„Es gibt viel zu tun“
Das Weiße Kreuz und die Südtiroler Ärzte für die Welt organisieren an der slowakisch-ukrainischen Grenze derzeit einen Hilfseinsatz. Franco De Giorgi berichtet, wie die Situation vor Ort ist und wie genau die Tätigkeit aussieht.
TAGESZEITUNG Online: Herr De Giorgi, Sie befinden sich derzeit an der slowakisch-ukrainischen Grenze. Wie ist die Situation derzeit vor Ort?
Franco De Giorgi (Südtiroler Ärzte für die Welt): Wir sind gemeinsam mit einem Hilfskonvoi des Weißen Kreuzes an die Grenze gekommen. Wir haben heute (gestern, Anm. d. Red.) Vormittag, die ersten Hilfsgüter abgegeben. Es handelt sich dabei um eine Ambulanz, um medizinische Notfälle sofort ins nächste Krankenhaus bringen zu können und verschiedene Mittel für ein Erstaufnahmezentrum für die Flüchtlinge. Unter anderem haben wir ein Aggregat, mehrere Betten, Schlafsäcken und Matratzen, Verbandsmaterial sowie Babysachen zur Verfügung gestellt. Wir werden jetzt einen Lokalaugenschein vornehmen, um zu sehen, wie wir dieses Erstaufnahmezentrum verbessern können.
Wie viele Flüchtlinge befinden sich derzeit an der Grenze?
Aktuell sind es rund 120.000 ukrainische Flüchtlinge, allerdings rechnen wir mit stärkeren Flüchtlingsströmen in den kommenden Tagen. Insbesondere wenn Kiew angegriffen wird, dürften deutlich mehr Flüchtlinge die Grenze überschreiten. Bevor diese Welle eintrifft, ist noch viel zu tun, denn im Moment ist es in den Lagern weder hygienisch noch sicher. Wir brauchen deutlich mehr Zelter, Küchen und sanitäre Räume, um diese Flüchtlinge an der Grenze versorgen zu können. Gleichzeitig muss es auch für uns sicher sein, das heißt, Menschen, die auf Covid-19 positiv getestet werden, müssen isoliert sein. Zudem sind die meisten Menschen zwar gesund, es werden früher oder später, aber auch ältere Personen, Diabetiker oder Schwangere eintreffen. Wir müssen in der Lage dazu sein, diese Menschen zu versorgen. Das heißt, wir müssen auch mit den lokalen Sanitätsbehörden zusammenarbeiten. Wir stehen erst am Anfang und leiten erste Schritte ein. Es ist nicht einfach, aber diese Schritte sind nötig. In wenigen Wochen wird dann ein größerer Konvoi eintreffen, der alle benötigten Materialien liefert. Das alles geschieht unter der Koordination des Weißen Kreuzes. Wir als Südtiroler Ärzte für die Welt, auch um sicherzustellen, dass es eine spezifizierte ärztliche Hilfe gibt.
Wie geht es den Flüchtlingen psychisch gesehen?
Wir hatten jetzt nicht viel Zeit mit den Flüchtlingen direkt zu sprechen. Wir kümmern uns erstmal wirklich nur um die Struktur. Natürlich haben wir gesehen, wie es ihnen geht. Es handelt sich hauptsächlich um Frauen und Kinder. Den Kindern geht es so weit gut, sie haben keine großen Probleme. Einige Frauen sind aber stark belastet. Sie sind vor allem verängstigt. Es ist beispielsweise nicht erlaubt, Fotos zu machen, weil die Ukrainer Angst haben, dass die russischen künstlichen Intelligenzen sie erkennen und so ihre Familien in Gefahr bringen. Außerdem wollen sie so weit wie möglich weg von der Grenze, da sie Angst davor haben, dass die Russen nachrücken. Davon abgesehen geht es ihnen aber gut, sie können sich im Warmen aufhalten und werden versorgt.
Halten sich die Menschen lange an der Grenze auf?
Sobald sie identifiziert und ihre Dokumente kontrolliert wurden, sind sie frei, sie können dann direkt weitergehen. Viele haben Bekannte oder Familien in Tschechien und Deutschland. Wenn sie hingegen niemand haben, bleiben sie häufig länger im Zentrum. Das könnte in den kommenden Tagen noh zu einem Problem werden, wenn die große Welle eintrifft. Für den Moment reichen die Strukturen, wir müssen uns aber auf diese große Welle vorbereiten. Alle Kontrollen, die Covid-Impfung und vor allem die sanitären Strukturen müssen funktionieren. Es ist noch viel bis dahin zu tun. Bisher hat das nur die Slowakei organisiert, erst jetzt kommen andere Hilfsorganisationen dazu.
Wie kann man die Aktion unterstützen?
Man kann sowohl das Weiße Kreuz als auch uns mit Spenden unterstützen. Es wurden diverse Spendenkonten eingerichtet. Das hilft uns am meisten, uns kann man auch sicher vertrauen.Es ist wichtig, die Spenden, die man bisher für Projekte in Afrika oder im Nahen Osten organisiert hat, nun Richtung Ukraine schickt. Das Land ist sehr viel näher als man denkt.Wir werden außerdem immer wieder die Bevölkerung darüber informieren, wie es an der Grenze aussieht und was mit den Spenden geschieht.
Wie lange werden Sie noch an der Grenze blieben?
Wir werden voraussichtlich morgen (heute, Anm. d. Red.) zurückkehren, werden aber dann in einigen Tagen einen weiteren Hilfskonvoi schicken und zurückkehren. Das gesamte Projekt wird wahrscheinlich über Monate laufen.
Interview: Markus Rufin
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