Extreme Körper
Bei der 38. Ausgabe des Festivals Bolzano Danza – Tanz Bozen wird nicht nur getanzt, sondern auch geklettert und gesportelt.
„Fly as high as the sun“ singt die Heavy Metal Ikone Iron Maiden in seinem Song „Flight of Icarus“. 1983 war das, bald 40 Jahre ist das her, doch taugt Ikarus noch als Role Model für die Zukunft? Nach Höherem streben, keine Grenzen anerkennen, sich keine Limits setzen – das klingt im Moment nach einer nicht besonders überzeugenden Idee. Ist es nicht gerade dieses Denken, dass den Planeten an den Rand des Abgrunds geführt hat? Stellen nicht vom Menschen versursachte Symptome wie Klimakrise, Artenschwund, Pandemien, Metaversen und neue kriegerische Konflikte alle unsere Fortschrittsgewissheiten infrage?
Stimmt und dennoch wird es immer Menschen geben, die „mit der ganzen Kraft ihres Körpers und ihres Geistes die Grenzen des Möglichen ausloten und darüber hinaus streben werden“ sagt der künstlerische Leiter Bolzano Danza – Tanz Bozen Emanuele Masi. Diesen Waghalsigen ist die 38. Ausgabe von Tanz Bozen gewidmet. 38 Veranstaltungen, darunter 11 Italienpremieren, 5 Uraufführungen, 4 Koproduktionen, sowie eine Podiumsdiskussion mit dem Titel Zwischen Tanz und Sport bietet das von der Stiftung Haydn organisierte Festival vom 13. bis zum 29. Juli an. Im Stadttheater, im Kapuzinergarten, auf den Talferwiesen, im NOI Techpark, in der Stiftung Antonio Dalle Nogare, in der Messe Bozen und erstmals auch im Grödnertal vor der Kulisse der Langkofelscharte geht das Tanzfest rund um das Thema „Körper“ über die Bühne. „Das Festival erhebt sich in diesem Jahr buchstäblich in luftige Höhen“, so Paul Gasser, Präsident der Stiftung Haydn.
Nur logisch, dass Rachid Ouramdane mit seinem jüngsten Werk „Corps Extrêmes“ das Festival am 13. Juni im Stadttheater eröffnet. Der gefeierte Choreograf vereint für sein Stück abenteuerlustige Tänzer, Luftakrobaten, Climber und Highliner auf einer Bühne und lässt sie an einer Kletterwand erkunden, wo Kunst endet, und der Sport beginnt.
Ein Paradebeispiel für Können, Mut und Konzentration im Einklang mit der Natur ist Les Traceurs, eine Performance mit dem berühmten Highliner und modernen Seiltänzer Nathan Paulin auf einer Slackline in mehreren Metern Höhe inmitten der Langkofelscharte im Grödnertal. Der Choreograf Rachid Ouramdane, der dazu auch den Soundtrack geschrieben hat, wirft mit Les Traceurs die Frage auf, wie viel Respekt wir den Landschaften entgegenbringen, in denen der Mensch Sport betreibt, und denkt über die Möglichkeit eines Umdenkens nach (14. Juli, Langkofelscharte, 16 Uhr).
Nach einer Idee von Rachid Ouramdane entstand Dans le noir on voit mieux, eine beeindruckende Performance von Lora Juodkaite, die der Choreograf seiner Begegnung mit der Schamanin Céline Dartanian verdankt. (16. Juli, Studio, 20 Uhr).
Zwischen Real- und virtueller Spielwelt bewegt sich die Choreographie „We, us and other games“ von Dunja Jocic, die von Tanz Bozen mitproduziert wurde und im Rahmen des Festivals uraufgeführt wird.Ein Stück wie eine zuweilen brutale Flucht aus dem echten Leben. (15. Juli, Studio, 21 Uhr).
Zu Gast ist auch wieder das Ballet national de Marseille – (LA)HORDE. Körper an der Grenze der Belastbarkeit zeigt die amerikanische Choreografin Meg Stuart in Cascade. Furchtlos katapultieren sieben Tänzerinnen und Tänzer ihre Körper in eine neue Raum-Zeit-Dimension, ganz so, als wollten sie die Koordinaten des Lebens auf unserem Planeten neu zeichnen, eingehüllt in das beunruhigende galaktische Universum des Künstlers Philippe Quesne (19. Juli, Stadttheater, 21 Uhr)
Des Weiteren sind Choreographien der Portugiesin Catarina Miranda, Emanuel Gat, Juliet Juliet Juliet, aus der Feder des Autorenduos Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi und der MM Contemporary Dance Company, ein Duett der Tanzvirtuosen Cyrille Humen und Van-Kim Tran, eine Langzeitperformance mit aktiver Teilnahme des Publikums auf den Bozner Talferwiesen von Michele Di Stefano, Susanna Egris Stück Jeux, ein gefühlsintensives Solo für die herausragende Tänzerin Marta Ciappina von Alessandro Sciarroni und Silvia Giordano zu sehen.
Das große Finale ist ein zweitägiges Choreografie-Feuerwerk mit der Gastkompanie von Tanz Bozen, Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart. Den Anfang macht am 28. Juli im Eventspace der Messe Bozen das Stück Kamuyot von Ohad Naharin, umgesetzt von 17 Tänzerinnen und Tänzern, gefolgt von dem italienweit ersten Auftritt der Kompanie Gauthier Dance Junior am 29. Juli im Studiotheater, mit Stücken von Nacho Duato, Eric Gauthier und Shori Yamamoto (Moves for future, 20 Uhr). Abschließend ist um 21 Uhr im Großen Saal des Stadttheaters mit The Seven Sins eine diabolische Tanz-Interpretation der sieben Todsünden zu sehen, die jeweils von weltbekannten Choreografen in ein Originalstück gebannt wurden: Aszure Barton, Sidi Larbi Cherkaoui, Sasha Waltz, Marcos Morau, Sharon Eyal, Hofesh Shechter und Marco Goecke.
Das Festival Bolzano Danza bietet auch ein Reihe von Tanzworkshops, die vom 18. bis 29. Juli vom Südtiroler Kulturinstitut unter der künstlerischen Leitung von Sharon Booth stehen. Teilnehmende der Klassen von Fabiana Pastorini und Juanjo Hinojosa bekommen die Gelegenheit, ihr Können zu demonstrieren: Danceworks (23. Juli, Studiotheater, 20 Uhr). (Heinrich Schwazer)
Das komplette Programm: bolzanodanza.it, Tickets 0471 053800 – [email protected]
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