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„der Geschmack / der letzten Schale Tee“

Joseph Zoderer (Foto: Max Lautenschläger)

Der Schriftsteller Joseph Zoderer ist am Mittwoch im Alter von 86 Jahren verstorben.  Mit seinen Romanen „Das Glück beim Händewaschen“, „Die Walsche“ „Lontano“, „Dauerhaftes Morgenrot“ hat er sich in die deutsche und europäische Literaturgeschichte eingeschrieben. Im Zentrum seines Werks stehen Identität, Verlust- und Fremdheitserfahrungen. Lesen Sie hier Reaktionen aus der literarischen und politischen Welt.

 

Ich hoffe, dass die Walsche in Süd-Tirol zur Schullektüre wird

Bei einem unserer letzten Treffen in Bruneck sagte er mir in seiner stürmischen Art, in meinem Werk vermisse er die große Erotik, und da sei ich in guter Gesellschaft, denn diesen Vorwurf müsse man auch Thomas Bernhard machen – ich war zu baff, um intelligent zu antworten, also sagte ich nur: Du erledigst das ja Gott sei Dank für mich und Thomas Bernhard mit. Da hat er gelacht, wie nur Joseph lachen konnte. Viele Jahre haben wir als Autor und Verleger gut zusammengearbeitet! Und jeder, der ihn kannte, weiß, was das bedeutet, denn er war eine harte Nuss.

Mangel an großer Erotik, solche Formulierungen bleiben haften, man fängt an zu überlegen, hat er recht oder nicht, warum eigentlich soll ich mich damit beschäftigen usw. In dieser Hinsicht war er ein Meister der Verunsicherung.

Jetzt, da auch er mich verlassen hat, sehe ich seine Romane wieder vor mir, seine Gedichte. Ich hoffe, dass die Walsche hier in Süd-Tirol zur Schullektüre wird, das wäre die schönste Ehrung dieses großen Schriftstellers, mit dem ich befreundet war.

Michael Krüger, Lyriker und ehemaliger Verleger von Joseph Zoderer im Hanser Verlag

 

Jäh und je zu Ende gesprochen

Nun hat sich dein dichtes Zwiegespräch mit dem Tod deines letzten Gedichtbandes Bäume in meinem Zimmer jäh und je zu Ende gesprochen: ein Meisterwerk, das ohne Metaphern auskommt, ohne Larmoyanz vermerkt: Ungewiss ist wohl auch / der Geschmack / der letzten Schale Tee. Nun sind wir mehr denn je auf deine Schrift verwiesen, ohne die wir uns nicht nahe kommen können. Chapeau, lieber Joseph und adieu.

Elmar Locher, Literaturwissenschaftler und Präsident der Bücherwürmer Lana

Aufruhr und Empfindsamkeit

Verabschiedet hat sich Joseph Zoderer schon seit einer Weile. Von nichts anderem als vom Tod reden seine letzten Gedichte, die voller Sinnlichkeit erinnernd rückwärts treiben, während sie dem nahenden Ende voller Angst und Aufbäumen entgegensehen.
Zwischen Aufruhr und Empfindsamkeit war Joseph Zoderer vielleicht ein ganzes Leben lang. Er scheute den Schmerz nicht und nicht den Exzess, der im Schimpfen nur eine andere Farbe hatte als im größten Lob und in der Lust am Leben. Davon zeugt seine Literatur, die stets die menschliche Existenz in den Mittelpunkt stellt und in aller Kraft der Bilder und Sprache erzählt. Ihr vertraut er mehr als aufgesetzten Botschaften. Dazu waren sein Selbstzweifel und seine Zerrissenheit zu groß und sein Bedürfnis nach politischer Meinungsmache zu klein, obwohl er ein politischer Mensch war. Aber er wusste zu unterscheiden, was politisches Statement und was poetisches Schreiben ist. Er wird fehlen.

