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„Der Wahrheit in die Augen schauen“

Der Religionslehrer Robert Hochgruber fordert den Bischof ein, die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche nicht länger auszusitzen.

In einem Offenen Brief an den Bischof fordert der Brixner Religionslehrer und Kirchenkritiker Robert Hochgruber eine zügigere Aufarbeitung der Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche.

Hochgruber wirft dem Bischof „unnötige Verzögerung“ vor.

Das ist der Offene Brief im Wortlaut:

„Mit Verwunderung und Enttäuschung habe ich aus der Pressemitteilung der Diözese vom 31. März 2022 entnommen, dass die konkreten Projekte zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Herbst vorgestellt werden sollen. Das kommt meines Erachtens einer unnötigen Verzögerung gleich, die auch als Versuch von Aussitzen des Problems ausgelegt werden könnte.

So ersuche ich Sie und den Fachbeirat, das dargelegte Vorgehen zu überdenken und mit zwei Projekten noch in diesem Frühjahr zu beginnen: Erstens mit einer Analyse von dem, was an sexuellem Missbrauch in der Diözese geschehen ist und, zweitens, mit der Einrichtung eines Betroffenenbeirates.

Hans Zollner SJ hat im Rahmen einer von der Diözese organisierten Tagung am 4.3.2022 in Bozen deutlich gemacht, dass als erster Schritt in Richtung Aufarbeitung eine Analyse von dem, was geschehen ist, notwendig ist. Daraufhin müsste das Bekennen der Vergehen sich und anderen gegenüber stattfinden. Das sollte zu Schritten in eine Wiedergutmachung führen. Damit könnte deutlich werden, dass die Kirche etwas gelernt und sich verändert hat.

Die Analyse, Herr Bischof Muser, halte ich jetzt schon für nötig und möglich. Darauf aufbauend könnten im Herbst die weiteren Schritte und die neuen Projekte vorgestellt werden.

Ich erachte die Einrichtung eines Betroffenenbeirates, den es in fast allen deutschen Diözesen gibt, für nötig. Dadurch würde jenen, die Gewalt und Leid erlitten haben, eine Stimme gegeben und ein Stück Würde zurückgegeben. Die Diözesanleitung kann dadurch zeigen, dass sie den Betroffenen in der Weise Gerechtigkeit verschafft, wie sie es wünschen und nötig haben. Auch könnte der Beitrag von Betroffenen zur Aufarbeitung wesentlich sein und ist deshalb ernst zu nehmen.

Ich habe Ihnen, Herr Bischof, sowie Gottfried Ugolini von der Dienststelle, dem Fachbeirat und Maria Sparber von der Ombudsstelle am 9. März einen konkreten Vorschlag für ein Statut eines Betroffenenbeirates zugesandt und hoffe, dass er als Grundlage für die Diskussion um die Einrichtung eines Betroffenenbeirates dienen kann (siehe Anhang).

Sehr geehrter Herr Bischof, das Konzept für eine Studie in Südtirol, erarbeitet im Laufe des vergangenen Jahres, wurde von Ihnen zunächst abgelehnt. Ende Jänner 2022 erklärten Sie, dass es als Basis für ein neues Konzept dienen würde, das zu einer gründlichen Aufarbeitung führen sollte.

Am 4. März fand die Tagung mit P. Hans Zollner statt. Nun erklären Sie, dass die ersten Projekte im Herbst vorgestellt werden sollen. Dieser lange Zeitraum ist für mich nicht nachvollziehbar und erneut eine Ankündigung ohne konkreten Inhalt. Für Betroffene wie auch andere Mitglieder der Kirche könnte meiner Meinung nach dadurch der Eindruck entstehen, dass die Aussage „die Diözese übernehme die Verantwortung, dass den Betroffenen Gerechtigkeit zuteil werde“ (Pressemitteilung vom 31.3.2022) eine leere Floskel ist, ebenso wie, dass die „Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche ein wichtiges Anliegen der Diözese“ sei.

Ich bin überzeugt, dass Sie und alle Gläubigen ein großes Interesse daran haben, dass die Menschen Vertrauen in die Priester bzw. in die Kirche insgesamt haben. Die aktuelle Astat-Umfrage zeigt allerdings, dass die Priester in Bezug auf Vertrauen an drittletzter Stelle stehen. Das könnte durch konkrete Taten verändert werden.

Ich bitte Sie deshalb, zeigen Sie sowie die anderen Verantwortlichen der Diözesanleitung und der Ordensgemeinschaften den Mut und die Kraft, der Wahrheit in die Augen zu schauen und leiten Sie bereits jetzt neue konkrete Schritte der Aufarbeitung in die Wege.

Mit hoffnungsvollen, friedlichen Grüßen

Robert Hochgruber“

Robert Hochgruber schickt dem Bischof auch gleich einen Vorschlag mit, wie der Betroffenenbeirat aussehen könnte – und wer in diesem Gremium mitarbeiten sollte.

Vorschlag

Die Diözese Bozen-Brixen richtet einen Betroffenenbeirat ein. Betroffene, die in ihrer Kindheit, als Jugendliche oder Schutzbefohlene im Bereich der Katholischen Kirche sexualisierte Gewalt erlitten haben, sind eingeladen, sich im Betroffenenbeirat zu engagieren, damit sie ihre Sichtweise einbringen können, möglichst Gerechtigkeit erfahren und ein Stück ihrer Würde zurückerhalten sowie dass durch die Mitwirkung an Aufarbeitung und Prävention der Umgang mit Fragen der sexualisierten Gewalt in der Diözese weiterentwickelt wird.

