Der Fall Vallazza
Manfred Vallazza gerät wegen einer Bau-Affäre massiv unter Druck: Der SVP-Politiker hat sich laut einem Gerichtsurteil einen finanziellen Vorteil von 100.000 Euro verschafft – auf Kosten der öffentlichen Hand.
von Artur Oberhofer
Es war das Nachrichtenportal Salto.bz, das die politische Bombe zündete.
Unter dem Titel „Vallazzas Schwester“ zeichnete Christoph Franceschini eine komplexe Urbanistik-Geschichte nach, die den SVP-Politiker und Regionalassessor Manfred Vallazza arg in die Bredouille bringt.
Der Fall – ein toxischer Cocktail aus Bauernschläue und möglichem Betrug – ist deswegen so brisant, weil die Geschütze auf Manfred Vallazza nicht etwa von den Oppositionsbänken aus abgefeuert wurden, sondern weil jetzt ein ehrenwertes Gericht festgestellt hat, dass sich der SVP-Politiker einen finanziellen Vorteil von 100.000 Euro verschafft habe – auf Kosten der öffentlichen Hand.
Um was geht es?
Der Succus der Affäre Vallazza ist im Urteil des Bozner Verwaltungsgerichtes vom 1. August (Aktenzeichen 214/2022) zusammengefasst. Die Urteilsverfasserin steht nicht im Verdacht, eine SVP-Gegnerin zu sein: es ist Margit Falk Ebner, die Frau von „Dolomiten“-Chefredakteur Toni Ebner.
Auf 30 Seiten zeichnet Margit Falk Ebner den Fall Vallazza penibel nach.
Und die Richterin kommt zu Schlüssen, die für den SVP-Ladiner nicht nur wenig schmeichelhaft sind, sondern die wenig Interpretationsspielraum zulassen.
Die Verwaltungsrichterin Margit Falk Ebner schreibt, dass im Fall Vallazza die „in den Gesetzesbestimmungen geschaffenen Anreize gezielt so angewendet (wurden), dass dem Grundeigentümer (Vallazza) und dessen Schwester unter mehreren Gesichtspunkten finanzielle Vorteile entstanden und gleichzeitig der öffentlichen Hand ein finanzieller Nachteil zugefügt wurde“.
Und weiter: „Das bedeutet, dass es sich im Anlassfall um eine klare Umgehung der vom Gesetzgeber im öffentlichen Interesse geschaffenen Regelung handelt.“ Es gehe klar hervor, so schreibt Richterin Falk Ebner, dass im Fall Vallazza – Zitat – „nicht das öffentliche Interesse verfolgt wurde, sondern Privatinteressen im Vordergrund standen und diese von der Gemeinde Wengen unterstützt wurden“.
Harter Tobak! In jeder normalen Demokratie müsste ein Politiker nach so einem vernichtenden Gerichtsurteil seinen Hut nehmen. Manfred Vallazza, der schlaue Bauer, sagte gegenüber Salto.bz ganz kühn: Er habe das Urteil noch nicht gelesen. Und: „Ich gehe davon aus, nichts Unrechtes getan zu haben.“
Im Kern geht es im Fall Vallazza um ein im Gadertal erfundenes System, mit dem vor allem die Gemeinden Wengen, Enneberg und St. Martin in Thurn im Zusammenspiel mit kreativen Anwälten und zuvorkommenden Gemeindepolitikern die öffentliche Hand – wie man so schön sagt – übers Haxl gehauen haben.
Die Spielwiese ist der geförderte Wohnbau.
Die Gemeinden können Erweiterungszonen für den Wohnbau ausweisen. Die neuen Erweiterungszonen haben nach dem Raumordnungsgesetz eine klare Aufteilung. Erstellt die Gemeinde den Durchführungsplan für die neue Wohnbauzone, sind 60 Prozent für den geförderten Wohnbau und 40 Prozent für den privaten Wohnbau vorgesehen. Kommt der Durchführungsplan vom Grundeigentümer, ist das Verhältnis 55 zu 45 Prozent.
Im Gadertal hat man im Zusammenspiel zwischen Gemeinde und Privaten ein System entwickelt, das die gesamte Wohnbauförderung ad absurdum führt.
Das Spiel läuft so:
Der Grundeigentümer verzichtet auf den freien Teil und gibt der Gemeinde den gesamten Teil für den geförderten Wohnbau. Die Gemeinde zahlt dem Grundeigentümer den festgelegten Schätzpreis, der um 10 Prozent über den Marktwerk nach oben korrigiert wird. Nach der Erstellung einer Rangliste, für die es genaue gesetzliche Vorgaben gibt, werden die Gründe dann den Gesuchstellern zugewiesen.
