Südtiroler Sonderweg
Das Justiz-Referendum scheitert deutlich am 50-Prozent-Quorum. In Südtirol stimmten die BürgerInnen anders ab als im restlichen Italien.
Von Matthias Kofler
Die fünf Volksabstimmungen zur italienischen Justizreform haben am Sonntag deutlich das Beteiligungsquorum von 50 Prozent verpasst. Nur 20,9 Prozent der ItalienerInnen sind zu den Urnen geschritten. In Südtirol ist die Wahlbeteiligung mit 11 Prozent am niedrigsten ausgefallen. Obwohl bei allen fünf Fragestellungen mehrheitlich mit Ja abgestimmt wurde, können die von der Lega und den Radikalen angestrebten Abänderungen am italienischen Justizwesen (vorerst) nicht umgesetzt werden.
In Südtirol zeigt das Wahlergebnis eine Besonderheit: Wie schon beim Referendum zur Verfassungsreform im Jahr 2016 haben die BürgerInnen in der Autonomen Provinz anders abgestimmt als im restlichen Staatsgebiet. So sprachen sich 66 Prozent der Abstimmenden gegen und nur 34 Prozent für die Abschaffung jenes Teils des sogenannten Severino-Gesetzes aus, der den automatischen Amtsverlust von rechtskräftig verurteilten ParlamentarierInnen und RegionalrätInnen sowie den Amtsverlust von BürgermeisterInnen ab der erstinstanzlichen Verurteilung vorsieht. 65 Prozent der SüdtirolerInnen sind außerdem dagegen, die Wiederholungsgefahr aus der Reihe der Gründe zu streichen, aus denen RichterInnen die Untersuchungshaft oder den Hausarrest über eine Person während der Ermittlungen (also vor der rechtskräftigen Verurteilung) verhängen können. National waren die Mehrheitsverhältnisse genau umgekehrt. Wäre das Quorum erreicht worden, wären nur noch die Flucht- und die Verdunklungsgefahr als mögliche Gründe einer Untersuchungshaft übriggeblieben. Die Lega argumentierte, dass die Gefängnisse in Italien überfüllt seien und man daher die Wiederholungsgefahr als Grund streichen sollte.
SVP-Senatorin Julia Unterberger bezeichnet das Wahlergebnis in Südtirol als „sehr naheliegend“. Es sei „reichlich absurd“, dass mit der Lega und den Freiheitlichen ausgerechnet jene Parteien für die Streichung der Wiederholungsgefahr eingetreten seien, die ansonsten lautstark nach härteren Strafen für kriminelle Ausländer schreien würden. „Wenn die Wiederholungsgefahr eliminiert worden wäre, könnten Kleinkriminelle, die wiederholt straffällig geworden sind, nicht mehr vor einer Verurteilung inhaftiert werden“, betont die Fraktionschefin der Autonomiegruppe. Die SüdtirolerInnen seien „zum Glück gescheit genug“ gewesen, die Propaganda der Rechten zu durchschauen.
Auch beim Severino-Gesetz hätten die SüdtirolerInnen so abgestimmt, „wie sie abstimmen sollen“. „Dass rechtskräftig verurteilte PolitikerInnen nicht weiterhin im Parlament sitzen können, zeigt ein Minimum an Rechtsempfinden“, so Unterberger.
Bei den anderen drei Fragestellungen lag auch in Südtirol das Ja in Front. Beim gelben Stimmzettel ging es darum, ob RichternInnen untersagt werden soll, von der Rolle des/der RichterIn in die Rolle der/des StaatsanwaltIn zu wechseln, und umgekehrt. Der graue Stimmzettel zielte darauf ab, die Arbeit der RichterInnen auch von den Laienmitgliedern des Obersten Richterrats (AnwältInnen und UniversitätsprofessorInnen) bewerten zu lassen. Der grüne Stimmzettel schließlich sah eine Reform des CSM, sprich des Obersten Rates der Gerichtsbarkeit, und der Wahl von dessen Mitgliedern aus den Berufsrichtern (Italienisch: giudici togati) vor. Die BürgerInnen mussten darüber befinden, ob die Vorschrift, nach der RichterInnen und StaatsanwältInnen zwischen 25 und 50 Unterstützungsunterschriften sammeln müssen, um für die Wahl zum Obersten Rat der Gerichtsbarkeit kandidieren zur können, aufgehoben werden soll.
