in Südtirol bei.

Wie können diese Probleme behoben werden?

Der Heimatpflegeverband fordert ein striktes Umdenken. Die Landesregierung und andere politische Entscheidungsträger müssen Weichen stellen, damit ein zukunftsorientierter und nachhaltiger Tourismus realisiert werden kann. Wir leben in einem wunderbaren Land mit einer einzigartigen Kultur- und Naturlandschaft. Durch die Ausbeutung, die in den vielen letzten Jahren betrieben wurde, ist eben diese Qualität bedroht worden. Nicht nur die Einheimischen, auch die Touristen selbst bekommen diesen Qualitätsverlust zu spüren. Das beste Beispiel ist der massenhafte Ansturm am Pragser Wildsee. Hier wird uns jedes Jahr aufs Neue vor Augen geführt, wie katastrophal die Situation ist.

Wie bewerten sie den hierzu beschlossenen Bettenstopp?

Die Diskussion muss viel breiter geführt werden, ein Tunnelblick für den Bettenstopp reicht bei weitem nicht. Das Tourismuskonzept beinhaltet viele Baustellen, welche allein durch diesen Beschluss nicht beseitigt werden. Vielmehr braucht es ein Umdenken im großen Stil, ansonsten ist die Qualität Südtirols gefährdet. Der beschlossene Bettenstopp ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, es gibt hier jedoch ein entscheidendes Problem: Sehr viele der derzeit laufenden und der zukünftigen Projekte orientieren sich noch am alten Raumordnungsgesetz. Deshalb wird sich trotz Bettenstopps über viele Jahre hinweg im Bausektor überhaupt nichts ändern.

Welche zusätzlichen Maßnahmen bräuchte es?

Der Tourismus muss umwelttauglich und nachhaltig werden. Jeder spricht über die Idee der Nachhaltigkeit und der Begriff nachhaltig ist bereits zu einer gängigen Floskel im Tourismuswesen geworden. Doch beispielsweise der Verzicht auf Plastik im Hotel ist noch lange kein Garant für Nachhaltigkeit, das wäre zu einfach. Vielmehr müsste man die Gäste motivieren, nicht mit dem PKW anzureisen. Dafür muss das reibungslose Funktionieren des öffentlichen Nahverkehrs gewährleistet werden, was wiederum nur durch eine verstärkte Förderung dieses Bereichs möglich ist. Der Tourismus als Lobby muss seine Schlagkraft nutzen und sich in der Politik für eben diese Themen einsetzen. Auch sollten Hotels einem Nachhaltigkeitsplan folgen und die Pflicht haben, Kostenwahrheit an den Tag zu legen. Dadurch könnte man eine gewisse Kontrolle gewährleisten. Landesrat Arnold Schuler hat die Vergabe eines grünen Sterns an gastronomische Betriebe bei deren Erfüllung bestimmter Nachhaltigkeitsprinzipien vorgeschlagen. Diese Idee finde ich großartig, denn so könnten Hotels mit Umweltmaßnahmen und nicht wie bisher lediglich mit ihrer Größe punkten.

Braucht es auch Maßnahmen, um den Massentourismus einzudämmen?

Natürlich müssten auch Maßnahmen getroffen werden, dass die immense Anzahl an Gästen, die nach Südtirol kommt, reduziert wird. In den Hotspots, also insbesondere in den Dolomiten rund um die Drei Zinnen, im Villnößtal und in Prags, ist die Lebensqualität der dort lebenden Menschen in den letzten Jahren flöten gegangen. Für die Einheimischen sind die Zustände teils katastrophal. Früher hat der Tourismus unter den Einheimischen stets breite Zustimmung genossen. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, wie viel Reichtum er nach Südtirol gebracht hat. Diese Stimmung hat sich jedoch verändert und die Zustimmung der Südtiroler für diesen Sektor fehlt teilweise. Viele Menschen hierzulande fühlen sich bedrängt von der Masse an Touristen. Auch finanziell ist der starke Zulauf nicht nur ein Vorteil: Grundstücke werden immer teurer und als „normaler“ Mensch kann man sich keine Wohnung mehr leisten. Deshalb lautet meine Devise: Ein nachhaltiger Tourismus ist ein sozialverträglicher Tourismus.

Interview: Franziska Mayr

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