Die neuen Eigentümer zahlen an die Gemeinde – weil es sich um den „geförderten Wohnbau“ handelt – aber nur 50 Prozent des Enteignungspreises. Die restlichen 50 Prozent des Enteignungspreises holt sich die Gemeinde – wie Salto.bz recherchiert hat – über die ebenfalls im Wohnbaugesetz vorgeschriebene Baulandfinanzierung für den geförderten Wohnbau beim Land zurück.
Mehr noch: Im Gadertal hat man die sogenannten „Mikrozonen“ erfunden. Das sind kleine Wohnbau- und Erweiterungszonen, in denen nur ein oder zwei Häuser gebaut werden können. Diese Mikrozonen werden im landwirtschaftlichen Grün neben einem geschlossenen Hof, meistens in abgelegenen Weilern oder abseits des geschlossenen Siedlungsgebietes ausgewiesen.
Nach der Ausweisung suchen die für den geförderten Wohnbau Berechtigten um die Zuweisung an. Unter diesen sind dann auch die Kinder oder Verwandten des ursprünglichen Grundbesitzers, die alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Die Gemeinde beschließt die vorgesehene Rangliste. Kurz vor der Zuweisung verzichten dann die Vorgereihten, und so kommen die Kinder bzw. die Verwandten des ursprünglichen Grundeigentümers zum Zug.
Ein konkreter Fall: Der Sohn baut ein Haus neben dem elterlichen Hof, der Vater bekommt für den Baugrund von der Gemeinde eine erhöhte Enteignungssumme ausbezahlt. Der Sohn selbst zahlt nur 50 Prozent des Enteignungspreises für den Grund, die restlichen 50 Prozent werden von der Gemeinde übernommen. Weil der Sohn zusätzlich noch um eine Wohnbauförderung ansuchen kann, ist es für die gesamte Familie eine mehr als lukrative Operation.
Aber auch die Gemeinde steigt ohne Verlust aus diesem Deal aus. Laut Landesgesetz erhält die Gemeinde über die Baulandfinanzierung die restlichen 50 Prozent des Enteignungspreises vom Land rückerstattet.
Das Fazit von Salto.bz: „Am Ende spielt das Land Christkind und die privaten Grundeigentümer kommen verbilligt zu einem Eigenheim neben ihrem Elternhaus. Die Gemeinde unterstützt dabei einie Operation, die zu einem eindeutigen finanziellen Schaden für die öffentliche Hand führt.“
Dieses System wurde im Gadertal jahrelang praktiziert, immer laut Salto.bz seien mindestens 16 solcher Operationen aktenkundig. Es war der damalige Direktor des Landesamtes für Wohnbauförderung, Martin Zelger, dem irgendwann die häufigen Namensgleichheiten zwischen Grundbesitzern und den Bauherren auffielen.
Als er den Fällen nachging, flog das gesamte System auf.
Zelger informierte in einer Sachverhaltsdarstellung seine Vorgesetzen und schlug vor: Das Land solle in diesen Fällen die 50-prozentige Baulandfinanzierung an die Gemeinden verweigern. Sowohl der damalige Landesrat Cristian Tommasini als auch Abteilungsdirektor Wilfried Pallfrader unterstützten diese Gangart – und so gingen die besagten Gemeinden plötzlich leer aus.
Die Gemeinden marschierten vor das Verwaltungsgericht, die Rekurse wurden aber allesamt abgewiesen.
In einen am 28. Jänner 2015 erlassenen Urteil des Bozner Verwaltungsgerichtes, verfasst von Richterin Edith Engl, heißt es:
„Die These der Gemeinde, dass, weil es der Gemeindeverwaltung gelungen ist, den Eigentümer zu bewegen, die gesamte Fläche für den geförderten Wohnbau zur Verfügung zu stellen, bei der Ausweisung der Zone und des Durchführungsplanes eindeutig das öffentliche Interesse im Vordergrund gestanden hat, überzeugt dieses Gericht nicht. Der Verzicht scheint vielmehr Teil der bereits von vornherein abgesprochenen Vorgangsweise zu sein.“
Auch der Staatsrat bestätigte Jahre später die Bozner Richtersprüche.
Und jetzt zum konkreten Fall Vallazza, so wie ihn Salto.bz rekonstruiert hat: Manfred Vallazza wohnt auf dem elterlichen Erbhof „Lurch de Survisc“ im Wengener Weiler „Cians“. Dort auf 1.475 Metern Meereshöhe betreibt der SVP-Landtagsabgeordnete mit seiner Familie einen Hofschank und Urlaub auf dem Bauernhof-Betrieb.
