Streitlüsterne Zeiten
Bolzano Filmfestival Bozen: Wie schwierig in streitlüsternen Zeiten der Weg zur Empathie sein kann und wie sinnvoll die wäre, zeigen Dokumentarfilme des BFFB.
von Renate Mumelter
Gestern wurde das 35. Filmfestival in Bozen nach zwei Jahren Zwangspause eröffnet. Das Positive an der Zwangspause sind die Neuerungen wie die online-Nachspielzeit vom 10. bis zum 16. April und die Waag-Talks, die ebenso im Netz zu finden sind. Dieser Innovationsschub ist der Pandemie zu verdanken.
Die Doku-Filme
Nach guten zwei Jahren Pandemie schauen wir zwar immer noch mit Maske aber etwas freier in eine Welt, die aktuell eher erschaudern lässt. Das wird an den Dokumentarfilmen deutlich, die das Festival anbietet. Heiter ist da wenig bis gar nichts, interessant ist fast alles, und vor allem zeigt das Angebot, wie unterschiedlich Dokumentarfilme gemacht sein können. Die Bandbreite reicht vom nüchtern aufzeichnenden „Hinter den Schlagzeilen“ von Daniel Andreas Sager bis zu Yuri Ancaranis faszinierendem „Atlantide“, bei dem Fiktion und Realität verschwimmen, wie im wirklichen Leben oft auch. Sagers Film spielt auf der ganzen Welt, Ancaranis Film in der Lagune von Venedig.
Hinter den Schlagzeilen
erzählt sehr nüchtern wie investigativer Journalismus im Detail funktioniert. Sager begleitet die Journalisten der Süddeutschen Zeitung bei ihrer Arbeit. Sie gehen Fällen auf den Grund wie dem Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galicia oder dem Video, das den Ibizia-Skandal ausgelöst hat. Und weil „tutto il mondo paese“ ist, gibt es beim BFFB ganz aktuell auch die Gelegenheit hinter die lokalen Schlagzeilen zu schauen. Beim Waag-Talk kommen heute die Journalistînnen Christoph Franceschini, Marco Angelucci und Jutta Kußtatscher zu Wort.
Soldat Ahmed
erzählt davon, wie es einem Soldaten so geht. Ahmed ist der Sohn türkischer Einwanderer. Er arbeitet beim österreichischen Heer als Sanitäter. Aktuell lebt er weit weg von jeder Front. Ahmed lässt den Regisseur Jannis Lenz und damit auch das Publikum sehr offen in sein Leben schauen. In seiner Freizeit spielt der Soldat Theater und versucht weinen zu lernenl, weil er das im Theater können möchte. Wie diese Suche endet, zeigt dieser Film, der in Erinnerung bleibt.
I’ll stand by you
lenkt den Blick auf ein besonderes, trauriges Thema, Selbstmord. Trotzdem bietet die Geschichte Anlass zur Hoffnung. Litauen hat europaweit die meisten Suizide. Die Gemeinde Kupiskis richtete deshalb einen Dienst ein, der suizidgefährdete Menschen auffängt. „I’ll stand by you“ begleitet eine Polizistin und eine Psychologin dabei. Formal einfach gemacht, geht die Erzählung unter die Haut. Das tut sie aber nicht als Gruselgeschichte sondern als positives Beispiel dafür, wie wirksam Empathie sein kann. Ein Lichtblick in egodominierten Zeiten.
Atlantide
gilt zwar als Dokumentarfilm, überschreitet aber die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Yuri Ancarani betreibt diese Grenzüberschreitung konsequent und gekonnt. Diesmal erzählt er aus der Lagune von Venedig. Im Mittelpunkt stehen junge Menschen, die versuchen erwachsen zu werden. Mit großem Risiko. Eine Sozialstudie. Ancaranis Film gehört unbedingt auf die Leinwand. „Atlantide“ zieht mit auserlesenen Bildern, einem durchdachten Rhythmus und der entsprechenden Musik in seinen Bann.
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