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DJ HELL in der BASIS Vinschgau

DJ Hell: „DJs sind Wissenschaftler“ (Foto: Sven Marquard)

Am Samstag 16. Juli tritt der international bekannte Techno-Producer und Labelinhaber Helmut Geier, in arte DJ Hell, in der BASIS Vinschgau Venosta in Schlanders auf.

 Von Walter Garber

Das französische Elektronik-Duo Daft Punk geben 1996 auf ihrem Debütalbum Homework Produzenten und Discjockeys als ihre Lehrmeister an, die meisten aus den USA und England. Der einzige Deutsche neben Tonka, der im Track Teachers genannt wird, ist DJ Hell aus München.

Der 1962 geborene, bei Traunstein in Oberbayern aufgewachsene Geier, interessiert sich schon in der Kindheit stark für Musik und Mode und hört heimlich spätabends Radiosendungen, bei denen Undergroundplatten vorgestellt werden. Er übt aber auch wettkampfmäßig mehrere Sportarten wie Fußball und Leichtathletik aus. Mit 16 Jahren lernt er die Welt der Diskotheken seiner ländlichen Gegend kennen und beschließt, statt Profisportler, DJ zu werden. Er macht gerade seine Lehre als Betriebsschlosser und fängt an, nebenbei in den Discos des Chiemgaus aufzulegen. Sofort nach der Lehre in den frühen 80ern zieht es Hell in die Großstadt München, wo er sich im Park Café und im Tanzlokal Größenwahn als Resident-DJ einen Namen macht.

Spielt DJ Hell anfangs noch einen bunten Stilmix von New Wave, Punk, Hip Hop, Ska und Disco, so fokussiert er sich immer mehr auf die elektronische Musik mit EBM und Electro, und schließlich ab 1985 auf House und Techno, das vorwiegend von Schwarzen in Chicago und Detroit produziert wird. Auch arbeitet er an eigenen Tracks und bringt 1992 seine erste Schallplatte My Definition of House Music auf dem belgischen Label R&S heraus, die gleich zum internationalen Clubhit wird. Damit nimmt seine Karriere Fahrt auf und er spielt regelmäßig in den angesagten europäischen Clubs, v.a. in Berlin. 1993 lebt er ein Jahr in New York, wo er gemeinsam mit dem Detroiter Techno-Produzenten Jeff Mills im Limelight, einer ehemaligen Kirche, spielt. 1994 erscheint Hells Debütalbum Geteert & gefedert (Disko-B).

Immer wieder tritt Hell auf der Love Parade auf. Durch den Job in einem der wichtigsten Technoplattenläden dieser Zeit, dem Berliner Hardwax, knüpft DJ Hell direkte Kontakte zu den herausragenden Underground-Labels aus Detroit, Chicago, New York und London. Damit kommt er schon Monate früher zu den heißen Scheiben und festigt seinen Ruf als Pionier der Clubmusik in Deutschland.

1996 gründet Hell, der stets elegant und stilsicher auftritt, sein überaus erfolgreiches Label International Deejay Gigolos. Er veröffentlicht Platten von deutschen und internationalen Artists, bekannten Szenegrößen und unbekannten Newcomern. Auf Gigolo erscheinen Platten von Jeff Mills, Dopplereffekt oder Scott Ferguson aus Detroit, von Miss Kittin & The Hacker, Vitalic und Laurent Garnier aus Frankreich, von Dave Clarke, KLF und Marc Almond aus Großbritannien, Bobby Konders und Fischerspooner aus New York, Tiga aus Kanada und vielen anderen.

Mit diesen Veröffentlichungen erlangt das Label und mit ihm DJ Hell weltweiten Kultstatus. 1998 erscheint Hells zweites Album Munich Machine, der Titel verweist nicht zufällig auf den Südtiroler Giorgio Moroder, welcher 20 Jahre vorher von München aus die Discowelt eroberte.

Die Single Kernkraft 400 des deutschen Techno-Projekts Zombie Nation erscheint 1999 auf Gigolo Records und ist heute eines der meistgespielten Stücke bei riesigen Sportereignissen wie Super Bowl und wird auch regelmäßig in der NHL gespielt, es ist auch die offizielle Torhymne der deutschen Fußballnationalmannschaft.

