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Der Balletttänzer, Choreograf, Opernregisseur und langjährige Ballettdirektor der Wiener Staatsoper Renato Zanella ist der neue künstlerischer Leiter des regionalen Tanzfestivals „inDanza“. Wie plant man während einer Pandemie ein Festival und wo will er es hinführen?
Tageszeitung: Herr Zanella, Sie sind in Verona geboren, mütterlicherseits liegen Ihre Wurzeln aber in Südtirol. Wo genau?
Renato Zanella: In Bozen; Meine Großeltern hatten 11 Kinder und ich erinnere mich gut daran, den Großteil meiner Kindheit dort verbracht zu haben. Eine unvergesslich schöne Zeit. Sie wohnten in der Nähe der ehemaligen Kaserne Castel Flavon.
Eigentlich wollten Sie Basketballspieler werden. Mit 1,86 Meter Größe liegt das näher als eine Ausbildung zum klassischen Balletttänzer.
Sport war die Leidenschaft der Familie meines Vaters und Musik die meiner Mutter. Ich spiele immer noch gerne Basketball. Es macht nicht nur Spaß, sondern hat viele Elemente, die ich sehr schätze: Teamwork, Rhythmus und Präzision. Ein Spiel ist einer zeitgenössischen Choreografie ähnlich.
Waren Ihre Eltern mit der Wahl einer Tanzkarriere einverstanden?
Nein und Ja. Meine Mutter hat uns leider zu früh verlassen. Sie wollte selbst Schauspielerin werden, aber das war zur damaligen Zeit nicht möglich. Mein Vater hat eine Tanzkarriere nie als Beruf gesehen und wollte mich mit allen Mitteln davon abhalten. Jetzt ist er 87 und sehr stolz.
Nach einer Station in der Schweiz war das weltberühmte Stuttgarter Ballett Sprungbrett für Ihre internationale Karriere. Die legendäre Marcia Haydée hat sie zum ständigen Choreographen ernannt. Welche Erinnerung haben Sie an diese Ikone des Tanzes?
Alles, was ich geworden bin, hat dort begonnen. Natürlich waren die Ausbildung in Verona und später die Jahre in Cannes mit Rosella Hightower oder in Basel mit Heinz Spoerli wichtige Stufen meiner Karriere. Aber Marcia hat mir beigebracht wie wichtig Vertrauen, Risiko und Mut in der Kunst sind. „Just do it; If you feel is right for you go till the end“. Stuttgart in den 80er und 90er Jahren war absolut „the place to be“. Ich könnte über diese 10 unglaublichen Jahre ein Buch schreiben.
Sehr wenige Tänzer schaffen den Sprung zum Choreographen. Was hat bei Ihnen die Tür zum eigenen Choreographieren aufgestoßen?
Stuttgart hat das geschafft; Als Tänzer waren wir mit einer Kreation nach der anderen beschäftigt. Die Noverre-Gesellschaft hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Tanz dem Publikum näher zu bringen und junge Choreografen zu fördern. Sie bot vielen Choreografen ein Sprungbrett, auch mir. Dass schon mein erstes Stück in das Repertoire des Stuttgarter Balletts aufgenommen wurde, war eine schöne Überraschung und Anerkennung. Der Rest ist Geschichte.
Das „Stuttgarter Ballettwunder“, das 1961 mit der Berufung John Crankos begann, ist bekannt dafür, dass seine Tänzer, beispielsweise William Forsythe, weltweit als Direktoren begehrt sind. Wie machen die Stuttgarter das?
1961 ist auch mein Geburtsjahr, ein schöner Zufall. Wie machen die Stuttgarter das? Mit Vertrauen. Marcia hat jedem eine, zwei, drei Chance gegeben. Wir haben das sehr geschätzt. Die Arbeitskonditionen waren in allen Belangen hervorragend.
Sie selbst wurden mit 34 Jahren Ballettdirektor der Wiener Staatsoper. Ein Traditionsensemble in einer sehr traditionsbewussten Stadt. War das Ihr schwierigster Job bislang?
Da es meine erste Leitung eines großen Ensembles war, war es eine große Herausforderung. Ich halte es mit Gustav Mahler, der gesagt hat: Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche. Meine Arbeit bin ich mit viel Enthusiasmus und Kreativität angegangen. In meiner Zeit dort sind 34 Ballette und Choreografien für 27 Opern entstanden, Projekte für jungen Choreografen und Initiativen zur sozialen Integration. Zwischen Stuttgart und Wien bestand ein beträchtlicher Unterschied, aber eine so kulturreiche Stadt wie Wien muss in vollen Zügen erlebt werden. Meine Arbeit an der Wiener Staatsoper wurde von der österreichischen Regierung zunächst mit dem Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft und später vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur mit dem Berufstitel „Professor“ gewürdigt.
