Das Projekt Matilde
Im Zuge eines Forschungsprojektes werden Zuwanderung und Arbeitsmarkt unter der Lupe genommen – und neue Lösungen für Arbeitssuchende und Arbeitgeber entwickelt.
Die Integration von neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in den Südtiroler Arbeitsmarkt ist trotz der wirtschaftlich guten Lage immer noch eine besondere Herausforderung – vor allem wenn es um Menschen aus Nicht-EU-Ländern geht.
Warum das so ist und wie die Integration verbessert werden kann, untersuchen die Caritas und die Universität Turin seit mehr als 2 Jahren im Rahmen des von der Universität Ostfinnland koordinierten EU-Forschungsprojektes MATILDE.
Dabei arbeiten sie eng mit öffentlichen Einrichtungen und Betrieben in Südtirol zusammen.
Am Freitag haben die Projektverantwortlichen die bisherigen Forschungstätigkeiten in den Räumlichkeiten der Fa. Markas in Bozen präsentiert.
Diese sollen dazu beitragen, ausländischen Mitbürgern und Südtiroler Arbeitgebern den Zugang zueinander zu erleichtern. Besonderes Augenmerk kommt dabei dem so genannten „Qualifikationsprofil“ zu, das auch die persönlichen und sozialen Kompetenzen der Arbeitssuchenden berücksichtigt. Einblicke dazu liefert auch die Fotoausstellung „Work in Progress“, die im Rahmen von MATILDE entstanden ist und ab 1. Aprilin Meran zu sehen ist.´
Insgesamt 25 Partner – Universitäten, lokale Körperschaften und soziale Organisationen aus 10 verschiedenen europäischen Ländern – untersuchen im Rahmen des Projektes MATILDE seit über 2 Jahren die Auswirkungen von Migration auf die lokale Entwicklung in ländlichen Gebieten und Bergregionen.
In Südtirol liegt der Schwerpunkt der Forschung auf der Arbeitsintegration von neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. „In unseren Diensten erleben wir jeden Tag, wie schwierig es gerade für Menschen aus Nicht-EU-Ländern ist, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden, obwohl sie hart an sich arbeiten. Oft finden sie nur Jobs, die nicht zu ihren Fähigkeiten passen, manchmal kommt es im für sie völlig neuen Arbeitsumfeld zu Missverständnissen. Das kann leider auf allen Seiten zu Frustration und Unverständnis führen“, erläutert Alessia Fellin, die Leiterin des Caritas-Bereichs „Aufnahme“.
Die Caritas ist darum bemüht, solchen Problemen langfristig entgegenzuwirken, damit die Arbeitsbeziehung für alle Beteiligten gelingt. „Daher haben wir uns als lokaler Partner am Projekt MATILDE beteiligt. Wir sind froh, dass sich die Forschungsinstitutionen gemeinsam mit Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Gewerkschaften und verschiedenen gemeinnützigen Organisationen für eine Verbesserung einsetzen, damit unsere neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Chance bekommen und gefördert werden“, betont Alessia Fellin.
Nicht-EU-Bürger in Südtirol sind laut den Daten von 2019 vor allem im Gastgewerbe (35 Prozent), in wirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieben (15,7 Prozent), im Baugewerbe (12,4 Prozent), im verarbeitenden Gewerbe (11,8 Prozent), im Handel (8,3 Prozent) und in der Landwirtschaft (5 Prozent) beschäftigt. Durchschnittlich verdienen sie 40 Prozent weniger als italienische Staatsbürger. Die Arbeitslosigkeit lag bei Nicht-EU-Bürgern schon vor der Pandemie bei fast 12 Prozent, während in Südtirol insgesamt nur 2,9 Prozent der Menschen keine Arbeit hatten.
Entsprechend ist das Armutsrisiko bei Nicht-EU-Bürgern dreimal höher als im gesamten Bevölkerungsdurchschnitt. Dabei sind nur 6,3 Prozent der aus Nicht-EU-Staaten eingewanderten Menschen über 65 Jahre alt, während dieser Prozentsatz in der Gesamtbevölkerung bei über 21 Prozent liegt.
„Diese Zahlen zeigen deutlich, wie wichtig eine gelingende Arbeitsintegration von Migranten für die Wirtschaft, aber auch für die gesamte Gesellschaft ist“, betont der wissenschaftliche Koordinator des Projekts MATILDE, Andrea Membretti.
