„Wir sind am Ende unserer Kräfte“
Mehrere Kinderbetreuerinnen vom Landeskinderheim IPAI in Bozen klagen über akuten Personalmangel in ihrer Einrichtung. Sie stellen klare Forderungen.
von Roman Gasser
Es ist wohl die letzte Anlaufstelle für die Ärmsten der armen Kleinkinder in Südtirol. Im Landeskleinkinderheim IPAI (Istituto Provinciale Assistenza Infanzia) in der Bozner Guntschnastraße werden Schwangere, Mütter und Kinder im Alter bis zu drei Jahren untergebracht, die sich in persönlichen, familiären und sozialen Schwierigkeiten oder in einer Notlage befinden. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Südtirol.
Eigentlich sollten in der Struktur maximal sieben Heimkinder betreut werden, diese Anzahl wurde aber seit Monaten überschritten.
Für diese Einrichtung sind 16 Betreuerunskräfte vorgesehen. Momentan sind sie aber lediglich zu zwölft, davon ausgenommen sind die permanenten Urlaube und die anfallenden Krankenstände. Eine einzige Kinderbetreuerin auf neun oder zehn Kinder stellt für das Personal eine große Belastung dar.
Die Einrichtung tut sich äußerst schwer, Personal zu finden. Hier gibt es laut den Betreuerinnen einen Lösungsvorschlag, der seit einiger Zeit auf dem Tisch liegt, von der Politik aber nicht beachtet werde. „Es müsste nur ein Passus bei den Voraussetzungen abgeändert werden, damit es Bewerbungen geben würde.“, sagen die Betreuerinnen. „Dieser Vorschlag sieht vor, dass auch die einjährige Ausbildung zur Kinderbetreuerin der Landes-Fachschulen Hannah Arendt und Levinas als Zugangsvoraussetzungen anerkannt werden.“
Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, wurden Freiwillige, Praktikantinnen und Sozialbetreuerinnen hinzugezogen. Das bedeutet aber eine Doppelbelastung für die Betreuerinnen: „Die Praktikantinnen, Freiwilligen und Sozialbetreuerinnen haben zu wenig Erfahrungen und keine angemessene Ausbildung. Außerdem verlassen sie die Einrichtung nach kurzer Zeit wieder“, heißt es.
Der Personalmangel wirke sich auch auf die Betreuung der Kinder negativ aus, wie eine enttäuschte Kleinkindbetreuerin des Landeskleinkinderheims IPAI berichtet: „Den Kindern fehlt eine konstante Bezugsperson, eine Bindung aufzubauen ist nahezu unmöglich. Abgesehen davon, sind alltägliche Dinge wie ein Spaziergang an der frischen Luft organisatorisch nicht mehr zu bewältigen.“
Es gibt keinen Bereitschaftsdienst und keine Nachtzulage. Somit bleiben laut der Betreuerin die unbesetzten Stellen unattraktiv. Hier sei der Hebel ansetzen. Die Risikozulagen und der Bereitschaftsdienst müssten laut zudem vertraglich anerkannt werden. „Man kann die Kinder nicht alleine lassen oder nur beschränkt betreuen“, so die IPAI-Angestellte.
Das Hauptproblem bleibt aber die Zugangsvoraussetzung: „Die soziale Matura bereitet einen nicht auf die Kleinkinderbetreuung vor. Dafür gibt es eine Ausbildung direkt vor Ort. Es ist vollkommen irrelevant, welche Oberschule vorher besucht wurde. Es wurde versäumt viele Stellen nachzubesetzen, die durch Pensionierungen oder vorrübergehende Mutterschaft nicht nachbesetzt wurden. Bei den Wettbewerben haben sich viele gemeldet. Diese Personen sind aber dann leider durch den Rost gefallen, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllt haben“, unterstreicht eine weitere Betreuerin. Die Kleinkindbetreuerinnen sind sich sicher, dass sich mit einer Änderung der Zugangsvoraussetzung mehr Interessenten für diesen Beruf melden würden.
Durch den akuten Personalmangel entstünden zudem ungute Situationen: „Wir arbeiten an den Wochenenden, in den Nächten, an den Feiertagen und im Sommer, machen viele Überstunden – somit wird diese Stelle unattraktiv. Durch Covid hat sich die Situation noch mehr zugespitzt. Es kommt dazu, dass teilweise Zwölf-Stunden-Turnusse in Isolation gemacht werden müssen. Wir sind am Ende unserer Kräfte.“
Ein weiteres Problem: Laut der Betreuerinnen müssen sie teilweise selbst den Kleinkindern Medikamente verabreichen: „Wir gehen hier ein zusätzliches Risiko ein, weil unsere zwei Krankenschwestern nur von Montag bis Samstag anwesend sind. Aber Kinder benötigen auch am Sonntag oder Samstagnachmittag, Feiertagen oder in der Nacht ihre Medizin – und dann müssen wir einspringen.“ Auch das Kochen an Sonn- und Feiertagen bleibt den Kinderbetreuerinnen als zusätzliche Arbeitsbelastung.
Unterstützung bekommen die Betreuerinnen von Gianluca Moggio von der Gewerkschaft GS. Laut der Betreuerin wird seit über fünf Jahren dafür gekämpft, dass die Verträge und die Zugangsvoraussetzungen angepasst werden. Auch die Zulage für einen Bereitschaftsdienst fehlt: „Wir bekommen nur die Zwölf-Stunden-Zulage, aber nicht die 24-Stunden-Zulage. Wir haben auch keine Risikozulage, obwohl wir sogar covid-positive Kinder betreuen und in Isolation gehen müssen.“
Da es sich um eine essentielle Struktur handelt, wäre es fatal, wenn weitere Betreuerinnen ihre Arbeit kündigen würden: „Wenn bei uns jemand ausfällt, dann kann man herumtelefonieren und auf den guten Willen einer Person hoffen, welche dann einspringt. Der Turnus kann nicht unbesetzt bleiben. Der Bereitschaftsdient muss endlich umgesetzt werden, da er eigentlich schon genehmigt worden ist.“
Die Betreuerinnen wollen auch Folgendes klarstellen: „Die Vertragsprobleme seien mal dahingestellt, es geht uns vor allem ums Wohlbefinden der Kinder. Man hat sich für den Sozialberuf entschieden, um den Kindern zu helfen und nicht mitanzusehen wie durch
den Personalmangel die Struktur droht zusammenzubrechen. Man schafft es kaum, alle Kinder zu wickeln oder zu füttern. Bei Kindern die jünger als eineinhalb Jahre sind, schafft man es kaum hinterher zu kommen. Die jüngsten sind ein paar Tage oder Wochen alt.“
Genau die Kinder, die im Landeskleinkinderheim betreut werden, mit ihren Hintergründen und Schwierigkeiten, hätten eine zeitintensivere Betreuung und mehr Aufmerksamkeit verdient.
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