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Tanz auf der Rasierklinge


Die Mehrheitsparteien Lega und 5 Sterne tragen die Ukraine-Politik von Ministerpräsident Mario Draghi nur halbherzig mit. Droht der römischen Regierung jetzt das vorzeitige Aus?

von Matthias Kofler

Mario Draghi erneuerte in seiner Ansprache vor dem römischen Parlament die Forderung nach einer friedlichen Lösung im Ukraine-Konflikt. „Ein Waffenstillstand muss so schnell wie möglich erreicht werden“, forderte der Ministerpräsident. Draghi sagte weiter, es sei wichtig, den Druck auf Russland durch Wirtschaftssanktionen aufrechtzuerhalten, „weil wir Moskau an den Verhandlungstisch bringen müssen“. Er sprach sich zudem für den EU-Beitritt der Ukraine aus. Nach Einschätzung des Regierungschefs wird Italien länger brauchen als bislang gedacht, um unabhängig von Erdgaslieferungen aus Russland zu werden. Draghi sagte, Schätzungen der Regierung gingen von der zweiten Jahreshälfte 2024 aus. Italien ist stark abhängig von russischem Gas – im vergangenen Jahr kamen 40 Prozent der Lieferungen aus Russland. Der Stiefelstaat versucht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, das Gas aus Russland durch Gas aus anderen Ländern zu ersetzen, etwa aus Algerien.

Julia Unterberger begrüßt die klare Positionierung Draghis im Ukraine-Konflikt: Der Ministerpräsident habe wieder die richtigen Worte gefunden, lobt die SVP-Senatorin. Die Bemühungen um Frieden und die Unterstützung der Ukraine seien zwei Seiten derselben Medaille. „Gerade wir als überzeugte Europäer schätzen die Geradlinigkeit und Klarheit, welche die italienische Regierung, in Bezug auf den Ukraine-Konflikt, von Anfang an an den Tag gelegt hat. Sie hat bei der Unterstützung der Angegriffenen und den Sanktionen gegen die Aggressoren nicht gezögert. Sie hat gleichzeitig effiziente Maßnahmen ergriffen, um jene Familien und Unternehmen zu unterstützen, die von den wirtschaftlichen Folgen betroffen sind. Und sie hat ein großes Engagement gezeigt, um Europa wieder mehr Verantwortung zuzuerkennen, unabhängig von der Rolle der USA“, so Unterberger. Die Autonomiegruppe befürworte sowohl den Beitritt von Schweden und Finnland in die NATO als auch den Beitritt der Ukraine in die Europäische Union. „Die italienische Regierung soll ihren Weg konsequent fortsetzen, so wie sie es in den vergangenen Wochen getan hat und sich nicht zurücknehmen. Es reicht nicht, vom Frieden zu sprechen, um ihn herzustellen. Wir müssen die Ukraine weiterhin unterstützen und die Sanktionen gegen Russland weiter verschärfen. Mit anderen Worten: Wir müssen die Voraussetzungen für Verhandlungen schaffen, die zu einem dauerhaften Frieden führen können. Niemand darf einem europäischen Land mit einem Krieg drohen, um seine Grenzen gewaltsam zu verschieben“, betont die SVP-Politikerin.

Ähnlich äußert sich die SVP-Fraktionsvorsitzende in der Abgeordnetenkammer, Renate Gebhard: „Si vis pacem, para bellum – Putin hat uns leider klar vor Augen geführt, dass dieses lateinische Sprichwort heute noch Gültigkeit hat. Gerade deshalb müssen wir klar und entschlossen handeln“, so Gebhard. Alle wollten Frieden – und das schnellstmöglich. Niemand könne aber ernsthaft annehmen, dass die Verletzungen internationalen Rechts einfach so toleriert werden können. Das Prinzip „Frieden um jeden Preis“ funktioniere nicht und komme einer Kapitulation Europas und der NATO vor Russland gleich, vor allem aber werde es nicht zu einem dauerhaften Frieden führen. „Nur ein Waffenstillstand und glaubwürdige Verhandlungen können in dieser Situation dazu beitragen“, ist die SVP-Abgeordnete überzeugt. Gebhard stimmt Draghi darin zu, „dass die Entscheidungen, vor denen die EU steht, im Grunde einfach sind: Wir können entweder Herr unseres eigenen Schicksals oder Sklave der Entscheidungen anderer sein. Es liegt an uns, entsprechend zu handeln, weitere Maßnahmen und Sanktionen zu ergreifen, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen, und vor allem: mutig zu sein.“

Der außenpolitische Kurs der Regierung Draghi wird allerdings nicht von allen Koalitionsparteien befürwortet. Insbesondere die Lega und die 5-Sterne-Bewegung haben große Bauchschmerzen, was Waffenlieferungen an die Ukraine betrifft. Seit Wochen versucht sich 5-Sterne-Chef Giuseppe Conte als interner Gegenspieler des Ministerpräsidenten zu profilieren. Wiederholt forderte der Ex-Premier seinen Nachfolger auf, sämtliche Schritte im Ukraine-Konflikt mit dem Parlament abzusprechen. Auch in den Reihen von Forza Italia gibt es einige Mandatare, die zur Russland- und Putin-freundlichen Politik von Lega und 5 Sternen tendieren.

