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Kraft der Klamotte

Chiara Ferragni in New York (Foto: Instagram/Chiara Ferragni)

In Bruneck echauffiert sich eine Schule gegen bauchfreie Mode und fordert angemessene Kleidung von ihren Schülerinnen: Eine Streitschrift gegen sexistische Kleiderordnungen.

von Silke Hinterwaldner

Allerspätestens als Chiara Ferragni Mitte Februar in New York diesen kurzen Rock trug, der an eine mit der Schere dürftig abgeschnittene Schuluniform erinnert, war klar, dass dieses Jahr luftig werden würde. Denn nicht nur der Rock war kurz, er saß auch tief auf der Hüfte, dazu ein Hemd und ein Pullover, die mehr Bauch entblößten als sie verdeckten.

Aber nicht erst seit diesem Winter ist bauchfrei wieder total hip, das gab es und gibt es immer wieder. Es werden auch nicht nur Bäuche gezeigt, sondern wahlweise nackte Beine oder nackte Schultern, je nachdem was gerade angesagt ist.

Bei den ersten wärmenden Sonnenstrahlen dieses Frühjahrs haben offenbar auch immer mehr Schülerinnen ihre Mitte entblößt. Nur so lässt sich erklären, warum eine Direktorin in Bruneck sich bemüßigt fühlte, den Eltern ein Mahnschreiben zukommen zu lassen. Darin schreibt Isolde Maria Künig, Direktorin am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium und Kunstgymnasium in Bruneck, über „angemessene Bekleidung an der Schule“. Obwohl im Schreiben vorbildlich mit Sternchen gegendert wird, ist schnell klar, dass diese Kleiderordnung sich an die Mädchen richtet, die in ihren Augen zu viel Haut zeigen. Zitat:

„Unsere Schule ist eine öffentliche Institution, in der Regeln des guten Miteinanders einzuhalten sind. Diese Regeln fußen auf den ethischen Prinzipien der Würde und Dezenz. Selbstverständlich ist es unangebracht, durch das eigene Verhalten und auch durch mangelhafte Bedeckung des Körpers Irritation auszulösen.“

Was folgt ist die Drohung mit Disziplinarmaßnahmen, „falls die Bekleidung anstößig sein sollte“ oder die Schülerinnen „bauchfrei an der Schule erscheinen“. Die Strafe steigert sich von der schriftlichen Verwarnung bis hin zum Ausschluss vom Unterricht.

Harter Tobak.

Die Diskussion darum, was in der Schule – vor allem und fast ausschließlich von jungen Frauen – getragen werden darf, ist nicht neu. An unterschiedlichen Schulen in unterschiedlichen Ländern sind deshalb bereits Kleiderordnungen entworfen und Strafen ersonnen worden. Ein beliebtes Mittel: Wer zu viel Bauch zeigt, muss zur Strafe den gesamten Tag über ein zeltförmiges T-Shirt tragen. Wahrscheinlich um sich so zum Gespött zu machen. Das erinnert an Erziehungsmaßnahmen aus fernen Tagen – etwa als im Kindergarten Strumpfhosen mit Glöckchen tragen musste, wer es nicht mehr rechtzeitig aufs Klo geschafft hatte. Dies damit jeder im Dorf sehen und hören konnte, dass etwas in die Hose gegangen war.

Zurück in das Gymnasium in Bruneck: Nachdem Eltern und Schülerinnen das Schreiben der Direktorin erhalten hatten, brach eine Diskussion los, die bis heute andauert. Sehr cool eine Aktion von Schülerinnen, die einige Tage später demonstrativ mit bauchfreien Oberteilen zum Unterricht erschienen. Noch cooler wäre es freilich gewesen, wenn sich an dieser Protestaktion auch die Schüler beteiligt hätten – insofern es solche am SowiKustGym überhaupt gibt. Auf diese Weise hätten die jungen Männer nicht nur Solidarität mit dem Mitschülerinnen ausdrücken können, sie hätten auch auf die Kraft der Klamotte verwiesen: Ich bis stark und trage, was ich will!

Ob man an den Südtiroler Oberschulen aber schon so weit ist, eine tiefergreifende Diskussion über sexistische Maßnahmen zu führen, darf bezweifelt werden. In ersten Reaktionen an der Schule in Bruneck, erzählt eine Schülerin auf Facebook, äußerten sich Lehrerinnen und Lehrer wie folgt: „Ihr sollt froh sein, überhaupt in der Schule sein zu dürfen!“ Oder: „Leicht bekleidete Mädchen dürfen sich nicht wundern, wenn ihnen Männer nachpfeifen, sie anfassen,…“ Auch interessant: „Wenn eine Frau vergewaltigt wird, ist das doch auch schuld von ihr, wenn sie leicht bekleidet ist!“ Oder: „Frauen ziehen sich nur freizügig an, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen!“ Das ist alles sexistisch. Und trägt nicht dazu bei, dass Mädchen und Jungs einen natürlichen Umgang mit ihrem Körper erlernen.

