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„Das passiv Böse“

Komponistin Manuela Kerer: Es war eine Herausforderung für mich, einer Hauptfigur, die mir nicht nur unsympathisch, sondern richtig zuwider ist, meine schönste Sprache, nämlich die Musik zu geben. (Foto: Roland Renner)

Das Opernfestival Larger Than Life der Stiftung Haydn bringt die Oper „Toteis“ von Manuela Kerer zur Uraufführung. Ein Gespräch mit der Brixner Komponistin über das „Heldenmädchen von den drei Zinnen“ Viktoria Savs.

Tageszeitung: Frau Kerer, reden wir über Viktoria Savs. Angenommen, Sie könnten mit ihr einen Abend verbringen. Was würden Sie mit ihr reden und sie fragen?

Manuela Kerer: Ich würde sie mit den Gräueltaten der Nazis konfrontieren und fragen, warum sie sich nie von ihrer Gesinnung distanziert hat. Ich würde sie fragen, ob sie sich nie ausgenutzt gefühlt hat. Auch würde ich fragen, wie sie ihr Bein denn nun wirklich verloren hat. Jedenfalls würde ich versuchen sie aus der Reserve zu locken und mich nicht mit fadenscheinigen Erklärungen zufrieden geben.

Savs war eine Frau, die man in unserem postheroischen Zeitalter mit der Kneifzange angreift. Hat Sie gerade das gereizt, diese Figur auf die Opernbühne zu bringen?

Sie ist eine schwierige Figur, als der Auftrag zur Oper kam, war ich deshalb sehr skeptisch und habe mir Bedenkzeit erbeten. Aber dann wurde ich immer überzeugter, dass genau so eine Figur auf die Opernbühne gehört. Sie ist nicht die Verkörperung des Allerbösesten. Sie steht für das passiv Böse, sie hat zunächst gekämpft, hat sich dann aber von den Nationalsozialisten als „Heldenmädel“ instrumentalisieren lassen. Sie hat zugeschaut, geschwiegen, sich in diesem abgründigen Glanz gesonnt. Uns war wichtig, nicht die Moralkeule zu schwingen, denn wir wissen, dass das Publikum sehr intelligent ist, die Gabe zur Abstraktion hat und seine eigenen Schlüsse zieht. Für mich war diese Arbeit in der Ernsthaftigkeit des Stoffes unglaublich bereichernd, denn sie appelliert an uns heute: Wie ist es möglich, dass viele totgeglaubte Ideen wieder salonfähig wurden? Wie konnte geschehen, was derzeit auf der Weltbühne los ist?

Für gewöhnlich erleiden Frauen den Krieg, nicht so Viktoria Savs. Verstehen Sie, was eine Frau dazu bringt, sich auf die Seite männlicher Gewalt zu schlagen?

Egal ob männlich oder weiblich, Gewalt kann ich grundsätzlich weder nachvollziehen noch verstehen. Es kann sein, dass Gewalt das letzte Mittel ist, das zuweilen verwendet werden muss. Ganz sicher bin ich mir da aber auch nicht. Ich glaube an die Demokratie, an die Dialogfähigkeit von uns Menschen, an die Macht der Diplomatie und der verbalen Streit- und Kritikfähigkeit.

Das strahlende Heldentum der Soldaten, das stille Heldentum der Frauen – mit dieser Rollenzuteilung wollte sie sich nicht abfinden. Sie wollte selbst an die Front und hat sogar ihr Frausein verleugnet, um in den Krieg zu ziehen. Ging es ihr wirklich darum, eine Heldin zu sein?

Viktoria war tief überzeugt von ultranationalistischem, patriotischem und totalitärem Gedankengut und wollte es durchsetzen – um jeden Preis. Sie wollte Kämpferin sein, ich denke nicht, dass sie mit dem Ziel Heldin zu werden in den Krieg zog. Später hat sie sich in dieser Rolle aber gefallen, sie hat sich mit NSDAP-Größen fotografieren lassen und ihre Orden zur Schau gestellt.

Von feministischer Warte aus könnte man auch von weiblicher Ermächtigung sprechen. Sie hat getan, was sie wollte und sich geholt, was sie wollte.