Wie Julia Unterberger ausführt, sind die drei genannten Punkte bereits Bestandteil der Reform des Obersten Richterrats, die derzeit in der Justizkommission des Senats behandelt wird. Die Cartabia-Reform gehe in dieselbe Richtung wie das Referendum. Es gebe nur minimale Unterschiede: So sei auch dort ein Funktionswechsel nur beschränkt auf die ersten neun Jahren weiterhin möglich.
Die SVP-Politikerin führt die geringe Wahlbeteiligung darauf zurück, dass die Fragestellungen zu kompliziert gewesen seien und es sich nicht um Themen gehandelt habe, die der Bevölkerung wirklich unter den Fingernägeln brennen würden. Das Ergebnis sei ein „Fiasko für die Lega“ gewesen. Deren Vorwurf, es habe ein Komplott gegen das Referendum gegeben, um eine niedrige Wahlbeteiligung zu erzielen, hält die Senatorin für weit hergeholt. Schließlich gebe es in Italien eine Medienvielfalt. „Wenn das Verfassungsgericht nicht aufgrund von juridischen Spitzfindigkeiten die Referenden zur Legalisierung von Cannabis, zur Sterbehilfe und zur zivilrechtlichen Haftung von Richtern für verfassungswidrig erklärt hätte, wäre das Quorum wahrscheinlich erreicht worden“, glaubt Julia Unterberger.
Lega-Kommissar Giuliano Vettorato bedauert das Verpassen des Quorums. In Südtirol habe sich seine Partei stark darum bemüht, die WählerInnen an die Urnen zu bringen. „Wir haben aber allein gegen alle anderen gekämpft“, sagt Vettorato und vergleicht das Thema Justizreform mit einer Krankheit: „Man tut sich schwer, die Leute für etwas zu erwärmen, von dem sie nicht betroffen sind.“ Der Kampf um die dringend notwendige Justizreform habe mit Sonntag begonnen und werde nun im Parlament fortgeführt.
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Kommentare (11)
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fakt60ist
Julia hat da schon einiges richtig kommentiert. Was die Wahlbeteiligung angeht, ist es wohl viel mehr die Wahlmüdigkeit der Bürger. Alles, was in Südtirol bei Abstimmungen im Sinne der regierenden Politiker gewonnen wurde, ist im nachhinein auch immer schnellstens umgesetzt worden. Was im Sinne der Bürger aber entschieden und gewonnen wurde, ist im nachhinein kaum berücksichtigt worden, zb.Flughafen. Was will man von der Bevölkerung noch verlangen, wenn trotzdem dann immer gemacht wird was Politiker wollen? Das einzige was wir bis heute toll hingekriegt haben ist, die Bürger ab zu zocken, zu schikanieren, zu belügen, und zu betrügen!
heracleummantegazziani
Was ist beim Flughafen nicht schnell umgesetzt worden? Im Juni 2016 ergab die Volksbefragung, dass die Mehrheit der Südtiroler wünscht, dass sich das Land aus der öffentlichen Finanzierung zurückzieht und im September 2019 wurde der entsprechende Vertrag unterzeichnet.
meinemeinung
Frau Julia , deine Aufklärung bezüglich der Einzelnen Referendumspunkte kommt reichlich spät,
im Nachhinein ist jeder gescheiter aber Ihr Politiker habt ja besseres zu tun als verwirrende Gesetze zu schmieden, die kein Mensch versteht.
tirolersepp
Salvini interessieren die Kosten einen Scheiss, ich und nach mir die Sindflut !
Das Ergebnis war doch absehbar !