Ziel und Aufgabe

Der Betroffenenbeirat hat das Ziel, die Sicht der Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese anzuerkennen und einzubringen. Der Betroffenenbeirat hat die Aufgabe, die Arbeit der verschiedenen Bereiche der Diözese in diesem Themenfeld zu begleiten., Stellungnahmen und Einschätzungen zu bestehenden und geplanten Maßnahmen abzugeben, die Gremien auf Diözesan- und Pfarrebene sowie Orden und Institutionen zu beraten und neue Vorschläge im Einsatz gegen sexualisierte Gewalt zu machen.

Arbeitsweise

Der Betroffenenbeirat ist unabhängig von der Diözesanleitung und bestimmt eigenständig die zu behandelnden Themen und Tätigkeiten. Sie setzen sich aus den Anliegen der Betroffenen sowie den Anfragen der Diözesanleitung und anderer kirchlicher Institutionen zusammen.

Der Betroffenenbeirat ist an der Ombudsstelle für innerkirchliche Missbrauchsfälle angesiedelt und erhält über diese Stelle eine organisatorische Unterstützung.

Der Betroffenenbeirat tagt je nach Bedarf, aber mindestens zweimal im Jahr.

Zusammensetzung des Betroffenenbeirates

Der Betroffenenbeirat besteht aus mindestens 4 bis höchstens 7 Personen und soll die unterschiedlichen Bereiche des sexuellen Missbrauchs repräsentieren und somit ein umfassendes Bild des Themenbereiches abbilden. Das Mindestalter der Mitglieder des Beirates liegt bei 18 Jahren. Der Betroffenenbeirat hat eine Amtsperiode von 4 Jahren.

Auswahl der Mitglieder

Der Leiter der Fachstelle für Prävention der Diözese macht die Möglichkeit einer Mitarbeit im Betroffenenbeirat in den vielfältigen kirchlichen wie auch in den öffentlichen und privaten Medien bekannt. Dabei werden das Ziel, die Aufgaben und die Auswahlkriterien bekanntgegeben. Es wird um Interessensbekundungen gebeten, für die ein entsprechendes Formular bereitgestellt wird. Selbstverständlich werden sie vertraulich behandelt.

Ein Gremium bestehend aus einer / einem Betroffenen, der Ombudsperson für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der Diözese, dem Leiter des Dienstes für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen in der Diözese, je einer Vertretung der Orden, des Forums Prävention, der Volksanwaltschaft und der Wissenschaft. Das Auswahlgremium prüft die Interessensbekundungen der Betroffenen und schlägt dem Bischof die ausgewählten Mitglieder vor. Er spricht die Berufung für einen Zeitraum von vier Jahren aus. Innerhalb von 8 Wochen hält der Betroffenenbeirat seine konstituierende Sitzung ab.

Die Basis für diesen Vorschlag bildeten die Satzungen des Betroffenenbeirates der Deutschen Bischofskonferenz sowie des Bistums Trier. Sie wurden an die Situation in Südtirol angepasst. Ergänzungen und Änderungen sind willkommen.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (13)

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  • tirolersepp

    Warum so streng Herr Hochgruber, das Problem löst sich von selbst !

  • andreas

    Das Problem ist seid Jahrzehnten bekannt, beide lebenden Päpste haben sich etwas zuschulden kommen lassen, im Vatikan liegen die Dokumente von Mißbrauchsfällen und der Papst rückt sie nicht raus.
    Gut zureden wirkt seid Jahrzehnten nicht und ein Bischof kann schon mal gar nichts ausrichten, da die Anordnung anscheinend leugnen, vertuschen, kleinreden, sich dumm stellen und hinauszögern, bis die Schuldigen tot sind ist.
    Um den Laden zu säubern braucht es die Justiz, im Stile, wie sie gehen die ehrenwerten Familien vorgehen.

    Nur noch ärgerlich und beschämend, wenn diese Vertuscher großartig von der Kanzel von Nächstenliebe oder Hilfsbereitschaft predigen und zur Beichte für Sünder aufrufen. Paradoxer geht es wohl nicht mehr.

  • gerhard

    Na, mein lieber Herr Hochgruber, da sind Sie mal Ihrem Herrgott dankbar, das Sie nicht im 14., 15 oder 16 Jahrhundert geboren wurden.
    Damals hätte man Sie, ohne mit der Wimper zu zucken, als Hexer verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
    Die katholische Kirchenverantwortlichen waren da nicht zimperlich.
    60.000 Menschen wurden da grausam hingerichtet.

    Und lassen Sie gefälligst den Herrn Bischof in Ruhe.
    Das ist eine Ungeheuerlichkeit!
    Der macht nichts Anderes, als sein Ex-Chef in Rom auch.
    Der Papst der Schande, Benedikt II. darf auch ungestört lügen, vertuschen, verheimlichen und bagattelisieren.

    ABER, es sind einige Wenige, die diese Gemeinheiten und Teufeleien begangen haben und es sind einige Wenige, die das alles vertuschen wollen.
    Der allergrößte Teil der Priester, Ordensleute und Ordensfrauen sind liebenswerte, wertvolle Menschen, die diesem Schmutz ausgesetzt sind und das alles ertragen müssen. Die Kirche selbst ist unendlich wertvoll.
    Um diese wertvollen Menschen tut es mir unendlich leid.
    Sagt Gerhard, überzeugter Ateist und vor 20 Jahren aus der Kirche ausgetreten.

  • gerhard

    Warum den, Annalyse?
    Man muss Euch „Schein“-Heiligen immer wieder Euer Generalversagen an missbrauchten Kindern aufzeigen.
    Selbst seid Ihr dafür ganz offensichtlich nicht in der Lage oder besser-
    NICHT WILLENS!!!

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