Mit seinem Gigolo Label begründet DJ Hell maßgeblich das Subgenre Electroclash, das einen riesigen Hype erzeugt. Hell tourt in der Zeit mit zwei prallgefüllten Koffern mit Schallplatten durch die Clubs und Festivals der Welt. Diese große Aufmerksamkeit entgeht auch Arnold Schwarzenegger nicht, der leider humorlos auf die Verwendung eines Fotos von ihm für das Labelartwork von Gigolo reagiert und DJ Hell zu einer hohen Schadenersatzzahlung verklagt.

Nach einem weiteren längeren Aufenthalt in New York erscheint sein vielbeachtetes drittes Studioalbum NY Muscle. DJ Hell, der seit jeher an Mode interessiert ist, bespielt regelmäßig die Fashionshows bekannter Designer wie Hugo Boss und Versace. Bis 2004 unterhält der DJ auch seinen eigenen Club, die „Villa“ im heimatlichen Traunstein. Im selben Jahr wird er für das New Yorker W Magazine von Karl Lagerfeld fotografiert, den er für dessen Perfektion und Konzentriertheit bei der Arbeit bewundert.

2009 erscheint Hells vierter Longplayer Teufelswerk, der in Peter Kruders Studio in Wien produziert wird. Als weitere Gaststars vertreten sind u.a. der Sänger von Roxy Music Brian Ferry, der US-Rap-Superstar P. Diddy und der italienische Jazz-Pianist Roberto Di Gioia. Hell legt damit ein psychedelisches Technoalbum mit Referenzen an die deutsche Elektronik der 70er, die mit zeitgemäßen Mitteln interpretiert ist, vor.

2013 erscheint auf Gigolo Records eine von DJ Hell remixte Version des berühmten Cold Song von Claus Nomi. Hell ist ein großer Bewunderer des 1983 verstorbenen deutschen Countertenors, der auch von David Bowie verehrt wurde.

In seinen DJ-Mixes spielt Hell kaum seine eigenen, von ihm produzierten Tracks, denn das fühle sich nicht gut an, wie er einmal in einem Interview mitteilt. Mit seinen Sets und seinem Label möchte er jedoch so etwas wie die „Beastie Boys des Techno“ sein. Ebenso wie die drei weißen New Yorker Rapper sich mit ihrem Crossover von verschiedenen Musikstilen in dem von Schwarzen dominierten Hip Hop großen Respekt erarbeiteten, möchte Hell verschiedene Genres und Phasen der elektronischen Musik und darüber hinaus widerspiegeln, aber immer in einer zeitgemäßen Interpretation: „DJs sind Wissenschaftler und sie werden besser mit mehr Erfahrung und mit den Reisen um die ganze Welt, wo sie vor verschiedenen Nationalitäten spielen. Ich versuche, neue Wege zu gehen und mit verschiedenen Menschen und Musikgenres zu experimentieren.“

DJ Hell, der stets ein großer Bewunderer von David Bowie ist, schreibt für ihn einen Song und trifft sich mit einer Kontaktperson aus dessen Umfeld, um das Projekt zu besprechen. Doch zur Realisierung kommt es nicht mehr, zwei Wochen später, Anfang Januar 2016, stirbt David Bowie. Nachträglich bezeichnet Hell diese stilbildende Künstlerpersönlichkeit als seinen wichtigsten Einfluss neben Brian Ferry und Iggy Pop. Im Bereich der elektronischen Musik haben für ihn die Düsseldorfer Elektronikpioniere Kraftwerk den höchsten Stellenwert. Als seine großen DJ-Vorbilder, an denen er sich immer orientiert hat, erwähnt Helmut Geier die Detroiter Jeff Mills und Derrick May. Letzterer bezeichnet DJ Hell einmal als den „blackest“ of all white DJs.

2017 erscheint DJ Hells fünftes Studioalbum Zukunftsmusik. Das Artwork wird mit homoerotischen Comiczeichnungen des verstorbenen Künstlers Tom of Finnland gestaltet. Damit möchte Hell seine Dankbarkeit an die Gay-House-Kultur ausdrücken, welche von den schwarzen DJs Ron Hardy in Chicago und Larry Levan in New York meisterhaft zelebriert wurde und welche die heute existierende Clubwelt maßgeblich geprägt hat.

