Mordversuch ohne Motiv
Am Donnerstag findet am Landesgericht die erste Verhandlung gegen Ivo Rabanser wegen des Mordversuchs an seinem Bruder statt. In der Anklageschrift scheint kein Tatmotiv auf, die Verteidigung setzt auf ein verkürztes Verfahren mit einer Strafe unter fünf Jahren.
Von Thomas Vikoler
Ivo Rabanser verbringt seine Tage seit November vergangenen Jahres im Bozner Gefängnis, er besucht dort Kurse und fällt keineswegs unangenehm auf.
Warum er an Allerheiligen seinen Bruder Martin in dessen Wohnung in Wolkenstein mit einem Messer attackiert hat, ist weiterhin unklar.
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen den 42-jährigen Grödner scheint kein Tatmotiv für den zweifach erschwerten Mordversuch (verminderte Abwehrfähigkeit des Opfers, enge Verwandtschaft) auf. Auch zwei psychiatrische Gutachten zur Schuldfähigkeit Rabansers brachten keine Erkenntnisse zu den Beweggründen des Mannes, der am Tattag mit dem Fahrrad aus Verona angereist war.
Am Donnerstag findet vor Richterin Elsa Vesco die erste Vorverhandlung zu diesem enigmatischen Kriminalfall statt. Rabansers Verteidiger Mara Uggè und Marco Bascarol, die ihren Mandanten heute im Gefängnis aufsuchen werden, dürften in der Verhandlung erst einmal eine Vertagung beantragen.
Denn alles läuft darauf hinaus, dass sie für Rabanser ein verkürztes Verfahren beantragen werden, das ihm ein automatisches Drittel Strafnachlass einbringt. Die Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft über die Bedingungen des verkürzten Verfahrens müssen erst beginnen.
Die beiden Verteidiger streben jedenfalls für den 42-Jährigen eine Haftstrafe von unter fünf Jahren an. Sie bestreiten zwar nicht den Tatbestand des versuchten Mordes, betonen aber auch, dass ihr Mandant keine Tötungsabsicht nachzuweisen sei. Ivo Rabanser habe seine spätabendliche Messerattacke freiwillig abgebrochen, das müsse bei der Festlegung des Strafmaßes berücksichtigt werden. Außerdem bestreiten Uggè und Boscarol den von der Anklagebehörde vorgehaltenen erschwerenden Umstand der verminderten Abwehrfähigkeit des Opfers.
Nicht bestritten wird von ihnen das Ergebnis der beiden psychiatrischen Expertisen zur Schuldfähigkeit Rabansers: Sowohl für Fabio Bonadiman, dem Sachverständigen der Staatsanwaltschaft, als auch für Giuseppe Sartori, dem Sachverständigen der Nebenkläger, zum Tatzeitpunkt (und in den Wochen zuvor, als er in den Wäldern von Wolkenstein in einem Zelt hauste) voll willens- und einsichtsfähig, also zurechnungsfähig, war.
Ungeklärt ist bisher die Frage des Schadensersatzes bzw. Schmerzensgeldes an den Bruder, der in jener Nacht mittelschwer verletzt worden war. Laut Auskunft von Verteidiger Boscarol ist Ivo Rabanser völlig mittellos, auf seinem Konto befänden sich 200 Euro. Es besteht aber offenbar ein anteilsmäßiger Erbanspruch seinerseits an dem Haus in Wolkenstein, in dem sich die Bluttat ereignete.
Ein Verzicht auf diesen Anspruch könnte zu einem Rückzug des Nebenklägers aus dem Strafverfahren führen – und den mildernden Umstand der Entschädigung der Opfer für den Täter.
Es sieht also gar nicht so schlecht aus für den 42-Jährigen, der lange außerhalb Südtirols gelebt hatte und bis zu seiner Verhaftung als Tennisplatz-Betreuer in Verona tätig war. Bei einem milden Strafurteil könnte er bereits in wenigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen werden, sieben Monate hat er bisher in U-Haft verbracht.
Nochmal: Warum hat Rabanser die Tat begangen?
Verteidiger Boscarol vermutet Ressentiments seines Mandanten aus der Kindheit gegen den Bruder als möglichen Tathintergrund. Denn Geld- und Vermögensangelegenheiten hätten den Mann aus Wolkenstein nie interessiert.
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Kommentare (1)
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artimar
Interessant wäre hier schon zu erfahren, wie hier Gewalt entstand?
Da fährt ein Bruder (Täter) nach vielen Jahren offenbar angestauter innerer Gewalt plötzlich ohne besonderen äußeren Anlass mit dem Fahrrad in Verona los, campiert im Zelt …, um seinen Bruder zu (er)stechen.
Das klingt alles so unwirklich.