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Zivilinvalide … und arbeitslos

Thomas

Von der Arbeitslosigkeit ins Arbeitsleben: Zivilinvaliden berichten von ihren Erfolgsgeschichten.

Zivilinvalide und arbeitslos: Mehr als 5.000 Südtiroler müssen derzeit mit dieser doppelten Herausforderung leben. Eine Situation, die allein aufgrund der angeborenen oder erworbenen Krankheit oder Behinderung von Zivilinvaliden schwer genug wäre.

Um das Leben von Betroffenen aktiv zu verbessern und die Arbeitslosenquote zu verringern, werden in Südtirol zahlreiche Projekte und Initiativen durchgeführt mit dem Ziel, neue Berufsperspektiven durch Weiterbildung zu schaffen. Dass sich diese Formel der Arbeitsintegration bewährt, zeigt sich am Beispiel eines Spezialisierungskurses zum Thema Buchhaltung und Bilanzierung: Fast alle Kursteilnehmer, allesamt anerkannte Zivilinvaliden unterschiedlichen Alters, stehen heute wieder mitten im Arbeitsleben. Der Veranstalter des Kurses, die Vereinigung der Zivilinvaliden (ANMIC Südtirol), berichtet über kleine große Erfolgsgeschichten.

Einen Beruf erlernen, die entsprechende Laufbahn einschlagen und denselben Beruf Jahrzehnte lang bis zum Pensionsalter ausüben: Für tausende Südtiroler Zivilinvaliden ist dies leider eine Wunschvorstellung. Denn aufgrund ihrer motorischen, psychischen oder seelischen Erkrankung ist der Zugang zur Arbeitswelt alles andere als einfach.

Ihre Krankheitsgeschichte lässt vielen Menschen manchmal keine andere Wahl, als ihren Arbeitsplatz zu wechseln oder ihren erlernten Beruf ganz aufzugeben, wenn sie beispielsweise durch einen Unfall oder eine schwere Krankheit aus dem Leben herausgerissen werden. Oft trifft der lebensverändernde Schicksalsschlag junge Menschen, manchmal aber fehlen nur wenige Jahre bis zur Pension. In allen Fällen überwiegen Zweifel und Sorge: Wie geht es nur weiter?

Martin

„In erster Linie ist es wichtig, dass betroffene Menschen Hilfe in Anspruch nehmen und sich als Zivilinvalide anerkennen lassen“, erklärt Thomas Aichner, Präsident der ANMIC Südtirol. „Auf diese Weise erhalten sie – je nach Einstufung durch die Ärztekommission – verschiedene Hilfeleistungen, welche von der Gewährung kostenloser Hilfsmittel bis hin zur Auszahlung finanzieller Leistungen reichen. Für arbeitssuchende Zivilinvaliden ist besonders die Eintragung in die sogenannten „Listen der geschützten Kategorien“ von Vorteil.

Dank dieser wird der Betroffene vom entsprechenden Arbeitsvermittlungszentrum betreut, indem gemeinsam mit einem Intermediator nach einer Arbeitsstelle gesucht wird, welche mit der individuellen Krankheit oder Behinderung kompatibel ist. Beispielsweise könnte für einen Zivilinvaliden, welcher jahrelang als Fliesenleger tätig war und an chronischem Asthma erkrankt ist, eine Verwaltungstätigkeit die Lösung darstellen. Hat er allerdings noch nie mit einem Computer gearbeitet, bestimmte Programme benutzt oder Zahlungen verbucht, stößt die gezielte Arbeitseingliederung an ihre Grenzen.“

Genau in einer solch prekären Situation befand sich auch die 50-jährige Anja, Zivilinvalidin aus dem Vinschgau: „Durch meine Krankheit und auch durch das Asperger-Syndrom fiel es mir zunehmend schwerer, meinen Beruf als Lehrerin auszuüben. Ich litt an Panikattacken, fühlte mich schwach und ausgebrannt, war sehr oft krank. Dies führte dazu, dass ich meinen ehemaligen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Daraufhin arbeitete ich notgedrungen bei einem Bauern als Tagelöhnerin. Doch nachdem diese 2 Monate vorüber waren, wusste ich nicht mehr weiter.“

Anja

Auch dem 30-jährigen Martin, Zivilinvalide aus dem Unterland, erging es ähnlich: „Ich habe einen Mittelschulabschluss und bis zu meiner Erkrankung als Waagmeister in einem Obstmagazin in Tramin gearbeitet. Als sich mein gesundheitlicher Zustand immer weiter verschlechterte, musste ich diese Arbeit aufgeben. Danach habe ich mehrmals versucht, andere Arbeitgeber zu kontaktieren und eine neue Arbeit zu finden. Leider vergeblich.“

„Als größte Interessensvertretung der Südtiroler Zivilinvaliden und Menschen mit Behinderung wissen wir, dass die Geschichten von Anja und Martin leider keine Einzelfälle sind. Tausende Zivilinvaliden wachen täglich mit großen existenziellen Sorgen auf, da sie keine passende Arbeitsstelle finden oder ihnen die dafür notwendige Ausbildung fehlt“, berichtet Thomas Aichner. „Aus diesem Grund haben wir vor knapp einem Jahr einen mehrmonatigen Buchhaltungskurs organisiert und durchgeführt. Da wir eine ehrenamtlich tätige Organisation mit einem beschränkten Budget sind, wäre dies ohne die Finanzierung des europäischen Sozialfonds und der Autonomen Provinz Bozen nicht möglich gewesen.“

Am Buchhaltungskurs nahmen 10 arbeitssuchende Zivilinvaliden aus ganz Südtirol teil. Mit viel Fleiß, Engagement und Wissbegierde erlernten sie 5 Monate lang zahlreiche Kompetenzen aus dem Bereich der Buchhaltung und Bilanzierung. Insgesamt gab es 11 Module zu verschiedenen wirtschaftlichen und rechtlichen Themenbereichen, welche die Teilnehmer auf eine künftige Arbeitsstelle im Verwaltungs- und Buchhaltungsbereich vorbereiteten. Nach mehr als 520 Stunden im Klassenraum folgte ein Praktikum bei einem Südtiroler Arbeitgeber, wo das erlernte theoretische Fachwissen in der Praxis angewandt werden konnte.

