Pop ist toll!
Die Austro-Südtiroler Band Drahthaus reißt die Grenzen zwischen akustischer und elektronischer Musik ein und will weit mehr als nur eine klassische Band sein. Mit ihren Klangmanövern gilt sie in Wien bereits als nächstes großes Ding. Dieser Woche erscheint ihre neue Single. Ein Gespräch mit Hans Zoderer.
Tageszeitung: Herr Zoderer, Drahthaus nennt sich ein Kollektiv, macht Musik, aber ist es eine Band?
Hans Zoderer: Wir kommen von der Musik und Musik ist auch sicher zentral für unser Kollektiv. Dennoch arbeiten wir mit unterschiedlichen Medien und wollen auch alle auf eine Stufe stellen. Neben Musik produzieren wir Videos und Installationen, veranstalten Events und Workshops, und arbeiten mit Text. Im Idealfall fließen die Medien so ineinander, dass nicht mehr klar erkenntlich ist, wo die Grenzen liegen. Grenzen verschwimmen zu lassen ist ein roter Faden von Drahthaus und diesen Pfad wollen wir auch weiter verfolgen.
Ein Kollektiv – das war in den 1960er Jahren einmal sehr politisch gemeint, danach galt es für lange Zeit als abgehakt, gegenwärtig ist es wieder sehr angesagt. Auch die Documenta wird erstmals von einem Kollektiv kuratiert. Was zeichnet denn für Drahthaus ein Kollektiv aus?
Ich bin in diversen Kollektiven und Vereinen tätig seit ich 15 Jahre alt bin. Damals haben wir mit Revoltekk oder der Gleeman Crew Partys und Festivals (Matscher Au, Ghosttown Festival, Dumptown Festival) in Südtirol organisiert. In Kollektiven zu arbeiten bedeutet für mich selbstorganisiert und selbstbestimmt zu machen. Menschen sozialisieren sich auf Basis von Musik und Kultur. Ideelle Werte und Freiräume stehen immer im Vordergrund. Insofern finde ich Kollektive auch nach wie vor sehr politisch. Bei Drahthaus ist das nicht anders. Wir nennen uns auch deshalb Kollektiv, weil wir hervorheben wollen, dass es nicht nur um uns Vier als Band geht. Es sind viele Menschen mit unterschiedlichen Zugängen und Fähigkeiten beteiligt, die sehr wichtig sind. Drahthaus ist in erster Linie eine Idee.
Geht es auch darum, die klassische Ich-Performance des einsamen Genies zu hinterfragen und andere Formen der Kreativität zu eruieren?
Kunst (und auch alles andere das irgendwie produziert wird) ist immer eine gesellschaftliche Leistung. Die einsame, geniale Künstlerin ist nur der Filter dieses Prozesses. Der Filter ist sehr wichtig! Denn nur durch ihn wird wirres Potential katalysiert und zu einem rezipierbaren Gegenstand. Mit Drahthaus erleben wir diesen Filtrierungsprozess als Gruppe. Aus dem einfachen Grund heraus, da es schön ist, den leidenschaftlichen Prozess des Kunstmachens zu teilen. Es gibt aber durchaus auch Solo-Projekte in unseren Reihen. Das Kollektiv zwingt zu nichts. Es unterstützt alle Formen von Ausdruck. Egal was wie, von wem, wann, wo und warum kommt.
Voraussetzung für ein funktionierendes Kollektiv ist, dass eine Gruppe eigenwilliger Köpfe sich zusammenrauft. Ist das das schwerste Stück Arbeit?
Sicher ist es manchmal auch mühsam als Gruppe zu arbeiten. Bei einem Solo-Projekt geht alles schneller, weil alle Entscheidungen nur mit einem selbst ausgemacht werden müssen. Aber wir diskutieren gerne. Ein wesentlicher Aspekt vom Drahthaus Kollektiv ist es, sich ausprobieren und entwickeln zu können. Wir wollen lernen. Und wir merken, dass wir (voneinander) lernen. Das und das breitere Spektrum an Möglichkeiten ist es in der Regel wert, lange über Details zu debattieren.
Drahthaus will alte Strukturen in Frage stellen. Was läuft falsch in den bestehenden Strukturen und wie stellen Sie sich alternative vor?
