„Was zählt?“
Gedichte, die sich wie Rilkes Panther im allerkleinsten Kreise drehen: Der neue Gedichtband von Joseph Zoderer „Bäume im Zimmer“ ist ein Buch des Abschieds.
Von Christine Vescoli
Es ist ein stilles Buch, weil es den endgültigen Stillstand an seiner Seite hat, und es ist ein leises Buch, weil es keine lauten Töne macht. Es ist ein diskretes Buch, dessen Temperatur nicht leicht zu erfassen ist. Ist es die der Melancholie, die müde durch die Zeit stromert und erinnernd ein Spiegelbild füttert? Oder ist es die der Trauer, die kein Ich und kein Selbst und kein Subjekt beklagt, sondern das fest im Auge hat, was verschwindet und verloren geht, und dann und wann noch schwach eine Empörung aufflackern lässt?
Allemal ist der neue Gedichtband von Joseph Zoderer ein Buch des Abschieds. „Bäume im Zimmer“ (Haymon Verlag) versammelt kurze und kürzeste Gedichte, die sich wie Rilkes Panther im allerkleinsten Kreise drehen, freilich nicht wie ein Tanz von Kraft, aber um eine Mitte und die ist der Tod. Unspektakulär und unaufgeregt sind diese Gedichte, flüchtig in Form und Aussage, epische Miniaturen, durchlässig für ein Innewerden. Sie beschwören keine Größe und kein Absolutes, bemühen kein Pathos und keine große Dramaturgie, sie inszenieren keine Fragen und keine Antworten und scheren sich nicht um Satzzeichen und Titel, als wären solche nur lästige Zier. Durchdrungen aber sind sie von nichts Geringerem als dem Mächtigsten, dem nahenden Tod.
Wie bei Zoderer, dem Erzähler, sind es auch in seinen Gedichten die Bilder, die sprechen und den Sinn, der niemals ausgesprochen gehörte, tragen. Sie legen jedes Erkennen und Fühlen in ein Sehen und Wahrnehmen und gehen in ein poetisches Denken ein, das alle gelebte gleich wie alle geistige und reflexive Erfahrung durch Betrachtung her- und darstellt. In manchen dieser letzten Gedichte treibt Zoderers Anschauung fast einer Art Beschauung entgegen. „Was ich suche am Morgen/ in meinem Zimmer/ einen Olivenbaum/ eine Tamariske/ den taunassen Sand/ unter den Fußsohlen/ auf dem Weg zu Meer/ als ob ich heimwärts ginge.“ Die Suche, einmal ungeduldiges Streben, verhält sich nunmehr bescheiden; als ob sie zerstreut nur mehr einer verlegten Brille gelte, ist sie beschränkt auf Weniges, auf den Morgen im Zimmer. Und doch imaginiert sie in dieser Enge das Weite, holt ferne Erinnerungsbilder ein, die im Rückwärtsgang vorwärts ziehen und an der letzten Grenze, die der Mensch an seiner Körperlichkeit erfährt, eine Sehnsucht oder die Ruhe des Friedens wachrufen.
Und doch gibt es noch die Unruhe und den zweifelnden und bezweifelten Willen zum Einverständnis mit dem Gegebenen. Es wäre nicht Joseph Zoderer, wenn sich einer eingestellten oder herbei gerufenen inneren Freude nicht die Zerrissenheit entgegenstellte und der Widerstand meldete, der einer seligen Erfüllung oder Fülle der Seligkeit im Grunde nicht traut. „Es lohnt sich/ die Faust zu recken/ damit du lebst/ auch wenn sie abgeschlagen wird“. Und es wäre nicht Joseph Zoderer, wenn der versuchte Glaube an Sinn und Wahrheit, diesem doppelbödigen Teufelszeug, nicht durchlöchert bliebe. „Du willst bloß wissen/ warum du da bist/ Die Antwort teilt sich/ in deinem Kopf/ wie eine leere Nuss“
So scheinen auch das „dunkle Blühen“ und die „aufmüpfige Hoffnung“, die „Gewissheit der Bäume“und das schwerelose Treiben ans Ziel nur kurzfristige Augenblicke zu sein, zaghaftes, manchmal zärtliches Glück ohne Rückgrat einer Zukunft. Freischwebend sind diese versfreien Gedichte und zurückhaltend ihre Bilder, die sich nie einer Symbolik anschließen, vielmehr den Blick an einem Ort oder aus einem Zustand heraus frei geben, an dem die Schwellensituation eines zu Ende gehenden Lebens sichtbar wird.
Dann spannt das titelgebende Bild der Bäume, die den Band durchwachsen, in Variationen die Empfindungen des Ich auf, das sich im letzten Gedicht fragt: „Was zählt?“ Oft sind die „Bäume in meinem Zimmer“ Apfelbäume, dann Oliven- und Magnolienbäume, Tamarisken, „Bäume wie Pferde“, „rebellierende Bäume“, „Bäume, die sich in Menschen verwandeln“, Bäume, die „zu reden beginnen“ und schließlich „übrig gebliebene Bäume“.
Bei allem Festhalten an der Schönheit und am Sinnlichen durchzieht eine nagende Unsicherheit die Gedichte. Eine beklemmende Ungewissheit, die auf einen wartet, und die Bedrohung, die ihren Gegenstand stets im Dunkeln lässt und niemals verrät, während eine Angst lange schon ihren Boden gefunden und Wurzeln geschlagen hat. „In meiner Brust/ wachsen Bäume/ unten denen/ Wölfe schlafen/ Ich spüre das Fell ihrer Seele/ hungrig nach Schneestille/ und schwarzer Ferne.“
Joseph Zoderer: Bäume im Zimmer. Gedichte. 88 Seiten, Haymon Verlag Innsbruck, 2022.
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