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Mindestlohn für Italien?

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In Italien könnte ein Mindeststundenlohn eingeführt werden. Warum das sinnvoll sein kann.

von Heinrich Schwarz

Auf EU-Ebene sorgen derzeit die Mindestlöhne für eine Debatte. Die Verhandlungsführer des EU-Parlamentes und der Mitgliedsstaaten haben sich auf einheitliche Regeln für Mindestlöhne geeinigt. Jetzt braucht es noch grünes Licht des EU-Parlamentes und der Staaten.

Die Einigung bedeutet nicht, dass künftig europaweit einheitliche Mindestlöhne gelten. Auch nicht, dass alle Länder verpflichtend einen gesetzlichen Mindeststundenlohn einführen müssen. Vielmehr soll es einheitliche Standards geben, was die Festlegung und Anpassung von Mindestlöhnen betrifft.

Demnach müssen die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter an der Diskussion beteiligt werden. Und Mindestlöhne sollen künftig mindestens alle zwei Jahre aktualisiert werden, sofern es keine automatische Inflationsanpassung gibt.

Für Italien ist das Thema insofern von großer Relevanz, als dass der Stiefelstaat nur eines von sechs EU-Ländern ohne einen gesetzlichen Mindeststundenlohn ist. In Deutschland etwa gibt es einen Mindestlohn von 9,82 Euro brutto, der ab Oktober sogar 12,00 Euro betragen wird.

In Italien gibt es durchaus Diskussionen, ebenfalls einen Mindestlohn einzuführen. Die Debatte nimmt aufgrund der Neuigkeiten auf EU-Ebene jetzt so richtig Fahrt auf. Im Raum steht ein Mindestlohn von 9,00 Euro brutto.

Der Südtiroler EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann begrüßt die Entwicklungen: „Ein Mindestlohn wäre sinnvoll. Denn in Italien ist die Lohnentwicklung nicht zufriedenstellend und hinkt der Situation in anderen Mitgliedsstaaten ziemlich hinterher. Da Italien nicht gerade ein Billigpreisland ist, ist der kolportierte Mindestlohn von neun Euro durchaus machbar.“

Dorfmann merkt zwar an, dass es in Italien im Gegensatz zu anderen Ländern viele gewerkschaftliche Lohnverhandlungen gebe und fast alle Sektoren mit einem Kollektivvertrag und somit einer Art Mindestlohn abgedeckt seien – allerdings betreffe das nun einmal nicht alle Sektoren. „Und in den letzten Jahren haben die Lohnverhandlungen nicht so gut funktioniert wie manche sagen“, erklärt der SVP-Politiker.

In dieselbe Kerbe schlägt Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstitutes (AFI). Auch er befürwortet einen gesetzlichen Mindeststundenlohn in Italien.

Perini erläutert: „In Italien decken die Kollektivverträge fast alle Branchen ab, allerdings zeigen die kollektivvertraglichen Beziehungen in den letzten Jahren schonungslos ihre Schwächen auf. In Österreich etwa gibt es die Verpflichtung, jährlich zu verhandeln und die Löhne anzupassen, ohne dass sich eine Seite weigert. Italien hat die Schwäche, dass Verhandlungen ständig hinausgeschoben werden und es sehr selten zeitgerecht zu Tarifabschlüssen und Anpassungen kommt.“

Zudem, so Stefan Perini, gebe es in Italien einen Wildwuchs von 600 bis 700 Kollektivverträgen. Zwar gebe es einige große Verträge wie für den öffentlichen Dienst, den Handel oder den Metallsektor, darüber hinaus aber eine Unmenge anderer Verträge – darunter viele sogenannte Piratenverträge von kleinen Gewerkschaften mit sehr schlechten Bedingungen.

„Löhne und Arbeitsbedingungen passen sich also nur sehr träge an neue Gegebenheiten an und sind deshalb oft nicht mehr zeitgemäß. Das führt in doch einigen Kategorien zu prekären Situationen“, erklärt der AFI-Direktor und nennt etwa die Essens- und Paketzusteller. Schwachstellen gebe es auch bei Verträgen auf territorialer und betrieblicher Ebene.