Unter Jörg Haider wären Sie beinahe Intendant der Wörtherseefestspiele geworden. Politisch wäre das eine heikle Sache gewesen, oder?
Das ist lange er. 2003, als ich Ballettdirektor in Wien war, war ich für ein Jahr künstlerischer Berater der Wörtherseefestspiele. Ich wollte nicht weiter machen und das war Anlass für Spekulationen. Aber letzten Endes sind es Spekulationen geblieben.
In Österreich haben Sie ein inklusives „Off Ballett special“ für Menschen mit und ohne Behinderung gestartet. Als soziales, bzw. therapeutisches Projekt, oder weil Sie die Vielfalt der Körper als künstlerische Bereicherung sehen?
Absolut ja. Normalität und Inspiration sind die Ziele. Es geht nicht um Therapie, sondern darum, Menschen mit besonderen Bedürfnissen zusammen zu bringen, die das tanzen lieben. Mittlerweile arbeiten wir schon über 20 Jahre zusammen.
Sie haben zahlreiche Klassiker choreographiert, doch Ihr Fokus lag stets auf der Moderne. Kommt man damit in Konflikt mit dem großen Publikum, das am liebsten immer den Nussknacker oder den Schwanensee sehen würde?
Als Choreograf habe ich versucht, Klassiker modern zu interpretieren. Aber als Ballettdirektor muss man an alle denken und mein Fokus lag und liegt drauf, Programme auf 360° Grad zu konzipieren. Und auch als Tänzer hat es mir viel Spaß bereitet verschiedene Stile zu tanzen. Ehrlich gesagt widerhole ich mich ungerne.
Die Leitung des regionalen Tanzfestivals „inDanza“ haben Sie im denkbar schwierigsten Moment übernommen. Die Pandemie macht jede Planung schwierig bis unmöglich. Wie gehen Sie damit um?
In denke nur an die Zeit nach der Pandemie. Unsere Arbeit jetzt ist eine Investition in die Zukunft. Die Prioritäten liegen auf der Kommunikation mit dem Publikum, die Konzeption eines breiten Programmangebotes und die Förderung der internen Motivation. Die Gesellschaft braucht das Theater, das wissen wir alle.
Die Salzburger Festspiele haben vorgeführt, dass die Theater unter Einhaltung der Anti-Covid-Regeln sichere Orte sind. Italien und andere Länder haben sie einfach zugesperrt als wären sie verzichtbare Luxusgüter. Deprimierend für alle Künstler, einfach vergessen zu werden.
Ja, es war und ist sehr schwierig das zu akzeptieren und viele Künstler leiden sehr darunter. Die ersten Opfer der Pandemie sind Wahrheit und Werte. Staaten, die Kultur finanzieren, um die Werte ihres Volkes zu steigern, werden denen voraus sein, die in der Kultur nur ein Luxusgut sehen.
Werden die Theater nach der Pandemie jemals wieder das sein, was davor waren und sollen sie das überhaupt?
Besser als vorher! Wir alle müssen das wollen und hart daran arbeiten.
„inDanza“ ist im Gegensatz zu Bolzano Danza ein saisonales Festival, in dem ein klassischer Nussknacker und Avantgarde-Produktionen nebeneinander Platz haben. Wie balancieren Sie Vergangenheit und Gegenwart in der Programmgestaltung aus?
Das ist eine gute Frage. Es ist etwas ganz anders ein 2-wöchiges Festival zu konzipieren, als eine Saison, die rund 10 Monate umspannt. Und die in unserem Fall regional ausgerichtet ist mit Aufführungen in Rovereto, Trient und Bozen. Bolzano Danza ist für mich eine spannende Realität, die mich inspiriert: In einem relativ kurzem Zeitraum ist man fokussiert auf ein umfangreiches Angebot an Workshops und Tanzaufführungen. Mit „inDanza“ möchte wir das Publikum neugierig machen – auch „erziehen“ wenn Sie so wollen – und alle Facetten des Tanzes aufzeigen. Wir haben die Frühjahrssaison mit der zeitgenössischen Tangointerpretation „Astor“ des Balletto di Roma begonnen; Im Februar steht ein sensationelles Zirkus-Tanz-Theater für die ganze Familie auf dem Programm; Und im März dürfen sich die Klassikfreunde auf die „Carmen“ von Amedeo Amodio freuen. Weitere Highlights gibt es in Trient und Rovereto zu sehen, u.a. Alessandra Ferri! Mit vielen Überraschungen wird es dann im Herbst weiter gehen. Kurz gesagt: Follow us!
Interview: Heinrich Schwazer
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