Der Poldi zensurfrei
„Heimat – die andere Erzählung“. Karl Prossliner porträtiert den Historiker Leopold Steurer und eine Epoche. Bis 4. Mai im Filmclub.
von Renate Mumelter
Es gab immer wieder Lacher und es gab Applaus beim Filmabend am Mittwoch. Im Mittelpunkt stand der 47-minütige Dokumentarfilm von Karl Prossliner über den Historiker Leopold Steurer. Prossliner ist einer jener Dokumentarfilmer, die nicht viel Wirbel um ihre Arbeit machen. Er bleibt lieber im Hintergrund genauso wie der Porträtierte, Leopold Steurer. Das mit dem Hintergrund gelang Steurer zeit seines Lebens nur bedingt, denn als Wissenschaftler stach er immer wieder in Südtiroler Wespennester.
Der „historische“ Filmabend
Der Filmabend vom Mittwoch wurde vom veranstaltenden Verein „Geschichte und Region“ als „historisch“ bezeichnet. Dafür gibt es einen Grund. Bis zu besagtem Mittwoch unterlag der Film einer RAI-Zensur, auferlegt vom ehemaligen Koordinator Markus Perwanger. Der hatte wohl wenig Freude am Film und verweigerte die Rechte für Ausschnitte aus einer 40 Jahre alten TV-Diskussion. Unter dem neuen RAI-Koordinator Zeno von Braitenberg konnten die Rechte an den Ausschnitten problemlos erteilt werden. Dafür bekam Braitenberg am Filmabend viel Applaus.
Die Nachwehen
Der Journalist Paul Pöder hatte 1982 Reinhold Messner, Josef Rampold und SVP-Senator Friedl Volgger zur TV-Diskussion geladen. Anlass war ein Messner-Sager. Der hatte behauptet, alle Optierenden hätten die Heimat verraten. SVP-Senator Friedl Volgger versuchte im Sinne der Sammelpartei einen versöhnlichen Weg zu gehen. Rampold spuckte Gift und Galle gegen Messner, weil dieser den „Opfergang“ des Südtiroler Volkes nicht würdigte. Im Kinosaal gab es (bittere) Lacher ob der überholten Sicht. Dabei hatte in den 1980ern nur eine neue Lesart der Südtiroler Geschichte eingesetzt. Vorarbeiten dazu hatte bereits Claus Gatterer geleistet, 1980 kam Leopold Steurers Dissertation über die Option dazu, es gab heftige Debatten zur Volkszählung, und dann noch der Messner-Sager. Aus heutiger Sicht nur notwendige Veränderungen, keine Skandale. Aber historische Nachwehen können sich eben lange hinziehen.
Empfehlung für den Film
Wie immer hielt sich Karl Prossliner auch bei diesem Film zurück und doch führte er ganz klar Regie. Genau diese Mischung macht das Porträt spannend. Es ist politisch aber auch sehr persönlich. In einzelnen, stillen Abschnitten steht Leopold Steurer da und schaut, oder er tut etwas. Das genügt. In anderen Passagen erzählt er von sich, seiner Kindheit, der Zeit in Wien. In wieder anderen Passagen schauen andere auf Steurer, Schülerînnen, Kollegînnen. Und dazwischen gibt es Zeitgeschichte, beispielsweise Silvius Magnago, der sich darüber beklagt, dass „der Professor Steurer rumort, weil er meint, er kann uns spalten“. Dabei ist „dietrologia“ wohl das Letzte, was dem Historiker unterstellt werden kann. Ihm ging es darum, Südtiroler Geschichte aufzuarbeiten. Heute ist diese Aufarbeitung – hoffentlich – auch in den Schulen angekommen. Der Film jedenfalls täte allen Schulen gut.
Blick auf eine Epoche
Immer wieder gab es Lacher während der Vorführung des Films, wissende Lacher, ungläubige Lacher. Das hat damit zu tun, dass im Saal viele aus jener Generation saßen, die den Aufbruch in ein anderes Südtirol miterlebt haben. Die 1980er Jahre waren jene Jahre, wo sich viel auf den Weg machte, die Kunst, die Literatur, die Geschichtsforschung, das Zusammenleben, die journalistische Arbeit undundund.
Und wie immer wird auch diese Epoche erst jetzt richtig wahrgenommen, wo die Protagonistînnen (ja, es gab auch Frauen) ins höhere Alter kommen. Leopold Steurer wurde im November 75.
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