Bis zu seiner Wahl in den Südtiroler Landtag war Manfred Vallazza, Referent im Gemeindeausschuss und Mitglied der Baukommission der Gemeinde Wengen. Am 24. Oktober 2018, drei Tage nach den Landtagswahlen, beschloss der Gemeindeausschuss die Enteignung der Flächen des geförderten Wohnbaugrundes und der Erschließungsflächen in der Erweiterungszone „Cians 2”. Es handelte sich dabei um eine Fläche in unmittelbarer Nähe des Surcisc-Hofes, der ausgewiesene Grund gehört Manfred Vallazza.
Es ist eine dieser typischen Gadertaler Mikrozonen, die in zwei Baulose mit einer Fläche von 381 m² und einer zweiten Fläche von 430 m² unterteilt wurde.
Auf dieser Fläche konnten zwei Einfamilienhäuser gebaut werden. Grundeigentümer Manfred Vallazza hatte schon vorab zugestimmt, auf den freien Teil der Erweiterungszone zu verzichten und den gesamten Grund für den geförderten Wohnbau zur Verfügung zu stellen. Das erhöhte auch seine Enteignungsentschädigung.
Bereits ein Jahr vor der Ausweisung dieser Erweiterungszone genehmigte die Gemeinde Wengen die endgültige Rangordnung der eingereichten Gesuche um Zuweisung von gefördertem Bauland.
In dieser Rangordnung waren ursprünglich sechs Antragsteller gereiht, darunter als Erstgereihter ein gewisser Daniel Vallazza, der Cousin des Grundeigentümers, und als Letztgereihte eine gewisse Monica Vallazza, die Schwester von Manfred Vallazza.
Dazwischen gab es vier Gesuchsteller, die nachträglich aber für eine Fläche in einer anderen Wengener Erweiterungszone optierten. Der offizielle Grund: Sie wollten lieber im Dorf bleiben.
So wurden die beiden Baulose von der Gemeinde als gefördertes Bauland der Vallazza-Schwester Monica und dem Cousin Daniel Vallazza zugewiesen.
Bei der Abtretung der gesamten Fläche für den geförderten Wohnbau hätte eigentlich die Gemeinde von Amts wegen den Durchführungsplan erstellen müssen. Doch in diesem Fall war es Manfred Vallazza, der auf eigene Kosten den Durchführungsplan erstellte, den die Gemeinde dann genehmigte.
Für das Bozner Verwaltungsgericht ist die Sache glasklar:
„Wenn Art. 37, Absatz 2 des LROG dann jedoch so angewendet wird, dass der Grundeigentümer den Durchführungsplan selbst erstellt, obwohl er auf den gesamten freien Teil verzichtet, ist offensichtlich, dass das Interesse des Privaten an der Verwirklichung eines ganz bestimmten, maßgeschneiderten Vorhabens (hier zwei Gebäude) bei gleichzeitiger Erhöhung der ihm zuerkannten Enteignungsentschädigung sehr groß ist, sodass anzunehmen ist, dass das gesamte Vorgehen (der Verzicht auf die freie Fläche einerseits und die Erstellung des Durchführungsplans andererseits), Teil der bereits von vornherein abgesprochenen Vorgehensweise ist.“
Vallazzas Plan ging auf.
Von den insgesamt sechs in der Rangordnung Gereihten waren nur die Vallazza-Schwester und sein Cousin im Weiler Cians ansässig, und es war deshalb von vornherein klar, dass sie für die Zuweisung eher in Frage kommen würden.
Zudem hatte die gesamte Operation für Manfred Vallazza und seine Familie einen dreifachen Vorteil. Wäre die Zone „normal“ verbaut worden, hätte der Erstgereihte Daniel Vallazza 55 Prozent der Fläche als gefördertes Bauland bekommen und Manfred Vallazza hätte die 45 Prozent der freien Fläche seiner Schwester zum Marktpreis abtreten können.
Mit dem von Vallazza selbst erstellten Durchführungsplan wurde dieses Verhältnis umgedreht. So hat die Letztgereihte Monica Vallazza 55 Prozent der Fläche bekommen. Zudem entstand Monica Valazza ein klarer finanzieller Vorteil, weil sie neben der etwaigen Wohnbauförderung (einmaliger Beitrag) für den Bau des Eigenheimes – aufgrund des Umstandes, dass ihr gefördertes Bauland zugewiesen wurde – nur die Hälfte des Enteignungspreises zahlen musste und nicht den Marktwert.
