„Zeit des Deliriums“
Der SVP-Landtagsclub ist inzwischen zu jenem Gremium innerhalb der Volkspartei geworden, das sich wohl am weitesten von der Basis und von den Anständigen im Edelweiß entfernt hat. Eine Analyse.
von Artur Oberhofer
Dass er nicht zu jenen Menschen gehört, die nach der Lektüre des Panini-Albums und/oder des Autobüchleins noch das Bedürfnis verspüren, im Laufe ihres weiteren Lebens ein zweites oder sogar noch ein drittes Buch zu lesen, hat Manfred Vallazza selbst gesagt. „Ich lese dieses Biachl (zu Deutsch: Büchlein) ganz bestimmt nicht“, erklärte der SVP-Bauernvertreter in einer ersten Reaktion kurz nach dem Erscheinen des Enthüllungsbuches „Freunde im Edelweiß“. Und lachte.
Nun ist es ja nicht so, dass jemand von ihm verlangt hätte, dass er sich einen Dostojewski oder einen Nietzsche reinzieht.
Aber ein Buch, in dem steht, was Christoph Perathoner von Daniel Alfreider („Der Alfreider ist ein richtig dummer Mensch“) oder von ihm selbst hält („Der Vallazza ist halt der arme Bub, der mit dem Rucksack von Dorf zu Dorf geht und sich bewirbt“) und wie und warum er ihn, Vallazza, als Störkandidaten gegen Alfreider lanciert hat, sollte ein Mitglied der SVP-Landtagsfraktion schon gelesen haben. Zumindest diagonal.
Mit seinem Bekenntnis, nicht der Kulturgruppe mit der Tendenz zum Zweitbuch anzugehören und noch mehr mit seiner strikten Weigerung, sich mit den Inhalten des SVP-SAD-Skandals auseinanderzusetzen, ist Manfred Vallazza in der SVP-Fraktion nicht allein, sondern in prominenter Gesellschaft. Auch ein Sepp Noggler (der nach dem Erscheinen des Buches sagte, er gehe nicht davon aus, dass es Rücktritte geben werde) oder ein Franz Locher brüsten sich damit, zum erlauchten Kreis der Nicht-Leser zu zählen.
Und sie merken dabei nicht, dass sie mit ihren bauerncoolen Sprüchen der Partei einen Bärendienst erweisen.
Die SVP-Fraktion im Südtiroler Landtag ist inzwischen zu jenem Gremium innerhalb der Südtiroler Volkspartei geworden, das sich am weitesten von der Basis, von den Anständigen im Edelweiß entfernt und das Gespür für des Volkes Stimme völlig verloren hat.
Die SVP-Fraktion ist zu einem elitären Club der Uneinsichtigen, zu einer Echokammer geworden, in der sich die Abgeordneten gegenseitig befeuern und einreden, sie könnten ungeniert weitermachen wie bisher. Das System ist am Implodieren. Und gewisse Herren sagen, es sei ja nichts geschehen.
Für Locher & Co. ist es politisch unerheblich, dass es einen Putschversuch gegen Landeshauptmann Arno Kompatscher gegeben hat. Es spielt keine Rolle, dass Daniel Alfreiders Eltern massiv bedroht und eingeschüchtert wurden mit dem Ziel, den SVP-Ladiner dazu zu bringen, auf das Amt des Mobilitäts-Landesrates zu verzichten.
In der SVP-Landtagsfraktion wird nicht darüber diskutiert, dass Alt-LH Luis Durnwalder zu seinem Neffen Meinhard Durnwalder gesagt hat, man hätte – Zitat aus den Abhörprotokollen bzw. Audio-Dateien – früher auf Landesrat Alfreider „schießen“ müssen.
Es ist politisch nicht von Relevanz, dass der Alt-LH in seinem „großfürstlichem Selbstverständnis“ (so Peter Filzmaier) als Polit-Rentner gegen seinen Nachfolger intrigiert und geglaubt hat, sein Anruf wäre immer noch Gesetz.
In der SVP-Fraktion ist nicht ein Thomas Widmann das Problem, der SAD-Chef Ingemar Gatterer verspricht, den Landeshauptmann „hupfen zu lassen“, sondern ein Gert Lanz, der sagt, ihm grause es, mit Leuten wie Widmann an einem Tisch zu sitzen.
Das heißt: Anstatt die Vorgänge seriös aufzuarbeiten und die im Buch „Freunde im Edelweiß“ enttarnte SVP-Clique, die Arno Kompatscher stürzen und die Politik in Südtirol bestimmen wollte, zur Rechenschaft zu ziehen, entzieht die SVP-Fraktion ihrem Chef, der Aufklärung fordert, das Vertrauen und wundert sich dann, dass Gert Lanz – wieder ein Zitat – „keine Lust mehr hatte, mit einem Messer im Rücken herumzulaufen“. Komisch.
Wie realitätsfern die Mitglieder im No-Skandal-Club agieren, beweist der Umstand, dass die SVP-Fraktion die klaren Aufträge der SVP-Bürgermeisterkonferenz und der SVP-Leitung ignorieren – ganz so, als hätte die SVP-Fraktion mit dem Rest der Partei nichts zu tun. Die SVP-Bürgermeister hatten dem Landeshauptmann und dem Parteiobmann den klaren Auftrag erteilt, sich zusammenzuraufen und gemeinsam eine Lösung zu suchen.