Christine Vescoli, Leiterin von Literatur Lana

wo ihm keine und keiner je voranging

Später werde ich mir erlauben, Heimgarten, den Anger, ein Forum zu nennen: Die aneinanderhängenden, weich umschlossenen Räume, die Buchten und Kulissen, die laubigen Wände, die durchsichtigen Vorhänge, die tiefen, von Raum zu Raum reichenden, immerfort wechselnden Durchblicke und die Lichter und Schatten der Blätter auf der hellen, gemähten Wiesenfläche. All das gibt den Angern so etwas wie den Charakter kleiner Lichthöfe ins Offene und zugleich etwas merkwürdig Wohnliches, Heimeliges, auch den Schmerz der Gewöhnung vielleicht, und auch die Blätterungen, welche die Erbauung zu Gewohnheit machen, so als wäre man in einem großen Haus der Sprache und durchschritte verwundert das Gehäuse der Kammern, Zimmer und Stanzen. Ich habe von Zoderers Siebenmeilenschrittfüßen mehr gelernt, als er und ich zusammen wohl erkennen und empfinden. Und doch war ich für die Dreckknuidelen fast zu jung, für die – wichtige, ich fürchte falsch verstandene – Walsche zu wenig etwa einsprachig, für Späteres dauerhaft verspätet, und jetzt begleiten mich seine Zuschreibungen quasi sprichwörtlich, die ganze Zeit (denn hat alles seine). Ich denke, wer das Glück beim Händewaschen nicht erfährt, als ästhetischen Zustand vielleicht, ist für die Literatur verloren. Ein Autor, eine Autorin „führt“, solange er und sie schreiben, ihr Leben, und während und indem er und sie von ihr redeten, verliert die Erde an Gewicht. Und obschon die Linien des Lebens oft und oft verschieden sind: Dichter denken sich-in-sich, einzeln, in zahlloszweigigen Zustandssummen, dabei sind sie nur bei sich selber eins: uneins, Herlinge und Reben, beides, morgenrote Varietäten des poetischen Tuns (für die wissen: die Auxesis des Zauderers). Dass man Bücher schreiben und auch noch machen kann – die Generationenleistung meiner Altersgruppe -, hat er allein, für mich, für Südtirol erfunden, d.h. bewerkstelligt und (was noch seltener ist) gemeistert, wo ihm keine und keiner je voranging. Als gingen wir, alle unzusammen miteinander, von Anger zu Anger aneinander anverwandelnd, zu Besuch, und (da und über das Dort hinaus) – so leben wir und nehmen immer Abschied, heißt es, huangartn Peppin: Alles, was nicht ein Leben lang Zeit hat, vergeudet es.

Oswald Egger, Dichter

 

  1. Juni 2022

 

Vorm fenster der apfelbaum

hat geblüht / wird im winter die roten äpfel

tragen, unterm schnee

 

Zwischen den zweigen

ein stück himmel, dahinter / blau

und mit wolken gerahmt

 

’S ist still hier, kein wind

in den blättern / noch hell in der sonne, die

hinter dieser bücherwand

 

untergeht. – Alles wie immer; ja. Nur

diese unruhe in mir, die keine wörter hat / nur:

Joseph ist tot, immerzu; immerzu:

 

Eine welt / ist aus.

 

(Statt zetteln an den wänden, statt

dieser armen wörterwucherwelt ein: Leucht

turmprojekt, ein: Spitzenrestaurant

 

Habe sich der Zoderer doch

„grad noch rechtzeitig“, heißt’s,

aus dem staub gemacht.)

010622

Josef Oberhollenzer, Dichter

Ein Kulturvermittler

„Mit Joseph Zoderer verliert Südtirol einen großen Schriftsteller, der nicht nur die zeitgenössische Literatur in Südtirol ungemein geprägt hat, sondern weit darüber hinaus wahrgenommen wurde. Er wurde zu einem Kulturvermittler: Mit seinen Werken hat er die Lebenswelt Südtirols einem internationalen Publikum nähergebracht.“

Arno Kompatscher, Landeshauptmann

Begründer der modernen Südtiroler Literatur

LR Philipp Achammer würdigt Joseph Zoder „als einen der Begründer der modernen Südtiroler Literatur und als denjenigen, der mit der Veröffentlichung seiner frühen Romane im Hanser-Verlag den Schriftstellerinnen und Schriftstellern in unserem Land das Tor zur deutschsprachigen Literaturszene geöffnet hat.“

Philipp Achammer, Kulturlandesrat

Verlust für Südtirols Kulturwelt

Auch für den Landesrat für italienische Kultur, Giuliano Vettorato, bringt Zoderers Tod einen „großen Verlust für Südtirols Kulturwelt“ mit sich: „Joseph Zoderer hat seinen Blick immer wieder auf Grenzwelten gerichtet, er war ein großer Erzähler von Geschichten über den Werdegang und die Widersprüche des Zusammenlebens in unserem Land.“

Giuliano Vettorato, Landesrat für italienische Kultur

Ein Vorbild

„Der Haymon Verlag trauert um Joseph Zoderer – einen großen Autor und geschätzten Freund. Was bleibt, ist die liebevolle Erinnerung an ihn. Was bleibt, sind seine Texte und Bücher. Joseph Zoderer stand in seinem herausragenden literarischen Werk immer für Gerechtigkeit und Toleranz ein: für alle Menschen. Darin ist er seinen Leser*innen – und uns allen – ein Vorbild, und wird es weiterhin sein.“

Markus Hatzer, Verleger des Haymon Verlags

 

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