Da scheint es wohl höchst an der Zeit, über moderne und antiquierte Frauenbilder zu diskutieren. Immerhin: Der Brief der Direktorin löste eine wichtige Debatte aus, denn er wirft indirekt die Frage auf: Sind tatsächlich die Mädchen in bauchfreien Shirts das Problem? Oder doch eher Lehrer und Mitschüler, die sich dadurch irritieren lassen? Um noch einen Schritt weiterzudenken: Ist es nicht vielmehr eine Unterstellung, dass jedes männliche Wesen sofort aus dem Takt gerät, sobald es einen nackten Bauch sieht?

Bleibt noch der stets gut gemeinte Rat, dass es zu kalt sei für ein kurzes Shirt, Nieren und der Beckenboden müssen zumindest bis zum Beginn des Sommers mit einem baumwollenen Unterleibchen vor Kälte geschützt werden. Das mag aber eben nicht jeder.

Direktorin Künig hat sich für das Schreiben bereits bei ihren Schülerinnen entschuldigt. Sie geht auch noch einen Schritt weiter und möchte sich am morgigen Mittwoch mit den Schülerinnen und Lehrpersonen zusammensetzen, um gemeinsam einen Ausweg aus der Debatte zu finden. Die angedrohte Kleiderordnung – übrigens an öffentlichen Schulen in Südtirol grundsätzlich nicht vorgesehen – steht weiterhin im Raum. Das Gespräch darf mit Spannung erwartet werden: Geht es dabei nur darum, wie viele Zentimeter Haut zwischen Hosenbund und Shirt erlaubt sind? (Wer sollte so etwas kontrollieren und vor allem wie, mit dem Lineal?)

Das Problem liegt aber viel tiefer: In einer Stellungnahme im Tagblatt Dolomiten wollte Direktorin Künig die Dinge in ein besseres Licht rücken. Dabei erklärte sie, dass sich die Mädchen „einer gesundheitsschädigen Diät“ unterziehen müssten, um schön genug für die kurzen Pullover zu sein. Da muss man aber auch fragen: Was ist hier falsch? Wahrscheinlich der Gedanke, dass man dünn sein muss und diesen Schönheitsidealen entsprechen möchte. Es ist sicher nicht ganz leicht, aber man sollte mehr über die Akzeptanz des Körpers nachdenken, versuchen den Schülerinnen eine Art Bodypositivity zu vermitteln. Bauchfrei soll auch jemand tragen können, der keine Modelmaße hat – wenn er möchte und sich dabei wohlfühlt.

Übrigens: Den kleinen Rock des italienischen Labels Miu Miu, den Influencerin Chiara Ferragni im Februar trug, gibt es nicht nur für Magermodels, sondern auch in größeren Größen, wohl um ein Zeichen zu setzen – jeder kann Mode tragen. Bodypositivity eben. Einen Versuch ist es allemal wert.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (38)

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  • andreas

    Frau Silke Hinterwaldner hat wohl öfters Artikel von der Margarete Stokowski gelesen, die sind ähnlich provokant, naiv und an der Realität vorbei.
    Es gibt gesellschaftliche Normen und Regeln, welche größtenteils anerkannt sind und es eine Frage des Respekt und Anstandes ist, sich einigermaßen an diese zu halten.

    Diese Annahme, dass in einer Gesellschaft jeder seine „Individualität“ ausleben soll, da sonst seine „Entwicklung“ gestört werden könnte, ist schon deshalb falsch, weil eine Gesellschaft ohne Regeln nicht funktioniert.
    Einer fühlt sich von einer roten Ampel in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, der andere durch eine Maske in seiner weiß ich was und ein anderer besteht darauf, sich seinen Kürbis einschlagen zu dürfen und fährt ohne Helm durch die Gegend.

    Auch ist der Konkurrenzkampf unter Jugendlichen bei Kleidung und Aussehen nicht im Sinne des Erfinders, da sich manche nun mal keine teure Markenklamotten leisten können und andere halt etwas pummeliger sind.

    Frau Hinterwaldner fördert mit diesem Artikel dekadente Egozentrik und das Ergebnis sind Gestalten wie z.B. fanatische Impfgegner, welche sich teilweise in einen Wahn reinsteigern, siehe den Deutschen, für welchen es anscheinend immer noch kein anderes Thema gibt.

    • honsi

      Mittlerweile gilt ja ein Impfgegner weit aus gefährlicher(und wir dementsprechend auch mehr geächtet) als eine Religionsgemeinschaft die zehntausende von Kindern vergewaltigt hat und dessen Straftäter noch deckt. Und deren Mitglieder hören sich brav und artig deren Veranstaltungen an, wo Moral und Anstatt als das Wichtigste ist. Natürlich gibt es dafür keine Ächtung und es ist ja auch nicht so, dass diese an ein imaginäres Wesen glauben, sondern alles wissenschaftlich fundiert ist.

    • george

      ‚andreas‘, was du hier schreibst, kann ich zum Großteil unterstreichen. Zudem ist diese Bekleidungstendenz ohnehin nur eine kurzzeitige Modeerscheinung, von der nur wiederum einige wenige ihren Profit daraus schlagen, indem sie anderen unnötig das Geld aus der Tasche ziehen, weil sie ihnen einflößen, nur wer hier mitläuft, ist „in“.