Der Professor für Soziologie an der Universität Pavia hat gemeinsam mit der Caritas Diözese Bozen-Brixen und der Universität Turin in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand und anderen Einrichtungen zunächst Daten gesammelt, ausgewählte Fallstudien durchgeführt, die Bevölkerungs- und Arbeitsmarktstruktur mit Blick auf Nicht-EU-Bürger durchleuchtet und Arbeitsgruppen mit lokalen Akteuren wie Sozialgenossenschaften, lokalen Unternehmen, Gewerkschaften, Caritas-Diensten, Arbeitsvermittlungs- und Weiterbildungsämtern gebildet. „
Auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie sehr qualifizierte Arbeitskräfte gesucht und gebraucht werden, auch jenseits der klassischen Sektoren Tourismus und Landwirtschaft. Migranten könnte dabei eine wichtige Rolle zukommen“, so Membretti. Dazu brauche es aber Methoden und Instrumente, die ausländischen Mitbürgern und potentiellen Arbeitgebern den Zugang zueinander erleichtern, Auch brauche es spezifische Aus- und Weiterbildungsprogramme, welche die Erfordernisse des lokalen Arbeitsmarktes und die angemessene berufliche Förderung von Migranten gleichermaßen berücksichtigen.
Laut dem Forschungsteam hat sich dabei das „Qualifikationsprofil“ als besonders wegweisende Methode erwiesen. Dieses berücksichtigt nämlich nicht nur die beruflichen Qualifikationen der Arbeitssuchenden, sondern auch die so genannten „Soft skills“, ihre persönlichen und sozialen Kompetenzen, beides sehr wichtige Voraussetzungen für eine gelungene Arbeitsintegration. „Wir haben gemeinsam mit den Partnern dieses Instrument zur besseren Bewertung der ganzheitlichen Fähigkeiten der arbeitssuchenden Migranten getestet. Es hilft nicht nur Migranten, ihre Fähigkeiten besser einzuschätzen, sondern auch den Arbeitgebern, sich ein besseres Bild von den Kompetenzen der Arbeitssuchenden zu machen“, so Membretti. Entsprechend sinnvoll sei es, dieses Instrument systematisch auszubauen:
„Die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an Akteuren, die uns in diesem langen Prozess begleiteten, hilft uns, dieses Ziel weiterzubringen und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass eine gelungene Integration von Zuwanderern dem Wohlstand der gesamten Region zugutekommt“.
Dass auch Interesse von Seiten der Südtiroler Unternehmen besteht, zeigt Evelyn Kirchmaier, Generaldirektorin der Fa. Markas Italien.
Die Firma ist ein Partner der ersten Stunde und hat sich an allen bisherigen Studien und Forschungen im Rahmen von MATILDE aktiv beteiligt. „Bei Markas arbeiten über 10.000 Menschen aus 84 verschiedenen Ländern. Wir alle bemühen uns jeden Tag, einen nachhaltigen und inklusiven Arbeitsort zu schaffen. Als Projektpartner hatten wir unter anderem die Möglichkeit, an der Weiterentwicklung des Qualifikationsprofils mitzuarbeiten, ein Instrument, das allen Seiten nützt: Es hilft den Arbeitssuchenden und Angestellten, ihr Potential zu entfalten und den Unternehmen, die richtige Person für die richtige Rolle auszuwählen“.
Als Vizepräsidentin des Südtiroler Unternehmerverbandes, zuständig für Arbeit und Integration, setzt sich Kirchmaier für die Einbindung weiterer lokaler Unternehmen ein. „Die Arbeit ist ein guter Ausgangspunkt für eine gelingende Integration. Ein Arbeitsplatz, an dem alle Mitarbeiter wertgeschätzt werden, wird zu einem Nährboden für Talente und zu einem „Trainingsplatz“ für Fähigkeiten, welche die Menschen wie auch die Unternehmen weiterbringen. Das Engagement für eine echte Arbeitsintegration stärkt die gesamte Gemeinschaft und fördert ihre Entwicklung“, so Kirchmaier abschließend.
Kurze Einblicke in die berufliche Situation von eingewanderten Menschen, ihre Ziele und ihren Einsatz, um diese zu verwirklichen, liefert die Fotoausstellung „Work in Progress“, die ebenfalls im Rahmen von MATILDE entstanden ist. Die Fotografin und Künstlerin Daria Akimenko hat 6 Menschen begleitet, die hier in Südtirol in sehr unterschiedlichen Situationen leben und arbeiten und darüber hinaus noch sehr eigene Berufsziele verfolgen. Die Ausstellung wird vom 1. bis zum 15. April im Liebeswerk von Meran zu sehen sein und ist für alle Interessierten kostenlos zugänglich.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.