Oper Toteis: Welche Mechanismen begünstigen die Radikalisierung eines Menschen? (Foto: Alessia Santambrogio)

Nein, sie war alles andere als eine Feministin. Von Zeitzeugen weiß man, dass sie lieber ein Bub und kein Mädchen gewesen wäre. Sie lief in Meran mit Bubenhaarschnitt und Bubenkleidung herum und lehnte gleichaltrige Mädchen ab. Sie wollte Teil einer Männerwelt sein, war fasziniert von Männerbünden und es ging ihr überhaupt nicht um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, um Emanzipation oder weibliche Ermächtigung. Ihre Geschichte zeigt vielmehr, wie krank das patriarchale System ihrer Zeit war, aber sie hat sich dafür instrumentalisieren lassen.

Sie blieb bis zu ihrem Tod eine Ewiggestrige, die am Mythos des tapferen Soldaten festhielt und sich der NSDAP anschloss. Reine Sturheit oder Ausdruck ihrer tiefsten Überzeugung?

Für mich war es tiefste Überzeugung. Sie hätte sich nach den Weltkriegen distanzieren können, sich bei Veteranentreffen nicht feiern lassen müssen. Sie hat sich aber bis zum Schluss nicht geläutert oder irgendwelche Zweifel geäußert.

Es gibt die ungeklärte Geschichte, wie das „Heldenmädchen von den Drei Zinnen“ ihr Bein verloren hat. Was weiß man darüber?

Es gibt einige Mutmaßungen dazu, gesicherte Quellen aber nicht. Ein Felssturz, ausgelöst durch einen Granateinschlag, könnte ihr Bein zerfetzt haben. Es könnte aber auch eine Lawinensprengung gewesen sein oder sogar Kugeln aus den eigenen Reihen. Martin Plattner gibt in TOTEIS eine andere, dramaturgisch geniale Möglichkeit, wie Viktoria ihr Bein verloren haben könnte, die will ich aber noch nicht verraten.

Savs Geschichte steht in mehrfacher Hinsicht für den Wahnsinn des vergangenen Jahrhunderts: Heldentum, Instrumentalisierung, Mitläufertum. Als Nachgeborene tun wir uns mit Urteilen sehr leicht. Die Frage ist, wie wir selbst gehandelt hätten. Stellen Sie sich diese Frage?

Ständig. Und leider habe ich keine Antwort darauf. Ich denke nicht, dass ich beispielsweise dazu fähig gewesen wäre, Menschen in die Gaskammern zu schicken. Aber hätte ich verdrängt und weggesehen, wenn ich davon gewusst hätte? Genau deshalb ist diese Oper für mich so wichtig, denn ich will mir und anderen diese Frage stellen. Es ist eine schwere Auseinandersetzung, aber Kunst darf nie nur einfach sein, auch für KünstlerInnen selbst nicht.

In der Ukraine herrscht Krieg und wieder sind Helden gefragt. Selbst Künstler und Intellektuelle melden sich zum bewaffneten Kampf. Sind das für Sie Helden?

Nein, das ist nicht mein Konzept von Heldentum. Diese Menschen beeindrucken mich auf eine Weise, vor allem tun sie mir aber leid, denn sie riskieren das Schönste, das sie haben – ihr Leben – für etwas in meinen Augen leider total Sinnloses.

Im Westen ist eine heftige Diskussion darüber entbrannt, wie man mit russischen KünstlerInnen umgehen soll. Wer sich vom Kriegstreiber Putin nicht distanziert, wird ausgeladen. Was halten Sie von solchen Gesinnungsprüfungen für KünstlerInnen?

