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„Gesunder“ Wein

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Das EU-Parlament hat entschieden, dass auch künftig auf Weinflaschen keine Schockbilder angebracht werden müssen. Was der Arzt und Genussbotschafter Albin Thöni dazu sagt.

von Erna Egger

Abschreckende Etiketten auf den Flaschen mit alkoholischen Getränken, ähnlich wie auf Tabakpackungen: Das EU-Parlament hat am Mittwoch nach einem Abänderungsantrag nun doch diese Pläne mehrheitlich abgelehnt. Vonseiten der Wein-Lobby hatte es heftige Proteste gegeben.

Albin Thöni, langjähriger Primar der Gynäkologie im Krankenhaus Sterzing, beschäftigt sich seit seiner Pensionierung als Genussbotschafter und Sommelier intensiv mit Genussfaktoren. Wie Thöni die Debatte verfolgt hat und was er von derartigen Maßnahmen hält.

Tageszeitung: Herr Thöni, wie haben Sie die Debatte zur Etikettierung von Flaschen mit Schockbildern im EU-Parlament verfolgt?

Albin Thöni: Bei solchen Debatten wird die Suppe nie so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Im englischsprachigen Raum – ich habe dies in Schottland oder in Südafrika selber erlebt –, sind solche Etiketten lange schon Usus.

Wären solche Etiketten ein guter Ansatz, um auf die Gefahren durch zu viel Alkoholkonsum aufmerksam zu machen?

Grundsätzlich halte ich solche Hinweise nicht für sinnvoll. Gerade beim Wein kommt es auf die Dosis an, also ob ich täglich zwei Gläser oder den Inhalt einer ganzen Flasche Wein konsumiere. Was die Etiketten und die Gesundheitsgefährdung betrifft, müsste man auch jeden Zucker- oder Salzbehälter mit Warnungen versehen.

Sie sind diplomierter Sommelier. Wie gefährlich ist der Wein oder hat er in Maßen getrunken wirklich positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit?

Mit dem Thema Wein und den gesundheitlichen Aspekten verbindet man ganz besonders Emotionen und Vorurteile. Es ist dementsprechend nicht unproblematisch, über die gesundheitsfördernden Wirkungen des Alkohols zu sprechen. Der Alkohol ist einerseits ein Nahrungs- und Genussmittel, andererseits, ab einer bestimmten Dosis, auch ein Rauschmittel, das körperliche und psychische Abhängigkeit verursachen kann. Es kommt einzig und allein auf das richtige Maß an, also auf die tägliche Menge Alkohol, die man konsumiert. Und die „Wissenschaft“, also die Experten für Ernährung, die Gesundheitsbehörden, die Epidemiologen, die Ärzteschaft, zumal die Internisten, sind sich keineswegs einig über das richtige Maß. Die einen behaupten, dass Alkohol moderat und langfristig getrunken unter anderem für die Blutgefäße und das Herz, also für das Herzkreislaufsystem oder auch für eine bessere Hirnleistung – besonders im Alter – förderlich sei, die anderen behaupten, auch anhand aktueller Studien, dass keine positiven Wirkungen nachgewiesen werden können. Es gibt also widersprüchliche Studienergebnisse zu den Vor- und Nachteilen.

Was bedeutet „moderater Weingenuss“?

Seit vielen tausend Jahren ist die Erzeugung von Wein und Bier Teil des europäischen Kulturerbes. Der Alkoholkonsum ist integraler Bestandteil der europäischen Lebensart. Derzeit herrscht wissenschaftlicher Konsens darüber, dass ein täglicher Konsum von 20 Gramm Alkohol für die Frau – zwei Drinks oder Getränkeeinheiten zu jeweils 12 Gramm – und 30 Gramm für den Mann, also drei Getränkeeinheiten, gesundheitsfördernd sei. 10 Gramm reiner Alkohol entsprechen durchschnittlich einem Viertelliter Bier, einem Achtelliter Wein oder vier Zentilitern Schnaps. Unter moderatem Alkoholgenuss versteht man also den täglichen Konsum von ca. zwei Gläsern Wein für die Frau und von drei Gläsern für den Mann. Praktisch bedeutet dies z.B. zwei Gläser zu 125 Milliliter Vernatsch mit 12,5 Volumenprozent für die Frau und drei Gläser für den Mann. Dies klingt sehr streng und lässt wenig Raum, um mal „über die Stränge“ zu schlagen. Wenn jemand, der gesund ist und moderat täglich seine zwei bis drei Gläser Wein genießt, vorzüglich begleitend zu den Mahlzeiten, dann ist dagegen auch von ärztlicher Seite nichts oder kaum etwas einzuwenden. Aber man sollte nie mehr als vier Getränkeeinheiten auf einmal, also an einem Abend oder im Rahmen einer Feier konsumieren, dies bedeutet ca. 40 Gramm reiner Alkohol. Die Grenze zwischen Genuss und Rausch ist fließend, der Grat zwischen der guten und der schädigenden Wirkung des Alkohols ist schmal.

Vertragen Mann und Frau Alkohol auf unterschiedliche Art?