Puh! Falsch läuft ganz schön viel. Von Klimapolitik bis zu sozialer Ungleichheit und Diskriminierungen. Wir können als kleine Gruppe sicher nicht alles davon lösen, aber wir können Teil einer Gegenbewegung sein. Wir können Utopien formulieren und sie in unserem Mikrokosmos erproben. Wir können über die Kraft der Kunst, der Symbolik und durch Veranstaltungen eine Projektionsfläche sein und sozialisieren. Wir glauben, dass wir als Weltbevölkerung einem Paradigmenwechsel bevorstehen und wir wollen diesen als Gruppe begünstigen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, dass nicht alles schlecht läuft! Wir wollen das bestehende System nicht abbrennen, sondern die Angst vor neuen Zugängen nehmen, die vielleicht eh die angesprochenen Kollektive in den 1960ern schon formuliert haben.
Kommen wir zum musikalischen Kern. Jazz, zeitgenössische Musik, Drum & Bass, Minimal Techno, Jazz, Pop und Hip-Hop – es gibt offenbar nichts, wovon Drahthaus die Finger lässt. Die reinste Völlerei, um es katholisch auszudrücken.
Amen.
Euch schwebt, Zitat, „ein neuer, radikaler, strikt partizipativer Ansatz“ vor, um den Entstehungsprozess von Musik zu thematisieren. Wie soll das funktionieren?
Das trifft besonders auf unsere Liveshow zu. Wir verwenden ca. 20 Instrumente auf der Bühne, die wir einspielen und die dann über Effekte „elektronisiert“ werden. Da dies nicht im Studio, sondern eben auf der Bühne passiert, glauben wir, wird der Prozess hinter den Musikproduktionen sichtbarer.
Ein mit analogen Instrumenten gespielter Techno ist euer Markenzeichen. Ist das eure Antwort auf Kruder & Dorfmeister, die in den 1990er Jahren Wien zum Epizentrum elektronischer Musik gemacht haben?
Ich würde meinen, andere Bands bedienen dieses Markenzeichen besser als wir. Aber Kruder & Dorfmeister sind sicher ein Einfluss für unser Machen.
In letzter Zeit flirtet die Instrumentalband Drahthaus heftig mit dem Vokalen. Um einmal mehr alle Erwartungen konsequent zu ignorieren?
Wir haben auch Erwartungen an uns selbst. Diese nehmen wir sehr ernst.
Auf eurer neuen Single „Rain“ arbeitet ihr mit der Singer-Songwriterin Clara Luzia zusammen. Klingt poppig wie nie. Seid ihr auf dem Weg zur Popband?
Wir wollen uns ausprobieren und experimentieren, wollen neue Zugänge in das Zentrum unseres Schaffens holen, lernen und uns entwickeln. Pop ist toll. Genauso wie viele andere Schubladen. Im April veröffentlichen wir ein Album mit Filmmusik, das wesentlich unpopiger ist. Wir machen das, worauf wir Lust haben!
Der Song hat etwas Melancholisches wie Morgentau auf totem Laub. Ein Spiegel der gegenwärtigen Stimmungslage?
Vielleicht. Aber so wie traurige Musik manchmal glücklich macht, muss es nicht bedeuten, dass man traurig ist, weil man traurige Musik macht.
Letzte Frage: Definieren Sie uns bitte das Drahthaus´sche Glück.
Glück = Privilegien + Optimismus.
Interview: Heinrich Schwazer
Drahthaus
Das Kollektiv Drahthaus, bestehend aus Ludwig Ascher, Valentin Martins und den beiden Schlandersern Simon Öggl und Hans Zoderer, gibt es seit 2015. Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die Grenzen zwischen akustischer und elektronischer Musik zu durchbrechen. Neben herkömmlichen Instrumenten finden sich auch ungewohnte Gegenstände in ihrem Instrumentarium wieder, von Autofelgen über Glasflaschen, bis hin zu Schneidbrettern. Die akustisch erzeugten Klänge werden in ein Netzwerk eingespeist und können dadurch in Echtzeit auf den Computern der Musiker abgegriffen und auf vielfältige Weise manipuliert und geloopt werden. Die Single „Rain“ erscheint am 18. Februar. Im September sind sie in der BASIS Vinschgau, in Schlanders, zu erleben.
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