Ziegenglück ist Ziegenschutz
Die AG Weidekultur im Südtiroler Bildungszentrum: Vielfältige Kompetenzen für die Zukunft der Weidewirtschaft in Südtirol.
„Kultur entsteht durch Weitergabe von Wissen“, sagt der Präsident des Südtiroler Bildungszentrums, Bernd Karner, „und rund um die uralte Kultur der Weidewirtschaft ist viel Wissen verloren gegangen. Es gilt, dem nachzuspüren, vielfältigen Austausch zu ermöglichen, den geführten Weidegang wiederzubeleben und den heutigen ökologischen Anforderungen anzupassen. Weidende Schafe sind noch keine Garantie dafür, dass wir die Kulturlandschaft der Almweiden erhalten. Es braucht die Hirtinnen und Hirten. Gerade sie sind in dieser Hinsicht beeindruckend. Die Hirtinnen und Hirten, die sich in der Arbeitsgruppe Weidekultur engagieren – und in unseren Initiativen lernen wir immer mehr von ihnen kennen – geben ihr Wissen weiter, tauschen Erfahrungen aus anderen Regionen aus und sind bereit, auf schwierige Herausforderungen zu reagieren.“
KOPF, HAND, HERZ: THEORIE UND PRAXIS VEREINT
Auch deswegen habe das Südtiroler Bildungszentrum vor zwei Jahren die AG Weidekultur gegründet, kurz bevor die Pandemie das gewohnte Arbeiten stark veränderte.
Aufgeben gilt nicht!
Wer mit Zoom umgehen konnte, zeigte es den anderen, und Hirtinnen und Hirten, Ziegenzüchter und Schafhalterinnen lernten schnell.
Die AG Weidekultur ist auf 35 Mitglieder angewachsen und hat einiges weitergebracht. Im September 2021 bot die AG Weidekultur zusammen mit der Gemeinde Taufers im Münster den ersten Kurs zum Aufstellen von Weidezäunen in Südtirol an.
Die Hirten und Schafzüchter Erich Höchenberger aus Taufers und Thomas Schranz aus dem Tiroler Oberland boten praxisnahe Hilfe und Tipps für schwieriges Gelände. Online-Seminare und zwei Exkursionen zu Almen brachten die Gruppe auf einen guten Kenntnisstand, berichtet der Geschäftsführer des Südtiroler Bildungszentrums, Klaus Tumler. Die Mitglieder kommen aus unterschiedlichen Arbeits- und Erfahrungsbereichen.
Die zentrale Bildungsaufgabe der AG bestehe unter anderem im Begreifen und Bearbeiten ökologischer Themen in Zeiten des Klimawandels, einem zeitgemäßen Umbau der Landwirtschaft und dem Herstellen von hochwertigen Lebensmitteln aus der Region für die Region. „Damit die Weidewirtschaft eine Zukunft hat, braucht es das traditionelle Wissen, es braucht Ausdauer, das Festhalten an Prinzipien, aber auch das Reagierenkönnen auf neue Entwicklungen“, erklärte Bernd Karner am 29. April anlässlich des Frühjahrstreffens der AG Weidekultur am Grieblhof der Familie Bertagnolli.
ZIEGENGLÜCK IST ZIEGENSCHUTZ
Den Ziegenzüchter Philipp Bertagnolli begleiten die wiederkäuenden Paarhufer seit seiner Kindheit. Die Kleinstrukturierung der Südtiroler Landwirtschaft und die Anwesenheit von großen Beutegreifern stelle eine Herausforderung dar, sagt Bertagnolli. „Doch wenn es Risse gibt, ist es zu spät“. Studien aus verschiedenen Ländern, von der USA bis nach Tschechien, belegen, dass Abschüsse von Wölfen keineswegs helfen, die Herden zu schützen. Da der Wolf als Art in Europa geschützt ist, bringen demzufolge nicht-zielführende Abschüsse einzelner Tiere den Weidetieren gar nichts.
Im Sommer 2021 brachte Bertagnolli zwei Hündinnen der alten Rasse Pastore della Sila von einem Hirten und Züchter aus der Toskana mit Hilfe der AG Weidekultur in seine Herde.