Das Verwaltungsgericht kommt denn auch zu einem eindeutigen Schluss:
„Diese Tatsachen beweisen klar, dass die gesamte Vorgehensweise darauf abgestimmt war, vor allem private Interessen, nämlich die des Grundeigentümers auf die Entrichtung einer höheren Entschädigung und die der Schwester auf die Zuweisung einer größeren Fläche (55% statt 45%) und auf die Bezahlung der Hälfte des Enteignungspreises, zu verfolgen und nicht rein öffentliche Interessen.“
Inzwischen haben sowohl Monica Vallazza als auch Daniel Vallazza ihr Eigenheim längst errichtet.
Das Gericht kam außerdem zu dem Schluss, dass Manfred Vallazza durch diesen Deal einen Gewinn von fast 100.000 Euro einheimsen konnte. 100.000 Euro auf Kosten der Steuerzahler!
Urteilsverfasserin und Richterin Margit Falk Ebner schreibt nämlich:
„Der Grundeigentümer, Herr Manfred Vallazza, der – wie gesagt – 100% der Fläche dem geförderten Wohnbau abgetreten hat, erhielt eine Entschädigung von insgesamt 166.302,50 Euro. ..[…].. Wäre die Zone jedoch 45:55 aufgeteilt worden, so hätte der Grundeigentümer eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 66.852,50 Euro für den geförderten Teil erhalten (…). Dadurch, dass der Grundeigentümer – anders als üblich und grundsätzlich vorgesehen – 100% der Fläche dem geförderten Wohnbau abgetreten hat, entstanden somit der öffentlichen Verwaltung fast 100.000,00 Euro an Mehrkosten, weil diese eine Entschädigung von insgesamt 166.302,50 Euro zahlen musste. (…) In diesem Zusammenhang darf auch nicht übersehen werden, dass es sich bei diesen Mehrkosten in Höhe von fast 100.000,00 Euro um öffentliche Gelder handelt, die für andere, tatsächlich förderungswürdige Vorhaben laut Wohnbauförderungsgesetz somit nicht mehr zu Verfügung stehen. Dieser Umstand ist vor allem in Zeiten der Knappheit der öffentlichen Ressourcen als besonderes scherwiegend anzusehen.“
Dass dieser Skandal überhaupt ans Tageslicht kommt, ist der Gemeinde Wengen zu verdanken, die – ganz unverfroren – am 8. November 2018 beim Amt für Wohnbauförderung den Antrag zur Finanzierung des Grunderwerbs für Vallazzas Erweiterungszone „Cians 2“ stellte. Am 1. Dezember 2021 lehnte der Abteilungsdirektor für Wohnbau per Dekret diese Finanzierung ab. Die Begründung: Das Land habe den Deal durchschaut.
Die Gemeindeverwaltung rekurrierte beim Verwaltungsgericht.
Mit dem Fall wurde Vallazzas Parteifreund Meinhard Durnwalder betraut, der in seinem Schriftsatz behauptete, alles sei im öffentlichen Interesse erfolgt. Der Anwalt und SVP-Senator drehte den Spieß um und warf der Landesverwaltung „Befugnisüberschreitung und Faktenfehlbeurteilung sowie die Verletzung der Begründungspflicht wegen unzureichender und widersprüchlicher Begründung“ vor.
Doch vor Gericht blitzte Anwalt Meinhard Durnwalder mit seiner kühnen These ab.
Im Urteil von Margit Falk Ebner heißt es:
„Das bedeutet, dass es sich im Anlassfall um eine klare Umgehung der vom Gesetzgeber im öffentlichen Interesse geschaffenen Regelung handelt, die Ausdruck eines eindeutigen Befugnisfehlgebrauchs seitens der Gemeinde Wengen ist. Somit kann das Vorhaben nicht als förderungswürdig angesehen werden, weil nicht im öffentlichen Interesse gehandelt wurde, sondern eindeutig Privatinteressen verfolgt wurden.“
Für den Politiker Manfred Vallazza ist das Urteil freilich vernichtend.
Es bleibt abzuwarten, ob die Südtiroler Volkspartei einen Mandatar in ihren Reihen tolerieren kann und will, der – laut Gericht –„eindeutig Privatinteressen verfolgt“ und der öffentlichen Hand „Mehrkosten von 100.000 Euro“ verursacht hat.
Eine SVP-Politikerin (die jedoch nicht dem mächtigen Bauern-Flügel angehörte) musste vor gut einem halben Jahr wegen ein paar hundert Euro zurücktreten.
Kommentare (48)
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