Lebendige Steppe
Die von Eurac Research, dem Amt für Natur, Naturmuseum Südtirol und der Gemeinde Schlanders organisierte Tagung „Lebendige Steppe“ präsentiert den aktuellen Stand der Forschung zum Thema und sensibilisiert für den Schutz dieses besonderen Lebensraumes.
Ein dicker Wachsüberzug der Blätter schützt das Ohrlöffel-Leimkraut vor Verdunstung und UV-Strahlen; der Fels-Buntgrashüpfer ist dank seines gelb-grünen Farbkleides zwischen trockenem Gras und Kräutern kaum auszumachen. Dies sind nur zwei Beispiele für erfolgreiche Anpassungskünstler, die in extrem trockenen Regionen überleben. Beheimatet sind sie im großen asiatischen Steppengürtel – und in kleinen inneralpinen Steppeninseln wie dem Vinschger Sonnenberg.
Doch wie jüngste Studien zeigen, haben sich trotz ihrer Ähnlichkeit in den kleinen Gebieten in den Alpen genetisch eigenständige Populationen dieser Tier- und Pflanzenarten entwickelt, die aus naturkundlicher Sicht von besonderer Bedeutung sind. Gesammelte Forschungserkenntnisse zu Flora und Fauna in Trockenrasengebieten wurden erstmals auf der Tagung „Lebendige Steppe“ am 6. Mai 2022 in Schlanders von Expertinnen und Experten vorgestellt und diskutiert. Organisiert wurde sie von Eurac Research mit dem Amt für Natur, dem Naturmuseum Südtirol und der Gemeinde Schlanders.
Der Vinschger Sonnenberg ist mit seinen steilen sonnenexponierten Hängen und den geringen Niederschlagsmengen ein isoliertes inneralpines Steppengebiet. Trotz der vergleichsweise geringen Fläche ist er mit ähnlichen Tier- und Pflanzenarten ausgestattet wie der große asiatische Steppengürtel, der sich von der Mongolei bis an die rumänische Schwarzmeerküste erstreckt: Der Schwarzfleckige Heidegrashüpfer oder die farbenprächtige Rote Röhrenspinne sind perfekt an die extreme Trockenheit und die hohen Temperaturschwankungen angepasst; sie kommen im Vinschgau und sonst nur in der ungarischen Tiefebene und in den Steppen Zentralasiens vor.
„Wir haben in unseren Studien gesehen, dass die Tier- und Pflanzenarten dieser alpinen Steppeninseln aber trotz ihrer Ähnlichkeit nicht nur Ableger von den zentralasiatischen Steppen sind, sondern genetisch ganz eigenständige Populationen entwickelt haben, die seit hunderttausenden von Jahren isoliert sind“, erklärt der Biologe Andreas Hilpold von Eurac Research und schließt, dass es bei einigen der untersuchten Arten in Zukunft sogar nötig sein werde, die inneralpinen und westeuropäischen Populationen als eigene Arten zu beschreiben. „Das verdeutlicht den essentiellen Wert unserer alpinen Trockenrasengebiete für die Artenvielfalt Eurasiens. Denn wenn diese kleinflächigen Gebiete verschwinden, verschwinden ihre speziellen Arten und Unterarten von der globalen Bildfläche“, unterstreicht Ulrike Tappeiner, Leiterin des Instituts für Alpine Umwelt von Eurac Research, das im Rahmen des Biodiversitätsmonitoring Südtirol auch die Artenvielfalt in heimischen Trockenrasengebieten untersucht.
Nach drei Jahren Monitoring zeigt sich etwa sehr deutlich, dass Trockenweiden neben Magerwiesen und Streuobstwiesen die Lebensräume Südtirols mit den höchsten Artenzahlen an Tagfaltern und Heuschrecken sind: Das Forschungsteam fand an den einzelnen Untersuchungsstandorten durchschnittlich 25 Tagfalter- und zehn Heuschreckenarten sowie eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an seltenen und Rote-Liste-Arten, also Arten, die in Südtirol zu verschwinden drohen.
Auf der Tagung in Schlanders stellten Expertinnen und Experten erstmals die gesammelten Forschungserkenntnisse rund um die Flora und Fauna der inneralpinen Trockenrasengebiete im Vinschgau und in der Terra Raetica – im Dreiländereck Österreich, Schweiz, Italien – vor. Sie sensibilisierten auch für den wertvollen Lebensraum, da nicht unter Schutz stehende Trockenrasengebiete zunehmend verbuschen, wie Hilpold anmerkt. „Ihre Existenz ist eng mit der jahrhundertealten traditionellen Bewirtschaftung verbunden; eine sanfte Beweidung wäre wichtig, um diese Gebiete zu erhalten“, so Hilpold.
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