Die Tiere weiden im Sommer oberhalb der Soy-Alm in Martell, im Winter grasen sie im Weingut der Familie am Grieblhof – die Sila-Hunde sind immer dabei. Neu in der Gruppe ist ein junger Pastore della Sila, der die Hundegruppe stabilisiert und so Wolfsangriffen durch ihr Markieren vorbeugen kann. Selten greifen Wölfe an, wenn genug Herdenschutzhunde präsent sind. Bertagnolli machte sich bereits vor zehn Jahren Gedanken, wie er seine Ziegen am Berg schützen könnte.
Er informierte sich im Piemont und im Trentino, kaufte zwei Maremmani Abruzzese-Welpen. Sie stellten sich nicht als ideale Bewacher seiner Herde heraus. Es fand eine ideale Lösung: Zwei Wölfe hatten 2021 Damwild im Gehege der „Tierwelt Rainguthof“ in Gfrill oberhalb von Tisens gerissen.
Er schlug den Betreibern der „Tierwelt“ vor, die beiden Maremmani Abruzzese als Wächter zu übernehmen. „Rambo und Rocky waren zu sehr auf Menschen geprägt, um als Herdenschutzhunde zu funktionieren“, begründet er.
„Wir jedoch“, bestätigt Martin Piazzi von der „Tierwelt Rainguthof“. sind mit den Hunden sehr zufrieden. Seitdem sie nachts durch das Gelände der „Tierwelt“ streifen, haben die Risse aufgehört. Obwohl Wölfe nach wie vor in der Gegend sind“.
DIE JUGEND WILL WEITERMACHEN – ALTES WISSEN SICHERT DIE ZUKUNFT DER ALMEN
Die AG Weidekultur sieht vor allem in den zahlreichen jungen Schaf-, Ziegen- und Rinderhaltern und Halterinnen eine große Chance. Sie sehen sich um, lernen und probieren aus. „Die Jugend erkennt als erstes, wie wesentlich das Wissen rund um Herdenmanagement ist, Herdenschutz ist nur ein Teil davon. Es geht um ein breites Verständnis von Almwirtschaft. Die Jungen erkennen, dass eine Neuausrichtung der Weidewirtschaft für ihre und die nachfolgenden Generationen unabdingbar ist“, sagt Johanna Platzgummer von der AG Weidekultur, „und sie warten nicht, sie handeln“.
HIRTE UND HIRTIN: EINE AUSBILDUNGSMÖGLICHKEIT IN SÜDTIROL
Die seit Oktober 2021 in Südtirol erstmalig eingeführte Berufsqualifikation Hirte oder Hirtin, die an der Fachschule Salern in Vahrn erworben werden kann, sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Die anerkannte Ausbildung vermittelt Tierwohl und Tiergesundheit, Weidemanagement und Herdenschutz, betont Gabriele Falschlunger, die den Lehrgang an der Fachschule initiiert hat und betreut und mit sehr motivierten Hirtinnen und Hirten vom ersten Kurs nach Lana und Gfrill/Tisens kam.
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Kommentare (2)
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andreas1234567
Hallo nach Südtirol,
anstatt im 100. Versuch dem Bergbauern immer und immer wieder für das Hochgebirge schlicht umpraktikable Zaunlösungen, Hirtenhunde in Kalbgrösse und Hirten anzuempfehlen die es schlicht nicht am Markt gibt (bei den beiden Ersteren plärren auch gleich die Touristiker) könnte man es auch mit dem Ansatz der Österreicher versuchen.
Deren Argument: In Nordfinnland gibt es „wolfsfreie Zonen“ um den Lebensunterhalt der dortigen Urbevölkerung (Samen) mit der Rentierzucht zu bewahren.Da es in Europa gängige Rechtspraxis ist alle Bürger gleich zu behandeln muss es auch das Recht auf wolfsfreie Zonen in den alpinen Almgebieten geben, insbesondere in Zonen wo es entweder nie oder seit zwei Jahrhunderten keine Beutegreifer mehr gegeben hat.
Da greift dann auch die alte Schulhof-und Strandliegenregel: Weggegangen, Platz vergangen
Gruss nach Südtirol