„Das alles zeigt, dass eine untere Latte wie eben ein gesetzlicher Mindeststundenlohn nicht falsch ist“, betont Perini.

Überraschenderweise sind aber selbst die Gewerkschaften nicht ganz einverstanden damit. Sie sehen es nicht gerne, wenn der Gesetzgeber in das Thema Lohnverhandlungen eingreift. Zudem besteht die Sorge, dass ein Mindestlohn dazu führt, dass sich kollektivvertragliche Löhne eher an dieser unteren Latte orientieren.

„Dieses Problem sehe ich nicht“, sagt Stefan Perini: „Eine untere Grenze bedeutet nicht, dass sich die Löhne dahin bewegen, sondern dass die Verhandlungen über dieser Grenze stattfinden und es darunter erst gar keine Diskussion gibt. Es ist damit zumindest garantiert, dass etwa Essenszusteller oder Feldarbeiter nicht für weniger arbeiten. Es gilt, Ausbeutung und die Verarmung vieler Familien zu vermeiden.“

Wären neun Euro in Italien ein angemessener Mindestlohn? Perini will nicht eindeutig Ja oder Nein sagen, betont aber: „Je höher der Mindestlohn angesetzt wird, desto mehr unterminiert man die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Ist er hingegen zu niedrig, ist er wirkungslos. Der Mindestlohn muss sich an der Produktivität der Branchen ausrichten.“

In Italien komme das starke Nord-Süd-Gefälle hinzu, da die Lebenshaltungskosten stark divergieren. „Neun Euro können in Kalabrien viel sein, bei uns aber wenig, weshalb eine territoriale Differenzierung ein weiterer Diskussionspunkt wäre“, meint der AFI-Direktor.

Für Südtirol hätte ein 9-Euro-Mindestlohn jedenfalls wenig Auswirkungen, da die Löhne angesichts der Vollbeschäftigung und der hohen Lebenshaltungskosten in den allermeisten Fällen höher sind. In Italien hingegen arbeiten 30 Prozent der Arbeitnehmer für weniger als neun Euro in der Stunde.

Stefan Perini hofft genauso wie EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann jedenfalls, dass jetzt Schwung in die Debatte kommt. Dorfmann hält es für sinnvoll, wenn in allen EU-Ländern ein gesetzlicher Mindestlohn greift. „Natürlich muss dieser der jeweiligen wirtschaftlichen Situation angepasst sein, denn neun Euro sind in Italien etwas anderes als in Bulgarien“, merkt er an.

Der Wunsch sei natürlich, dass sich die Löhne in ganz Europa annähern. Davon sei man aber weit entfernt. „Sogar innerhalb der einzelnen Staaten“, verweist auch Herbert Dorfmann auf das große Nord-Süd-Gefälle in Italien.

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Kommentare (4)

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  • brutus

    Ich bin klar gegen einen Mindestlohn!
    …ein Gesetz für Faulenzer!
    Gute Arbeitskräfte können zur Zeit aus vielen Angeboten schöpfen und werden auch dementsprechend entlohnt werden!

  • hallihallo

    mindestlohn ist ok. was vielen in der diskussion nicht klar ist, daß man hier von bruttolohn redet.
    das problem in italien ist die besteuerung und vor allem die bürokratie. für jeden kleinen arbeitsvertrag braucht es viele papiere, während z. b. im deutschland die 400-euro-jobs sehr unbürokratisch funktionieren.
    und putzjobs und pflegejobs sollten gänzlich unbürokratisch und steuerfrei sein, denn diese jobs will ja eh niemand machen.

  • meintag

    Die Gewerkschaften sind dagegen dass der Gesetzgeber eingreift. Der Gesetzgeber greift seit Jahrzehnten ein denn die Abgaben auf den Bruttolohn sind in Italien immens.
    Bezüglich kleine Gewerkschaften haben Wir hier in Südtirol das beste Beispiel. Da werden Angestellte des ASGB mit Geld durchgefüttert dass den Arbeitnehmern abgezwackt wird.

  • morgenstern

    Die Höhe des Mindestlohns ist gleichzeitig auch das Spiegelbild einer Volkswirtschaft bezüglich Produktivität. Na dann, gute Nacht!!

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