„Das No-Vax-Volk ist dumm“
Federico Steinhaus, langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Meran, glaubt nicht, dass der Antisemitismus jemals verschwinden wird. Die Corona-Pandemie mit ihren zahlreichen Verschwörungstheorien und verharmlosenden Vergleichen mit dem Holocaust sei nur ein weiterer Beweis für das Fortleben antisemitischer Vorurteile.
Tageszeitung: Herr Steinhaus, antisemitisch motivierte Vorkommnisse und Straftaten nehmen europaweit wieder zu. Waren Sie in letzter Zeit persönlich damit konfrontiert?
Federico Steinhaus: Nein, glücklicherweise ist Südtirol in dieser Hinsicht nicht so betroffen wie andere Länder.
Als langjähriger Präsident der Jüdischen Gemeinde Meran haben Sie Hunderte von antisemitischen Episoden erlebt. Welche waren die schlimmsten?
Es fällt nicht leicht, das eine oder das andere Ereignis darunter zu erwähnen. Jedes ist für sich selbst ein Trauma, wenn man so wie meine Familie verfolgt wurde. Die Nachkriegsjahre brachten viel Schmerz mit sich, sowohl auf persönlicher Ebene wie auch, später, als Vertreter der Jüdischen Kultusgemeinde. Das Klima, das damals in Südtirol herrschte, war bestimmt nicht judenfreundlich. Es war ein fast tagtäglicher Kampf gegen Hass oder Mangel an Respekt und ganz besonders gegen die Leugnung jeglicher Verantwortung.
In Österreich ist die Zahl antisemitischer Übergriffe während der Pandemie auf einen neuen Höchststand angestiegen. In manchen europäischen Ländern fühlen Juden sich nicht mehr sicher. Fühlen Sie sich noch sicher?
Wir, ich glaube in dieser Hinsicht für alle Südtiroler Juden sprechen zu können, fühlen uns hier sicher, anerkannt und geschätzt. Das Gleiche kann man leider nicht für die Juden in Frankreich, England, Belgien, Schweden sagen, deren Leben manchmal sogar in Gefahr ist.
Verschwörungstheorien, geschürt auch von Corona-Leugnern, sind häufig mit Antisemitismus kombiniert. Sehen Sie da ein gefährliches Radikalisierungspotenzial heranwachsen?
Sicherlich. Durch die Pandemie und die Unsicherheit, die sie mit sich bringt, ist die Gewalttätigkeit sehr gewachsen, und wenn es eine Krise gibt, sind immer noch, wie im Mittelalter, die Juden daran schuld. Dabei vergisst man, dass die jüdischen Inhaber und Forscher von Pfizer und Moderna der Menschheit geholfen haben diese schwere Zeit in Gesundheit zu überleben. Stattdessen beschimpft man sie als Feinde der Menschheit oder als miserable Geschäftemacher, die die Pandemie ausnutzen, um sich bereichern. Ich möchte an dieser Stelle an Jonas Salk erinnern, der den Impfstoff gegen Polio erfunden und auf dessen Patentierung und damit auf den Verdienst verzichtet hat ( der amerikanische jüdische Arzt hat in den 1950 Jahren den Impfstoff gegen Kinderlähmung entwickelt. Auf die Frage, wem das Patent gehöre, sagte er: „Naja, ich würde sagen, den Menschen. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?“ Anm. d. Red.).
Der Enzian-Mandatar Josef Unterholzner hat die Ungeimpften mit den Opfern des Holocaust verglichen. Landtagspräsident Sepp Noggler hat die Wortmeldung ins Lächerliche gezogen. Welche Verharmlosung ärgert Sie mehr?
Das No-Vax-Volk ist dumm und zieht es vor, arbeitslos zu sein anstatt sich impfen zu lassen. Dazu kommt, dass diese Personen sich oft als Märtyrer darstellen. Wir rationalen Menschen können dafür kein Verständnis aufbringen und sind leider machtlos. Diese Leute weisen jeden Überzeugungsversuch ab.