  • sougeatsnet

    Kleiderregel hin oder her, Genderfreiheit und vieles mehr, Tatsache ist dass viele junge weibliche Wesen mit Blasenproblemen zu leiden haben, aber offensichtlich gilt die Devise „Schönheit muss leiden“. Es wird wohl niemand behaupten, bauchfrei trage zur Abhärtung bei, oder etwa doch? Bauchfreie Jungs scheinen kein Thema zu sein, warum wohl? Mir ist grundsätzlich egal wie sich jemand kleidet, auf die Gesundheit muss jede selbst schauen. Das Nacheifern von zweifelhaften Vorbildern zeigt sich hier. Verbote lösen das Problem nicht.

  • kritiker

    Die Frage ist nur, wie weit man gehen will. Nächstens kommt oben ohne in Mode. Von mir aus. Irgendwelche Regeln wird es wohl geben müssen. Sonst kommt jemand auf die Idee unten ohne zu gehen.

  • gorgo

    Ups.. da wollte wohl jemand cool sein und ein bisschen provozieren, indem sie das Thema auf Sexismus runterbricht und damit absolut daneben gegriffen.
    Wie Oberschüler seit eh und je im Kleiderkasten, was normal und okay ist, sowie seit eh und je die jeweilige Diskussion darüber.

    Wünsche der Verfasserin einige weitergehende Gedankengänge
    zB. welcher noch nie dagewesenen andauernden Selbstbetrachtung Kinder und Jugendliche durch insta & co ausgesetzt sind, wie gravierend Ess-und Persönlichkeitsstörungen zugenommen haben, inwieweit sich Jugendliche finden können, wenn gar keine Grenzen und Regeln gesetzt werden, ob es wirklich ein Zeichen von Individualität und Ausdruck ist, wenn man die Vorgaben der Kleidungsindustrie erfüllt und ob es nicht etwas paradox ist, zu verlangen, dass auf all diesen Ausdruck, keine Reaktion, keine Ressonanz des Umfeldes erfolgen darf, ob Bodypositivity wirklich damit zu tun hat, Röcke zu tragen, die einen nicht stehen.
    Ob es legitim ist, das Lehrpersonal, dem das Wohl der Jugendlichen sicher am Herzen liegt, auf so billige Art zu diskreditieren?

    Falls tatsächlich von Lehrerseite gesagt wurde, Vergewaltigungsopfer seien in irgendeiner Form selbst Schuld, sollte der Sache nachgegangen werden. Aber eben auch im umgekehrten Fall.

    Finde es gut, dass an der Schule nun darüber gesprochen wird.
    Ein noch wichtigeres Thema wäre, welche Umweltverschmutzung und Ausbeutung die Kleidungsindustrie generiert.. als Kontrapunkt zu dieser ewigen Bauchnabeldenke.

  • george

    @guenter
    „Dass eine Schulleiterin im Jahre 2022 in die gleiche Kerbe schlägt zeigt wieviel Arbeit noch bis zur ehrlichen Gleichstellung von Mann und Frau zu tun ist.“
    Und das willst du aus den paar Sätzen heraus erkannt haben, dass „eine Schulleiterin im Jahre 2022 in die gleiche Kerbe schlägt“? Welche Vorurteile hast du denn und wieso kann man nicht gemeinsame Gesellschaftsregeln respektieren. Wieso sollen derart sich aufdrängende Modeerscheinungen immer alles und alle überrollen dürfen. In welcher Welt der Vergeudung leben wir denn? Da ist wirklich viel zu tun, damit wir nicht von solcher Oberflächlichkeit der Meinungen verweht werden.

  • andreas1234567

    Hallo nach Südtirol,

    sollen sie doch herumlaufen wie sie wollen..Hier haben wir es mit der medialen Landplage der „Influenzler“ zu schaffen, die leben von Provokation und Aufruhr, sonst keine Klicks..Keine Klicks, keine Werbiung.Keine Werbung, kein Geld.Kein Geld dann leider arbeiten..

    Ich schau es mir auch an, in dem speziellen Fall der jungen Dame auf dem Bild würde ich ein feistes Speck-oder Käsebrot spendieren, das schaut schon etwas ungesund aus wie dort die Knochen rausspitzen, so wird man sogar in der Sahelzone noch aus Mitleid zum Essen eingeladen..

    Soviel zu dieser „Influencerin“, ist wohl im letzten Moment auch der Streitschriftverfasserin eingefallen mit dem schliessenden Hinweis das Miniröckchen gäbe es nicht nur in Bundweite von Söckchen sondern auch in normalen Grössen.Puh, gerade noch die Kurve als feministische Kämpferin bekommen.

    Typisches Aufmerksamkeitspingpong zwischen Feministenkampfhenne und freizügiger Klamottenschaufensterpuppe, mehr ist da nicht hinter..

    Gruss aus D

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