Auf welchem Niveau im SVP-Club Politik gemacht wird, zeigte sich am vergangenen Mittwoch, als über den Misstrauens-Antrag gegen Gert Lanz diskutiert wurde.
Es waren die drei Bauern Noggler, Locher und Vallazza, die in dieser Phase der allgemeinen Verunsicherung die Stammtisch-, pardon-Deutungshoheit in der SVP-Fraktion übernommen haben und den SVP-Fraktionssprecher fragten, was er sich denn dabei gedacht habe, mit SAD-Chef Ingemar Gatterer ein Side Letter zu unterschreiben.
Die Antwort von Gert Lanz war knapp aber deutlich: Es sei schon lustig, dass diese ausgerechnet von den Landwirte kommt die selbst – so Lanz spitz – bei jedem Grundkauf einen Nebenvertrag unterzeichnen.
Sepp Noggler wiederholte ein weiteres Mal, dass er mit Gert Lanz beleidigt sei, weil dieser ihn nicht dabei unterstützt habe, Landesrat zu werden. Thomas Widmann warf dem Fraktionschef vor, die wichtigen Entscheidungen würden in der Fraktion getroffen und er dürfe dann nicht mehr mitstimmen.
Das sagte genau der Landesrat, der bei den meisten Sitzungen fehlte.
Franz Locher kritisierte, er, Lanz, habe zu wenig ausgleichend gewirkt. Locher, der Harmoniebedürftige.
Das Spiel von Locher & Co. ging aber nicht auf. Denn mit seinem überraschenden Rücktritt übergab Gert Lanz die Dynamitkerze mit der brennenden Lunte an die, die ihn öffentlichkeitswirksam abwatschen und dann am Ende doch wieder begnadigen wollten.
Das Kafkaeske an dem Ganzen ist: In den mit dieser Krise völlig überforderten Oppositionsparteien hat die SVP-Fraktion jene nützlichen Zuarbeiter gefunden, die der Volkspartei dabei behilflich sind, den Deckel auf dem Topf zu halten.
Mit der marinierten Floskel, man wolle sich im Streit zwischen zwei SVP-Seilschaften neutral verhalten, übertüncht die Opposition ihre mangelnde parlamentarische Kreativität, wobei Opposition nicht gleich Opposition ist. Die Grünen haben sich für die Taktik der Indianer entschieden, am Ufer zu warten, bis die SVP-„Leichen“ vorbeischwimmen. Das Team K ist nach den internen Problemen – 600-Euro-Affäre des Team-Chefs, Austritte von zwei Abgeordneten – nun wieder dabei, sich als Anti-SVP zu positionieren, wobei derzeit Maria Elisabeth Rieder als hyperaktive Schatten-Soziallandesrätin den Ton vorgibt.
Paul Köllensperger, so heißt es aus dessen engstem Umfeld, hat nach einer politischen Sinnkrise wieder die Power, um im Herbst 2023 ein letztes Mal den Versuch zu starten, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Er selbst ist noch hin- und hergerissen, wie sein Team die größte SVP-Krise aller Zeiten politisch ausschlachten könnte.
Köllensperger sagt ganz offen: „Momentan, glaube ich, tun wir am besten, wenn wir zuschauen, wie sich die SVP selbst abwrackt, das ist demokratiepolitisch das Beste, was passieren kann.“ Der SVP könne es so ergehen wie dereinst der DC, „die war auch plötzlich nicht mehr da“. Der „ethische Verfall“, der unter Luis Durnwalder begonnen habe, setze sich in der SVP unter Arno Kompatscher nahtlos fort.
Sybillinisch kündigt der Team-K-Chef aber an: „Wir werden in den nächsten Tagen einen Vorschlag bringen, wie man das erbärmliche Spektakel beenden und sich endlich wieder den Sachthemen, die den Menschen unter den Fingernägeln brennen, zuwenden kann.“ In dieser „Zeit des Deliriums der Regierungspartei, die sich gerade selbst zerlegt“, so Köllensperger, „ist der Aufruf, sich endlich wieder um die Sache zu kümmern, ein Zeichen von Verantwortung.“
Und in Richtung LH sagte der Team-K-Chef: „Als LH würde ich lieber zurücktreten, als mich so vorführen zu lassen.“
Anders die Situation bei den Blauen. F-Chef Andreas Leiter Reber steht als bekennender Marenden-Freund von Franz Locher, Manfred Vallazza und Sepp Noggler ohnehin schon im Status eines kooptierten Mitglieds im SVP-Club. Und Ulli Mair ist – ähnlich wie die Grünen – der Ansicht, dass man die SVP bei ihrem Selbstzerfleischungsprozess ja nicht stören sollte.
Bliebe noch die STF, die sich in kürzester Zeit von einer monothematisch aufgestellten Oppositionsbewegung zu einer Kraft gewandelt hat, die den No Vaxlern und dem Medienhaus Athesia zuzwinkert. Der Medienprofi Sven Knoll hat als erster Oppositioneller kapiert, dass es genügt, den LH zu beschimpfen – und schon bekommt man das tägliche Briefmarken-Foto in der „Dolo“. Und dazu noch ein schmatzendes Bussi von Toni Ebner am Runden Tisch der Rai.
Freilich: Für die Opposition gilt dasselbe wie für die SVP und deren fidelen Landtags-Club der Krisen-Leugner: Wie werden (spätestens) 2023 die WählerInnen ihre derzeitige Performance beurteilen?
Kommentare (36)
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