Es ist falsch, KünstlerInnen allein aufgrund ihrer russischen Herkunft zu verurteilen oder beispielsweise Werke von Tschaikowsky aus dem Programm zu streichen, wie es jüngst der Fall war. Russische Künstlerinnen grundsätzlich auszuladen, wenn sie sich nicht von Putin distanzieren, ist sicherlich auch nicht der richtige Weg, man muss sich den Einzelfall ansehen. Man darf nicht vergessen, dass Putin ein Psychopath ist, der nicht davor zurückschreckt, unschuldige Demonstranten einzusperren. Es kann in diesen Fällen also um die blanke Überlebensangst gehen. Was ich aber absolut nicht tolerieren kann sind Künstlerinnen wie Anna Netrebko, die neben der russischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und auch in Wien und New York Wohnsitze hat. Sie hat ihren 50. Geburtstag im Kreml gefeiert und sich mit prorussischen Separatistenführern der Ukraine fotografieren lassen, samt Fahne von „Neurussland“. Dass sie nun äußert, es sei nicht richtig, dass KünstlerInnen ihre politischen Ansichten öffentlich machen müssen, ist eine Riesen-Frechheit. Da werde ich richtig zornig, denn alles was sie vorher gemacht hat, war hochpolitisch.

Kommen wir zu Ihrer Oper „Toteis“. Welche kompositorischen Mittel setzen Sie ein, um diese verstörend abgründige Frauenfigur in Töne zu übersetzen?

Es war eine Herausforderung für mich, einer Hauptfigur, die mir nicht nur unsympathisch, sondern richtig zuwider ist, meine schönste Sprache, nämlich die Musik zu geben. Das große Symphonieorchester kam mir sehr zugute, denn mit so vielen Stimmen kann man sehr gut horizontal-harmonisch arbeiten, außerdem gibt es auch Teile, wo praktisch jede*r im Orchester eine eigene Stimme spielt, um diese vielen Facetten der Viktoria zu zeigen, die man nicht einfach in eine Schublade wegpacken kann. Ich habe auch sehr viel mit Klangfarben gearbeitet, habe sehr viele Luftgeräusche der Bläser eingesetzt, wenn Savs von ihren großen Taten spricht, also quasi nur „heiße Luft“ erzeugt. Aber hier zeigt sich mein Dilemma deutlich, denn ich finde diese Luft- und Atemgeräusche wunderschön. Dasselbe gilt für Kratzgeräusche der Streicher, die im ersten Moment fast wehtun, aber für mich sehr ästhetisch sind. Genauso habe ich einen Teil im Volksmusik-Stil komponiert oder setze einen langsamen Jodler meines Urgroßvaters Jepele Frontull sowie das Kinderlied „Maikäfer flieg“ als subtile Zitate ein. Alles Musik, die ich liebe. Zum einen wollte ich zeigen, dass Musik nach wie vor für bestimmte Zwecke missbraucht wird. Zum anderen – und das ist noch viel wichtiger – siegt in meiner Musik die Hoffnung, weil ich an das Gute im Menschen glaube.

Interview: Heinrich Schwazer

Toteis

„Wie unheimlich kann uns die Heimat werden? Welche Mechanismen begünstigen die Radikalisierung eines Menschen? Und wie viel Feind sind wir uns selbst?” Es sind beißende Fragen, die der Librettist Martin Plattner und die Südtiroler Komponistin Manuela Kerer in der Oper Toteis dem Publikum entgegenhalten. Das Opernfestival 2022 Larger Than Life bringt mit dem Auftragswerk ein bitterböses Heldenmärchen auf die Bühne. Nach der Erstaufführung in Wien in einer reduzierten Version ist die Oper am Mittwoch, 16. und Donnerstag, 17. März im Stadttheater Bozen (20 Uhr) erstmals in ihrer Originalfassung zu sehen. Ausgehend von der historischen Figur Viktoria Savs zeigt Toteis, wie sich selbstbetrügerischer Nationalismus und Hass im 20. Jahrhundert breit machen konnten und schlägt immer wieder beklemmende Brücken in die Gegenwart. Es spielt das Haydn Orchester unter der Leitung von Walter Kobéra. Regie und Bühnenbild Mirella Weingarten.  Eine Koproduktion der Stiftung Haydn, der Vereinigten Bühnen Bozen und der Neuen Oper Wien.

Vor den zwei Aufführungen findet im Foyer des Stadttheaters um 19.00 Uhr eine Werkeinführung statt, bei der Manuela Kerer, Mirella Weingarten und Walter Kobéra über die künstlerische Herangehensweise an den sensiblen Stoff sprechen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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