Bei Corona-Demos sieht man öfters Demonstranten mit einem Davidstern. Sind solche Entgleisungen nur Dummheit?
Nicht nur Dummheit, es ist auch Mangel an Verständnis für die Vergangenheit und das Leiden anderer. Aus welchen Familien stammen sie? Und was haben sie in der Schule mitbekommen?
Handelt es sich bei dem wieder erstarkenden Judenhass um einen neuen oder einen immer noch vorhandenen Antisemitismus?
Der Antisemitismus stirbt nicht aus, das haben wir im Laufe der Jahrhunderte gelernt. Er kommt zum Vorschein, wenn etwas im Leben schief geht oder wenn es eine Krise, sei es wirtschaftlicher oder anderer Art, gibt, die Unsicherheit mit sich bringt.
Der neue Antisemitismus ist der linke Antisemitismus, der das Existenzrecht des Staates Israel in Frage stellt. Ist Kritik an der Politik der israelischen Regierung gegenüber der palästinensischen Bevölkerung wirklich immer getarnter Antisemitismus?
Absolut nicht. Man darf sicherlich die Politik Israels kritisieren, letzten Endes stellt sich immer die Hälfte der israelischen Bevölkerung gegen die derzeitige Regierung – was ja auch zu drei Wahlen in einem Jahr geführt hat. Aber das Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat zu bestreiten und immer Israel als Sündenbock für jedes Problem mit den Arabern hinzustellen oder Israel gar als Apartheids-Staat zu bezeichnen, das ist Antisemitismus.
Der Vorwurf, Israel würde die Palästinenser in den besetzten Gebieten und in Israel selbst als „minderwertige“ Bürger behandeln, kommt von Amnesty International. Ist Amnesty damit antisemitisch?
Nein, nicht unbedingt, aber diese Beschuldigung ist antisemitisch: erstens, weil sie nicht stimmt (arabische Parteien sind im Parlament vertreten und die jetzige Regierung hat einen arabischen Minister, außerdem gibt es arabische Offiziere im Heer und arabische Richter) und zweitens weil sie sich nur mit Israel befasst, während in allen Staaten rundum um Israel die Minderheiten wirklich viel mehr zu leiden haben.
Zu den umstrittensten Punkten gehört die israelische Siedlungspolitik in Ost-Jerusalem und im Westjordanland. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin nicht immer mit der israelischen Politik einverstanden, jedoch muss ich dazu bemerken, dass in den Medien oft Tatsachen verfälscht dargestellt werden.
Mitunter heißt es, der neue Antisemitismus sei ein von Migranten und Flüchtlingen importiertes Problem. Stimmt das?
Teilweise stimmt es. Die Attentate in Frankreich, England, Belgien, Länder in denen eine zahlreiche islamische Minderheit lebt, sind der beste Beweis dafür. Dieser Antisemitismus wird oft aus anderen Ländern importiert, er ist politisch bedingt und findet im Radikalismus seinen Humus.
In Ihrem Buch „Una giornata dell memoria 364 giornate dell´indifferenza“ zeichnen Sie die Geschichte des Antisemitismus und seine aktuellen Manifestationen nach. Wie äußert sich diese Gleichgültigkeit in Südtirol?
Die Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen, die „andere“ betreffen, ist leider überall erkennbar, und wenn sie eine Problematik betrifft, die noch dazu 80 Jahre alt ist, umso mehr.
Was läuft falsch mit der Erinnerungspolitik?
Solange Vereine und Institutionen fleißig die Jugend belehren, wird die Gefahr des Vergessens oder der Bagatellisierung unbedeutend bleiben.
Sie waren lange Zeit ein Einzelkämpfer in Sachen Erinnerung an das jüdische Erbe Südtirols und haben mit „Ebrei/Juden. Gli ebrei dell’Alto Adige negli anni Trenta e Quaranta“ das wichtigste Buch dazu verfasst. Warum gibt es das Buch nur in italienischer Sprache?
