Glaube und Missbrauch
Auf Einladung der Filmschule ZeLIG kommt am 29. März Niels Pagh Andersen in den Filmclub und gibt als Editor Einblick in die Entstehung von „Songs of Repression“.
von Renate Mumelter
Alte deutsche Lieder werden gesungen, die Singenden sind nicht mehr ganz jung und nahezu alle sind davon überzeugt, in einem Paradies zu leben. Heute vermarkten sie dieses Paradies touristisch als „Villa Baviera“. Die Idylle liegt nicht in Deutschland sondern in Chile, und als sie 1961 gegründet wurde, hieß sie „Colonia Dignidad“. Von Dignidad konnte hier aber nie die Rede sein.
Colonia Dignidad
Der deutsche Sadist Paul Schäfer hatte die Kolonie im Sektenmodus gegründet. Er hatte als Mann Gottes Deutschland verlassen müssen, weil ihm Vergewaltigung und Missbrauch nachgewiesen worden waren. Treue Gefolgsleute mit Nazivergangenheit kamen mit. In Chile war es offensichtlich ganz einfach diese „Idylle“ aufzubauen. Unter Pinochet arbeitete Schäfer dann eng mit dem Geheimdienst zusammen, in der Colonia fanden Folterungen statt, Morde, und die Leichen wurden auf dem Areal vergraben. Erst 2005 wurde die Colonia in der bisherigen Form geschlossen. Heute dürfen sich dort Touristen vergnügen, auch die Gräber er Ermordeten besichtigen, wenn sie grad wollen. In „Villa Baviera“ scheint alles Friede, Freude, Eierkuchen und das mit des Herrgotts Segen. „Als ob man einen McDonalds nach Buchenwald stellt“, sagt Klaus Schnellenkamp in einem Interview. Er ist in der Colonia aufgewachsen. Alles was in dieser religiösen Einrichtung geschah, geschah im Namen Gottes, ein Terrorregime inklusive Missbrauch und Vergewaltigung. Heute ist die Rede von „vergeben und vergessen“, wie der Dokumentarfilm am Dienstag zeigen wird.
„Songs of Repression“
Wer in der Colonia aufgewachsen ist, ist traumatisiert. Das macht „Songs of Repression“ subtil und beeindruckend deutlich.
Schon 2015 gab es einen Spielfilm über diese schreckliche Einrichtung. In den Hauptrollen Emma Watson und Daniel Brühl, Regie Florian Gallenberger.
Viel beeindruckender ist der Dokumentarfilm von Estephan Wagner und Marianne Hougen-Moraga. Sie lassen die Menschen sprechen, die dort aufgewachsen sind und zum Teil noch heute dort leben. Alle haben schwere Schäden davongetragen. Es sind unsichtbare Schäden, die ganz tief drinnen stecken und dort bleiben. Bei einzelnen haben sie zur Rebellion geführt wie bei Klaus Schnellenkamp. Er schaffte es, aus der Colonia abzuhauen und nach Deutschland zu gehen. Sein Vater war einer der Capos. Nach der Flucht schrieb er das Buch „Geboren im Schatten der Angst. Ich überlebte die Colonia Dignidad“. Auch er kommt im Film zu Wort.
Die Rolle, die Deutschland in dieser Geschichte spielte, wird im Dokumentarfilm zwar nicht beleuchtet (der konzentriert sich auf Täter und Opfer), aber kurze Recherchen im Netz zeigen, dass Deutschlands Rolle nicht besonders rühmlich war.
Niels Pagh Andersen
hat diesen Film geschnitten. Derzeit hält der international renommierte dänische Editor an der Filmschule ZeLIG ein Schnittseminar, und im Rahmen dieses Seminars kommt er auch in den Filmclub. Er kann viel über die Entstehung des Films erzählen und über seine Arbeitsweise. Niels Pagh Andersen hat über 35 Jahre Berufserfahrung, er hat unter anderem mit Ai Weiwei (Human Flow) zusammengearbeitet. In seinem Werkverzeichnis stehen weit über 250 Filme.
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