In der Debatte zur Draghi-Ansprache waren es ausgerechnet die Vertreter von Fratelli d’Italia, die Salvinis Politik öffentlich abkanzelten. Italien brauche eine gemeinsame proeuropäische und in die NATO eingebundene außenpolitische Linie, um in Europa und in der Welt ernstgenommen zu werden, tönte es aus der Meloni-Politik. „Wie kannst du gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sein, wenn du doch sonst immer dafür eingetreten bist, dass sich jeder in seinem eigenen Haus verteidigen kann, notfalls auch durch das Erschießen des Einbrechers?“, wollte ein FDI-Senator von Salvini wissen.

Wie angespannt die Stimmung innerhalb der Regierungsmehrheit ist, machte am Mittwoch eine Episode im Außenausschuss des Senats deutlich. Bei der Angelobung der Regierung Draghi vor anderthalb Jahren vereinbarten die Koalitionäre, sich den Vorsitz in den verschiedenen Parlamentskommissionen untereinander aufzuteilen. Der Außenausschuss sollte demnach an die 5 Sterne gehen. Allerdings liefern sich in der Grillo-Bewegung die Anhänger von Conte und von Außenminister Luigi Di Maio einen erbitterten Kampf. Di Maio genießt mittlerweile hohes Ansehen unter den Senatoren, weil er immer treu an der Seite Draghis steht. Der Außenminister hätte gerne eine Verbündete zur Vorsitzenden des Außenausschusses gekürt. Die Contianer in der Bewegung setzten sich jedoch mit ihrem Vorschlag durch und schickten Ettore Licheri ins Rennen. Bei der Wahl kam es zum Eklat: Die Rechsparteien, Italia Viva und mutmaßlich auch einige Di-Maio-Anhänger wählten nicht Licheri, sondern Stefania Craxi, die Tochter von Ex-Premier Bettino Craxi und nunmehrige FI-Senatorin, zur Vorsitzenden.

„Natürlich war das wieder ein ziemlicher Rückschlag für die 5 Stelle“, resümiert Julia Unterberger. Dass die Mehrheit vor dem regulären Ende der Legislaturperiode im März 2023 auseinanderbricht und es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, glaubt die Vorsitzende der Autonomiegruppe aber nicht. Der Grund: Bei Neuwahlen würden acht von zehn 5-Sterne-Parlamentarier ihren Sitz verlieren. Es ist also in deren ureigensten Interesse, die Legislatur zu Ende zu führen.

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Kommentare (9)

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  • steve

    Interessant wäre, wieviele Rubel in der Parteikasse von Lega und M5S im Lauf der Jahre gelandet sind.

  • sigo70

    „Das Prinzip „Frieden um jeden Preis“ funktioniere nicht und komme einer Kapitulation Europas und der NATO vor Russland gleich,“
    Befindet sich jetzt eigentlich Europa und die NATO offiziell im Krieg mit Russland?
    Die dortige Bevölkerung sollte über ihre Zukunft entscheiden dürfen, unabhängig wer in diesem Zusammenhang vor jemanden kapitulieren muss.

  • huggy

    Mit Sanktionen wird man Russland nicht an den Verhandlungstisch zurück bringen, wenn die Ukraine selbst nicht will. Außerdem ist der Schaden für die Italiener und andere EU Bürger größer als für die Russen. Und mit Waffen Frieden schaffen funktioniert schon mal gar nicht.

  • devils_son

    ich sag euch mal was in bildlicher Form, stellt es euch so vor: wir sitzen zu fünft am Tisch – wir sind Analphabeten, dann kommt einer rein,und sagt uns – 5×3= 9….
    was tun wir? wir glauben es, und sind ihm dankbar, dass er uns mit seiner Weisheit geholfen hat;
    morgen kommt er wieder, und sagt 5×3=12….
    was tun wir wieder? ALLES glauben. kritisieren fangen wir gar nicht erst an (er würde es uns auch nicht erlauben- schließlich sind wir ja Analphabeten) .
    — und ? alles verstanden? ihr / wir Analphi´s !!!

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