Ich beherrsche die italienische Sprache besser als die deutsche, deshalb ist es die Sprache, in der ich schreibe. Warum diese Bücher nicht übersetzt werden ist eine Frage, die nicht ich beantworten kann.
Sie haben als Erster die Namen von Südtiroler, Nordtiroler, Vorarlberger und deutscher Täter in Südtirol veröffentlicht. Welche Folgen hatte das?
Sicherlich nicht die, die ich befürchtet hatte. Manche mir unbekannte Zeitzeugen haben sich gemeldet, um der Auflistung neue Namen hinzuzufügen. Leider ohne Beweise.
Was haben Sie unternommen, um Kontakt mit einstigen Meraner jüdischen Familien zu halten, die aus Meran vertrieben worden waren?
Damals gab es noch kein Internet, deshalb konnte ich wenig unternehmen. Zwei tüchtige Freunde wie Sabine Mayr und Joachim Innerhofer haben es erfolgreich nachgeholt. Ich habe mich nur um die Rückgabe einer sehr wertvollen Kollektion von antiken Porzellanfiguren an die Familie des ehemaligen Besitzers Julius Kaumheimer gekümmert.
Welche Unterstützung durch die Politik haben Sie während Ihrer Zeit als Präsident der jüdischen Gemeinde erfahren?
Diese Frage möchte ich mit „no comment“ beantworten. Aber einzelne Südtiroler Politiker wie Friedl Volgger, Hubert Frasnelli und Franz Alber sind die wertvolle Ausnahme gewesen.
Mit LH Arno Kompatscher hat erstmals ein Südtiroler Spitzenpolitiker eine Grußbotschaft in der jüdischen Kulturzeitschrift DAVID an die deutschsprachige jüdische Gemeinschaft gerichtet. Ist Kompatscher die Ausnahme von der Regel oder wie breit ist die politische Unterstützung der jüdischen Gemeinde heute?
Heute hat sich alles grundsätzlich geändert. Die Zusammenarbeit mit der Landes- aber auch der Lokalpolitik funktioniert reibungslos.
Gedenkpolitik wird politisch instrumentalisiert, vor allem auch von italienischer Seite. Was kann man dagegen tun?
Nichts oder sehr wenig, leider. Diese Instrumentalisierung schadet der Wahrheit.
Die Demokratien sind weltweit auf dem Rückzug, autoritär-populistische Regierungen, die mit einschlägigen Ressentiments spielen, nehmen zu. Was ist Ihre größte Sorge?
Die Schwäche der demokratischen Regierungen ist deutlich, besonders jetzt wo Russland so gefährliche Kriegs-Spiele führt und die gesamte Geschichte des vorigen Jahrhunderts falsch darstellt. Putin erinnert mich an Hitler, der die deutsche Minderheit außerhalb Deutschland schützen wollte – so behauptete er – und deshalb schrittweise, langsam und ohne Reaktionen seitens der Demokratien fremde Territorien eroberte.
Interview: Heinrich Schwazer
Ähnliche Artikel
Kommentare (51)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.
andreas
Das Interview ist ein Paradebeispiel dafür, warum es durchaus angebracht ist, Israel kritisch zu sehen.
Diese kontinuierliche Opferrolle und jede Kritik als antisemitisch zu bezeichnen, ist nicht förderlich bei der Kommunikation mit den Nachbarländern. Schuld sind offensichtlich immer die anderen.
Durch den bedingungslosen Schutz der USA, konnte Israel sich ein Arsenal an Nuklearwaffen aufbauen und dass dies den Nachbarländern, welche Israel hassen, nicht sonderlich gefällt und die sich bedroht fühlen, ist durchaus nachvollziehbar.
Die Palästinenserpolitik ist sowieso nicht nachvollziehbar, da sie denen ohne Not auch noch den letzten Wüstenstreifen streitig machen wollen bzw. im Schutz der USA ihre Siedlungspolitik fortsetzen.