Die Wirkung von Alkohol ist nicht bei jedem gleich und hängt abgesehen vom Alter, dem Körpergewicht, dem Gesundheitszustand, der Tagesverfassung, psychischen Faktoren, der ethnischen Herkunft – „Asiaten“ vertragen durchschnittlich weniger Alkohol –, Konsum auf leeren oder vollen Magen, insbesondere auch vom Geschlecht ab. Der weibliche Organismus verträgt weniger Alkohol als jener des Mannes. Bei der Frau ist bei gleichem Alkoholkonsum die Alkoholkonzentration höher und die Wirkung tritt bei ihr stärker in Erscheinung. Tatsache ist, dass die Alkoholverträglichkeit bei der Frau um bis zu 30 Prozent reduziert ist gegenüber jener des Mannes, da ihre Leber weniger alkoholabbauende Enzyme produziert. Dies bedeutet auch, dass die Frau langsamer nüchtern wird, denn die speziellen Enzyme der Leber bauen bei ihr langsamer den Alkohol pro Stunde ab.

Haben Sie praktische Tipps für die Einhaltung der Promillegrenze auf Lager?

Natürlich. Erster Tipp: Wir sollten uns angewöhnen, zunächst das Etikett jeder Weinflasche zu beachten. Wie viel Volumenprozente stehen darauf, also z. B. 12 oder 15 Volumenprozente, oder gar 40 Volumenprozente beim Schnaps, Whisky, Cognac, usw. Entsprechend hoch ist der Anteil an reinem Alkohol. Der Weinkonsum ist obsolet für Minderjährige, Autofahrer oder bei bestimmter Medikamenteneinnahme. Jeder von uns sollte kritisch seinen Weinkonsum beobachten. Angeblich weisen ca. 20 Prozent der Männer in unseren Breitengraden einen problematischen Umgang mit Alkohol auf. Körperliche Schäden sind nur das eine Problem, die psychischen Abhängigkeiten beginnen schon viel früher. Fakt ist, dass starker Alkoholkonsum viele Organe schädigen kann. Alkohol ist das Dopingmittel Nr. 1 in Mitteleuropa, es ist das wohl schädlichste aller Suchtmittel. Erwachsene haben eine starke Vorbildwirkung: Wie zu Hause mit Alkohol umgegangen wird, prägt Kinder sehr!

Und wenn man Zweifel hat, ob schon Suchtgefahr besteht?

Mein praktischer Tipp: Es ist empfehlenswert, mindestens einen, besser zwei Tage hintereinander abstinent zu bleiben, um einerseits die Leber zu entlasten, die ja den Alkohol abbauen muss, und andererseits sich selber zu beobachten, wie der Körper auf diese zweitägige Abstinenz reagiert.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (12)

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  • andreas

    „Genussbotschafter“, wer lässt sich solche Wörter einfallen.

    Saufen macht dumm und wenn man versuchen soll, 1-2 Tage auf Alkohol zu verzichten um zu sehen, was mit dem Körper passiert, ist man abhängig, da braucht man auf gar nichts warten.

    Und diese Sommelier bzw. Weinbauern, welche öfters nicht mal den eigenen Wein bei einer Weinprobe mit derselben Sorte rauskennen, finde ich recht lustig.
    Der Wein hat nicht Schuld, wenn einer die Frau verdrischt, die Ursache kann er aber trotzdem sein.
    Saufen kann jeder wieviel er will, diese Verherrlichung und das Ignorieren der daraus entstehenden Probleme, ist aber nicht angebracht.

  • kritiker

    habe keine Verherrlichung herauslesen können, sondern nur sachliche Information.

  • andreas1234567

    Hallo nach Südtirol,

    es ist eine grassierende Seuche in den Wohlstandsländern Europas. Heerscharen von Leuten sinnen den ganzen Tag (sehr gut bezahlt) darüber nach wie sie anderer Leute Leben verbessern könnten.Diese Truppen vermehren sich wie Pantoffeltierchen in einem Heu-Sud.
    Wie gut sie es wirklich mit den Menschen meinen klärt sich wenn ihnen ein „Leckt mich, das ist meine Sache“ entgegenschallt.
    Diese Wohlmeinenden stehen oft erschreckend abseits dessen was man „normales Leben“ nennt was sie nicht hindert sich wie ein Schwarm wildgewordene Hornissen zu benehmen, wütend verjagen schafft kurzfristig Ruhe, aber die kommen wieder.
    Motto: Nimm unseren Rat an sonst machen wir ein Gesetz raus.

    Wenn diese Entwicklung nicht bald gestoppt wird klingelt demnächst die staatliche Lebensoptimierungshilfe an jede Haustür für die monatliche Pflichtberatung.

    Auf Nicht-Wiedersehen beim vegan-alkoholfreiem Dorffest nach 2hoch5-G+++-Standard (Teilnehmer nur Geimpft und mindestens 5x geboostert und mit 3 negativen PCR an den drei vorigen Tagen)

    Da gibt es dann salzgehaltoptimiertes stilles Wasser mit Karotte oder Karotte „scharf“ (leicht angedünstet)

  • prof

    Für mich ist eine „Genussbotschafterin“ die Lauben-Sassa.

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