„Mehr politischen Mut“
Der neue Präsident des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz, Josef Oberhofer, fordert mutige Politiker, die auch unbequeme Entscheidungen treffen. Die Zeit für Kompromisse sei vorbei.
Tageszeitung: Herr Oberhofer, wie steht es um den Natur- und Umweltschutz in Südtirol?
Josef Oberhofer: Es ist nicht ganz so schlimm wie anderswo und man bemüht sich auf vielen Ebenen, aber wir können nichts schönreden: Auch bei uns gibt es noch ganz viel zu tun. Es braucht vor allem einen gesellschaftlichen Sinneswandel. Man sollte mehr Maß halten und darüber nachdenken, was Verzicht heißt. Verzicht hat viele wertvolle Komponenten in sich und kann als Lebensgefühlssteigerung angesehen werden. Und die Politik verändert sich nur, wenn sich zuvor die Gesellschaft verändert. Wir haben es in der Hand! Aber leider Gottes hat Corona auch gezeigt, dass wir immer wieder in die alte Rolle zurückfallen: Obwohl die Entschleunigung uns allen gut getan hat, gibt es jetzt das Schlagwort, wieder das Vor-Corona-Niveau zu erreichen. Dieses war aber alles eher als toll. Wir haben etwa wieder verstopfte Straßen. Der Mensch ist so programmiert, dass er freiwillig keinen halben Schritt zurückgeht.
Kommen von der Politik zu viele Schlagworte und Ankündigungen, aber zu wenig Taten?
Die Politik ändert sich, wenn wir uns verändern. Wir können nicht die ganze Schuld auf die Politik schieben, sondern jeder muss bei sich selbst anfangen. Wenn wir einen ressourcenschonenden, umweltfreundlichen Lebensstil aufbauen, wird sich auch die Politik daran richten. Wir hätten alles in der Hand – auch die Wirtschaft: Wenn wir etwas nicht mehr kaufen, wird es auch nicht mehr produziert. Ich vertraue ganz stark auf die Jugendlichen und hoffe, dass sie die Politik kritischer hinterfragen und ganz genau schauen, wen sie morgen wählen. Sprich ob die Vertreter wirklich den Klimaschutz ernstnehmen und entsprechende Entscheidungen treffen.
Sehen Sie eine wirkliche Wende, die die „Fridays for Future“-Bewegung eingeläutet hat?
Die Jugend ist sehr bemüht, und wir versuchen, sie dabei zu unterstützen. Das ist eine wichtige Aufgabe und Verantwortung unserer Generation, denn die Jugend findet eine Welt vor, für die wir eine Mitschuld tragen. Wir müssen der Jugend eine gute Zukunft bereiten.
Bei welchen konkreten Themen müsste die Landespolitik umgehend ansetzen?
Es gibt sehr viele Baustellen. Etwa beim Transit, der eine enorme Belastung ist. Oder beim Overtourism und den ganzen Wellnesshotels, wobei ich nicht nur den Tourismus verteufeln will. Weiters müssen wir die Themen Artenvielfalt und Pestizide in den Griff kriegen. Es gibt keinen Spielraum mehr für Kompromisse. Die Politik braucht Akteure, die den Mut haben, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen. Denn anders geht es nicht mehr – uns läuft die Zeit davon. Das ganze „Herumgespiele“ – etwa bei der Sperre von Passstraßen – ist zu wenig. Man sollte den Mut haben, restriktive Maßnahmen auszusprechen und zu schauen, wie es die Leute annehmen. Als etwa das Rauchen in Gasthäusern verboten wurde, war von einem Gasthaus-Sterben die Rede. Heute kann sich keiner mehr vorstellen, im Restaurant zu rauchen. Es klingt ein bisschen diktatorisch, aber es braucht nun einmal Mut für Schlussstriche und neue Wege.
Mit der Bettenobergrenze im Tourismus setzt die Landesregierung ja durchaus einen mutigen Schritt…
Auf jeden Fall! Wenn sie diesen Weg einschlägt und mutige Schritte setzt, ist das für uns in Ordnung. Nur muss man schauen, wie konkret es wirklich wird. Denn eines sind die Vorschläge – das andere ist die Realität, wo man manchmal erst im zweiten Moment Hintertürchen entdeckt. Verschiedene Ausnahmen könnten dazu führen, dass die Situation am Ende gleich wie vorher ist.
Wie wird Südtirol in 20 Jahren dastehen?
Ich wünsche mir, dass wir mindestens so dastehen wie heute und es nicht schlimmer wird. Wenn es uns gelingt, die Menschen mitzunehmen und einen ressourcen- und umweltschonenden Lebensstil zu etablieren, stehen wir in 20 Jahren sicher gut da. Ob wir den Klimawandel in den Griff kriegen, muss man schauen. Die Alpen sind sehr gefährdet und haben eine höhere Erwärmung als andere Gebiete. Wir müssen uns deshalb mehr anstrengen, auch wenn wir glauben, bereits viel zu tun, und die große Verschmutzung anderswo verorten. Dieses Denken darf nicht sein.
Interview: Heinrich Schwarz
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