In dieser Konstellation wird der Nahe Osten immer ein Krisenherd bleiben und Israel den Hass aller umliegenden Länder auf sich ziehen.
rumer
Der Antisemitismus in Deutschland wurde durch 2 Millionen, von Merkel eingeladenen Moslems befeuert und von Michael Friedmanns Arroganz, Selbstgefälligkeit und Mitteilungsbedürfnis. Der Steinhaus schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er ganze Gruppen als dumm bezeichnet, ohne sie und ihre Beweggründe wirklich zu kennen.
treter
Der Herr Steinhaus hat natürlich die richtige Meinung gepachtet bzw. er duldet keine Andersdenkenden die Ängste bzw. Bedenken vor der Impfung haben! Tatsache ist nun mal dass die leichtere Omikronvariante und nicht die Impfungen die Intensivstationen geleert hat!! Aber das wollen unsere obersten Sanitäts-Verantwortlichen einfach nicht zugeben bzw. es gilt ja volle Pulle zu impfen damit die Vakzine nicht zu Ladenhütern werden!!(O-Ton Landesrat Widmann im Vorjahr in der RAI Tagesschau)
PS. Überlasse den Lesern die Meinung!
ich
Herr Treter sie irren.wird ihnen zwar gleichgültig sein aber jemand muss es ihnen sagen.
dn
Wen kümmert überhaupt, was der denkt?
heracleummantegazziani
Michel (so heißt er wirklich) Friedmann ist sicherlich eine kontroverse, bisweilen unangenehme Person, aber seit 2003, nach der so genannten Friedmann-Affäre ist er weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Person Friedmann ist aber sicher nicht Grund für den grassierenden Antisemitismus. Genausowenig wie es pauschal die islamische Bevölkerung ist. Antisemitismus bekommen die Deutschen schon selbst hin, schließlich gibt es dort ja die Spezialisten der AfD und der NPD. Und bei uns offenbar sitzt diese Einstellung auch noch tief.
Steinhaus hat allerdings nicht ganz unrecht mit seiner Behauptung. Woran, wenn nicht an Dummheit oder nennen wir es Mangel an Bildung, soll es liegen, dass Impfgegner so leicht auf Verschwörungstheorien und Falschmeldungen anspringen? Im Übrigen bezieht er die Bezeichnung ja auf die Untugend, sich mit den Juden zu vergleichen. Sie verstehen wohl auch,dass das Quatsch ist, oder?
Und dass Menschen, die rechte Ideologien teilen (die ja absolut konservativ sind) – und die sind unter den Impfgegnern stark verbreitet, durchschnittlich weniger intelligent sind als jene, die progressives Gedankengut teilen, wurde durch zahlreiche Studien belegt. Die bekannteste ist wohl die von Satoshi Kanazawa.
dn
Schubladendenken ist immer etwas einseitig. Novaxler als rechtsextreme, asozial, usw. Individuen zu verorten ist sehr einseitig. Auch unter Ärzten und Apothekern gibt es Impfskepsis, die sind also antisemitisch. Wenn Grundrechte bei uns gleich gehandhabt werden wie in China,
finde ich das schon bedenklich. Ich bin froh, dass es nicht nur Schafe gibt, obwohl ich selbst, zwangsweise, geimpft bin.
robby
Es gibt eben auch dumme Ärzte und dumme Apotheker.
leser
Dn
Schon allein novaxler mit antisemitismus gleichzustellen ist weit weg von intelligent
kritiker
Grundrechte gehandhabt wie in China ?. Da hat wohl jemand gar keine Ahnung oder Falschdarstellung und Übertreibung sind seine Masche. Leider kann sich auch Herr Steinhaus nicht dazu durchringen, die Siedlungspolitik Israels ohne wenn und aber zu kritisieren.
leser
Kritiker
Er sagt ja du kannst jederzeit kritisieren nur darfst du die entscheidung nicht infragestellen
Das gleiche recht fordern muslime ja auch
waldhexe
Wer andere für dumm hält,will nur von seiner eigenen ablenken.
esmeralda
@waldhexe, hälst du alle anderen für intelligent?
leser
Waldhexe
Bravo
Obendrein hat dummheit viele facetten und ist nie leicht erkennbar