DJ Hell spielt weiterhin weltweit, immer wieder im Berliner Berghain, auch auf Festivals in Großbritannien, Amerika und Japan, doch bei weitem nicht 300 Shows im Jahr wie einige andere Szenestars. Die Auszeiten für Erholung, im Sommer gerne in seiner oberbayerischen Heimat, sind dem 59jährigen sehr wichtig. DJ Hell lebt sehr gesundheitsbewusst, macht viel Sport, raucht und trinkt nicht. Das ist vielleicht auch eines der Erfolgsrezepte, warum er nach 40 Jahren immer noch so aktiv und produktiv ist, während viele andere Protagonisten der Szene nach einigen Jahren im Rampenlicht, oft aufgrund physischer oder psychischer Probleme allmählich verschwinden.

2018 produziert Hell den Soundtrack für den Spielfilms Yung, der 2020 auf Hells neuem Label The DJ Hell Experience auch auf CD veröffentlicht wird.

DJ Hell betätigt sich in vielen Feldern kreativ: er schafft ein Parfüm namens Techno, entwirft das Design eines Hotelzimmers in München oder tritt in dem Roadmovie Pottoriginale als Schauspieler in Erscheinung. Die Verbindung zu wichtigen Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur zeigt sich in seinen Kollaborationen mit Film- und Theaterleuten, Designern und vor allem mit bildenden Künstlern wie Jonathan Meese. 2021 gelingt es DJ Hell, den international bekannten Künstler für die Gestaltung seines Albums House Music Box zu engagieren. Ein Jahr später intensivieren die beiden Künstler ihre Zusammenarbeit noch weiter und veröffentlichen den gemeinsamen Longplayer Hab Keine Angst, Hab Keine Angst, Ich Bin Deine Angst, bei dem Hell die Musik produziert, während Meese Texte und Vocals beisteuert. In der Pandemiezeit ist es jedoch nicht möglich, die neuen Alben live und on Tour zu promoten. So reift in Hell die Idee, Avatare von sich selbst herstellen zu lassen, welche als eine Art virtuelle Kunstfigur seine DJ-Auftritte über das Internet bestreiten. Für den Flyer des BASIS-Events wird ein Foto eines solchen Hell-Avatars verwendet.

Beim Event in Schlanders wird der deutsche Techno-Producer jedoch in persona anwesend sein. Der Clubnight geht am selben Abend und Ort die Performance The Garden of Morpheus von Clara Agnelli und DJ Hell voraus. Die aus Meran stammende, in Mexico City lebende Künstlerin zeigt einen Live-Video-Edit mit direkt von Hell dazu gespielter, eigens dafür produzierter Musik. Die Vernissage dieser Kunstaktion beginnt um 20 Uhr (siehe Kasten).

Seit der Zeit der COVID19-Pandemie lebt DJ Hell vorwiegend in Mexico City, wo die Inzidenzen niedriger sind und wo es weniger pandemiebedingte Restriktionen für Künstler und Kreative gibt. Er bespielt von dort aus die Technoclubs mittel- und südamerikanischer Städte.

Die Electroclash Tour‘22 bringt Hell in diesem Sommer nach Deutschland, Spanien, Frankreich, Österreich, Holland, Kroatien und Polen. Den einzigen Auftritt in Italien hat DJ Hell am 16. Juli in der BASIS in Schlanders. Bei dem Event werden außerdem die aus Mexiko stammende Lady Six Sky und Veloziped aus Meran auflegen. Tickets erhältlich unter https://basis.space/events

Garden of Morpheus

Video & Live Performance von Clara Agnelli x DJ Hell

Garden of Morpheus: Pflanzen drehen sich wie Himmelskörper im Raum

In der neuen Videoarbeit der Meraner Künstlerin Clara Agnelli „Garden of Morpheus“ drehen sich Pflanzen wie Himmelskörper im dunklen Raum. In Anlehnung an den griechischen Gott der Träume, der sich den Menschen mit Botschaften im Schlaf manifestiert, zeigt die Videoarbeit in einem Spiel zwischen Makro und Mikrouniversen, die uns bekannte Flora auf eine neue, außerirdisch anmutende Weise. Traumartige Bilder von Kamerafahrten durch Pflanzenwelten werden in einem Live Act vom renommierten Techno-Producer DJ Hell musikalisch untermalt. Die Premiere findet am 16. Juli um 20 Uhr  in der BASIS Vinschgau Venosta in Schlanders  statt und wird im September 2022 im Planetarium Jesus Emilio Ramirez in Medellín (Kolumbien) erneut aufgeführt. Ticket: 15 Euro, zugleich Eintritt zum KASINOclubbing fondamënt presents DJ Hell + Veloziped + Lady Six Sky gleich im Anschluss an die Vernissage.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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