„Angesichts der Covid-19 Pandemie und den damit einhergehenden Richtlinien war es nicht einfach, eine passende Praktikumsstelle für die Teilnehmer zu finden“, erinnert sich Verena Bonatta, Projektverantwortliche und Mitarbeiterin der ANMIC Südtirol. „Doch aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, stimmten Betriebe aus unterschiedlichsten Branchen zu und freuten sich über die sehr gut ausgebildeten Mitarbeiter. Zu den Praktikumsbetrieben gehörten sowohl lokale Betriebe als auch die öffentliche Verwaltung und große internationale Unternehmen.“

Darunter ist auch das Rittner Unternehmen Finstral. Der führende Fensterhersteller nahm den 47-jährigen Thomas, Zivilinvalide aus Kastelruth, als neuen Praktikanten auf. „Thomas war während des Praktikums im Controlling tätig, wo er Transportkostenrechnungen bearbeitete“, berichtet Klaus Tappeiner, Verkaufsleiter der Finstral AG. „Daraufhin ergab sich eine freie Stelle im Tätigkeitsbereich der Preisberechnung und wir stellten ihn bei uns ein. Seitdem verrichtet er seine Arbeit genau, korrekt und gewissenhaft – wir sind sehr zufrieden mit ihm.“

Heute, knapp 4 Monate nach Kursende, haben 8 der 10 Teilnehmer eine Anstellung gefunden und so einen wichtigen Schritt in Richtung eines selbstverantwortlichen Lebens getan. So auch Lukas aus Schenna, der aktuell im Buchhaltungsbereich beim Institut für den sozialen Wohnbau (WOBI) in Meran beschäftigt ist. „Durch den Kurs lernte ich das Tätigkeitsfeld des Buchhalters nicht nur kennen, sondern auch beherrschen. Folglich habe ich mich dazu entschlossen, diese Arbeit auszuüben und bewarb mich anschließend beim WOBI in Meran. Die Tätigkeit des Buchhalters gefällt mir sehr und ich bin dankbar, meinen Platz in der Arbeitswelt gefunden zu haben“, erzählt der 25-jährige.

Auch Anja und Martin blicken auf eine lehrreiche Zeit zurück, welcher sie ihre jetzige Arbeit verdanken: „Ich bin jetzt viel ruhiger und ausgeglichener, auch gesundheitlich erhole ich mich“, erklärt die Vinschgauerin. „Der Kurs war ein großes Glück für mich, denn so konnte ich meinen Wunsch nach Veränderung sofort umsetzen. Allein, aus eigener Kraft, hätte ich es vielleicht nicht geschafft. Sehr froh war ich außerdem darüber, dass ich nach dem Praktikum in der Gemeinde Mals weiterarbeiten durfte. Bald möchte ich am öffentlichen Wettbewerb teilnehmen, um auch weiterhin zum Team der Gemeinde zu gehören.“ Martin dagegen blick erwartungsvoll in die Zukunft, denn für ihn steht der langersehnte Wiedereinstieg ins Berufsleben kurz bevor: „Am 1. März beginne ich als Lohnbuchhalter beim Raiffeisenverband Südtirol. Ich freue mich darauf!“

Dass dieser bedeutende Schritt zurück in die Erwerbstätigkeit nach langer Arbeitslosigkeit nicht nur für die Teilnehmer großartig war, weiß auch Matthias Grünfelder, Bilanzbuchhalter und Accounting Experte sowie Dozent im Weiterbildungskurs: „Dank der tollen Umsetzung seitens der ANMIC Südtirol haben die Teilnehmer die Konzepte der Buchhaltung und Bilanzierung in nur wenigen Monaten von Grund auf gelernt. Nun arbeiten die meisten von ihnen in diesem Sektor. Ich bin stolz auf sie!“

Die Haupttätigkeit der ANMIC Südtirol ist neben Weiterbildungskursen die Beratung und Information von Zivilinvaliden und Unternehmen. Dazu gehören auch arbeitsrechtliche Aspekte, Unterstützung bei der Personal- und Arbeitssuche, Beratung zur Pflichteinstellungsquote und steuerlichen Begünstigungen sowie Hilfe bei der erfolgreichen Integration von Zivilinvaliden und Menschen mit Behinderung.

Die Vereinigung der Zivilinvaliden (ANMIC Südtirol) ist eine ehrenamtliche Organisation (EO) ohne Gewinnabsichten, die auf Staats- und Landesebene seit 1965 bzw. 1994 anerkannt ist. Als die einzige rechtliche und gesetzliche Vertretung der Zivilinvaliden und -versehrten vertritt die ANMIC Südtirol diese bei öffentlichen Ämtern sowie in privaten Betrieben, damit die Südtiroler Zivilinvaliden und -versehrten vollständig in den sozialen sowie beruflichen Alltag integriert werden. Mit mehr als 6.000 Mitgliedern ist die ANMIC Südtirol die größte Interessensvertretung für Zivilinvaliden und Menschen mit Behinderung in Südtirol.

 

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