„Wir müssen umdenken“
Kommt es nach den Osterfeiertagen zu einer neuen Coronawelle? Und braucht es deshalb die vierte Impfung für alle? Der Biostatistiker Markus Falk klärt auf.
Tageszeitung: Herr Falk, viele Personen haben die Osterfeiertage im großen Kreis mit ihren Familien verbracht. Welche Auswirkungen hat das auf die Pandemie? Muss man mit einer neuen Welle rechnen?
Markus Falk: Wie an Weihnachten und Fasching erhöht sich auch zu Ostern die Kontaktzahl. Man trifft sich in der Familie und Verwandte reisen an. Solange es Infektiöse gibt, führt dies zwangsläufig zu einem Anstieg der Fälle. Diese werden das Infektionsgeschehen in den nächsten zwei bis drei Wochen bestimmen und es wird nun wohl auch Familien treffen, die bisher keine Fälle hatten.
Wird es auch zu einem Anstieg der Krankenhauszahlen kommen?
Da ein Anstieg des Infektionsgeschehens meist alle Altersgruppen betrifft, wird es auch zu einem Anstieg der Hospitalisierten kommen. Dieser sollte laut Prognose aber recht bescheiden ausfallen.
Wäre es ratsam gewesen, über Ostern Beschränkungen einzuführen?
Wir haben zurecht keinen Notstand mehr, sodass Beschränkungen, die über alle verhängt werden, nicht mehr notwendig sind. Zudem müssen wir nun umdenken. Coviderkrankte gehören nur mehr im Ausnahmefall ins Krankenhaus und sollten fast ausschließlich auch unter Zuhilfenahme der neuen Medikamente zuhause behandelt werden. Hier sind auch die Angehörigen und Altenheime mit einzubeziehen. Die Maske wird weiterhin wichtig bleiben, auch wenn sie nicht mehr vorgeschrieben sein sollte.
In der letzten Woche wurde ein rasanter Anstieg der Fallzahlen in den Altenheimen verzeichnet. Viele der Bewohner haben bereits im Herbst ihre dritte Impfung bekommen. Besteht darin ein Zusammenhang? Verfällt der Impfschutz?
Mittlerweile liegt der Abstand zur Boosterimpfung bei mehr als der Hälfte über drei Monate zurück, sodass die Schutzwirkung vor Infektion deutlich nachließ und noch weiter nachlassen wird. Zudem waren über die Kinder hauptsächlich Familien betroffen. Dort findet sich dann auch der Großteil der arbeitenden Bevölkerung, sodass das Virus weiterhin gut verteilt wird und auch die Altenheime erreicht.
Bräuchte es immer noch Besuchereinschränkungen?
Allgemeine Besucherbeschränkungen sind nicht mehr nötig, da selbst wenn ein ganzes Altenheim betroffen sein sollte, keine Gefahr mehr für das Gesundheitssystem besteht. Man wird aber im Einzelfall bei besonders vulnerablen Personen sehr wohl noch aktive Schutzmaßnahmen ergreifen müssen. Von 100 Coviderkrankten in der Altersklasse von 80 aufwärts werden dies zwei bis fünf nicht überleben.
Über-80-jährige können den zweiten Booster machen. Bietet dieser einen effektiven Schutz?
Neueste Daten zeigen, dass mit der zweiten Boosterung die Schutzwirkung in dieser Altersklasse deutlich angehoben wird, sodass sie allen von 80 aufwärts nach Ablauf der drei Monate zur letzten Impfung angeraten ist. Auch bei besonders Vulnerablen unter 80 empfiehlt sich der vierte Stich und in manchen Staaten ist er bereits für alle ab 50 freigegeben.
Die Regeln werden gelockert, auch für den Pass hat der zweite Booster keine Auswirkungen. Ist dementsprechend mit einer geringeren Teilnahme an der vierten Impfung zu rechnen? Welche Auswirkungen hätte das?
Die Impfplicht hat ausgedient und sollte nun mit der Impfselbstverständlichkeit ersetzt werden. Eine zugelassene Impfung muss nicht weiter hinterfragt werden, denn es gibt nichts, das ein Einzelner abwiegen könnte, um sich für oder gegen die Impfung zu entscheiden. Das was es gibt, sind individuelle Faktoren, die auf den Impfzeitpunkt einwirken könnten, wie beispielsweise eine soeben durchgemachte Erkrankung, sowie mögliche bereits identifizierte Kontraindikationen, die aber die Impfärztin mit dem Impfling bespricht. Da das Risiko für einen schweren Verlauf bei Covid in der Altersgruppe der 80-Jährigen und darüber nach wie vor sehr hoch ist, bin ich mir sicher, dass viele das Impfangebot annehmen werden. So sterben an einem Omikroninfekt in der Altersklasse 80+ etwa ein Prozent der Geboosterten, bei unzureichend Geimpften sind es vier Prozent und bei Ungeimpften gar sechs Prozent. Zum Vergleich, in dieser Altersklasse versterben etwa ein Prozent bis zwei Prozent der Grippeerkrankten.
Ist anzunehmen, dass sich eigentlich viel mehr Personen mittlerweile mit dem Virus infiziert haben und dieses unbemerkt verbreiten?
Besonders bei den Kindern kann derzeit die Dunkelziffer recht hoch sein, da deutlich weniger getestet wird, damit man die Unannehmlichkeiten einer Quarantäne umgeht. Dies kann dann klarerweise auch zu einer Verschleppung der Fälle führen. Man sollte aber den Eltern vertrauen und davon ausgehen, dass der Großteil sich im Infektionsfall richtig verhalten wird. Auch aus diesem Grund wird jedoch ein Stichprobenmonitoring im Herbst wichtig werden.
Interview: Markus Rufin
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