„So hätte ich mich auch selbst gemacht“
Der Brunecker Julian Peter Messner ist Bandleader, Sänger, Dichter, Schauspieler, Zeichner, Regisseur und er hat das Down-Syndrom. Kommende Woche erscheint sein erster Gedichtband. Ein Gespräch mit einem, der weiß, dass die Welt Menschen wie ihn* nicht haben will, obwohl sie doch so viel ärmer wäre ohne sie.
Tageszeitung: Herr Messner, Ihr Opa sagte „nuzzo pui“ zu Ihnen. Erklären Sie den Boznern, was ein „nuzzo pui“ ist. ,
Julian Peter Messner: „nuzzo pui“ heißt braver Bub auf „Puschtrarisch“, und so wie Opa es gesagt hat, war es etwas Besonderes, ich habe mich da immer geliebt gefühlt, habe gespürt, ich bin in Ordnung, so wie ich bin. Leider ist Opa schon zwanzig Jahre tot. Wenn ich „nuzzo pui“ höre, wird mir warm ums Herz.
Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Sie ein „nuzzo pui“ , aber nicht wie die anderen sind? Hat man Sie das spüren lassen und wie?
In meiner Großfamilie ist immer offen über meine Behinderung gesprochen worden. Schon als kleiner Bub hat man mir erklärt, dass ich Trisomie 21 habe, dass Gott mir ein Chromosom mehr zugeteilt hat. Niemand in der Familie, in der Schule, in meinem Dorf oder im Bekanntenkreis hat mich spüren lassen, dass ich anders bin, aber ich habe es gemerkt.
Im ersten Gedicht Ihres Gedichtbandes schreiben Sie: „ich bin julian ich habe trisomie 21 oder das down- syndrom / wenn mama mich………..“ Als Leser ergänzt man die Leerstelle sogleich mit dem Wort „abgetrieben hätte“. Tut Ihnen die alleinige Vorstellung so weh, dass Sie das Wort nicht verwenden?
Abtreibung ist schrecklich, schon das Nachdenken darüber macht traurig.
Ist das Gedicht ein Dank an Ihre Mutter, nicht abgetrieben zu haben?
Nein, eigentlich nicht. Um den 21.03. herum, dem Welt Down Syndrom Tag, habe ich mehrmals Artikel zum Thema Abtreibung bei Verdacht auf Down Syndrom gelesen und wollte ganz einfach aufzeigen, dass wir Menschen mit Down Syndrom vieles können und absolut gerne leben.
Weltweit 90 bis 95 Prozent der Eltern, bei deren Kind Down-Syndrom festgellt wird, entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so eine Nachricht in der Zeitung lesen? Macht es Sie traurig, dass Menschen wie Sie offenbar nicht gewollt werden?
Ja es macht mich tief traurig. Ich bin mir sicher, dass Menschen, die uns kennen im Down Syndrom keinen Grund zur Abtreibung sehen.
Heutzutage gibt es, sehr umstrittene, pränatale Tests, um Kinder mit erhöhtem Down-Syndrom-Risiko zu erkennen. Würden Sie solche Tests verbieten?
Ja ich würde solche Tests verbieten. Wenn Menschen mit Down Syndrom mehr in der Gesellschaft integriert werden, wird die Angst davor kleiner werden.
Angenommen, Sie würden Vater: Würden Sie ihr Kind vor der Geburt auf das Down-Syndrom testen lassen?
Sicher nicht, für mich ist jedes Leben gleich viel wert.
„ich hätte mir ganz bestimmt nicht das down-syndrom verpasst / – ich will nicht behindert sein“ steht im Gedicht mit dem Titel „ich denke“. Das klingt, als ob Sie mit Ihrem Leben hadern würden.
Wer will schon behindert sein? Ich weiß, ich kann es nicht ändern, ich habe es akzeptiert.
Das Wort „behindert“ soll man nicht mehr benutzen und stattdessen „Menschen mit besonderen Fähigkeiten“ sagen. Ist das wichtig für Sie?
Ob behindert, beeinträchtigt, Mensch mit handicap oder Mensch mit besonderen Fähigkeiten, ändert nichts an der Tatsache, wichtig für mich ist, dass allen mit Respekt begegnet wird.
Wie beurteilen Sie das Angebot an Möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen in Südtirol? Gibt es ausreichend Chancen oder könnte mehr getan werden?
Das Angebot ist noch immer gering, sei es an Arbeitsstellen, sei es an Wohnmöglichkeiten, sei es an Freizeitangeboten. Natürlich könnte mehr getan werden. Inklusion kostet viel Geld und Menschen mit Beeinträchtigung bringen zu wenig „wirtschaftlichen Nutzen“.
Nicht selten werden Menschen mit dem Down-Syndrom wie kleine Kinder behandelt. Stört Sie das?
Ich werde nicht als kleines Kind behandelt und wenn, würde ich mich dagegen wehren.
Was würden Sie gerne können und tun, was Menschen ohne Down-Syndrom können?
Auto fahren, mein Geld selber verwalten, mich ohne Unterstützung überall zurechtfinden.
Was freut Sie am meisten und welchen Traum würden Sie sich gerne erfüllen?
Eigentlich bin ich mit meinem Leben zufrieden. Ich habe eine Arbeitsstelle in der Kunstwerkstatt der Lebenshilfe die ich jeden Tag mit Freude aufsuche. Ich habe nette Kolleginnen und Kollegen, und Betreuerinnen die mich gut begleiten, eine wunderbare Frau und eine tolle Großfamilie. Früher war mein Traum Panama kennen zu lernen. Oh, wie schön ist Panama hat mich dazu angeregt. Heute reicht es mir, im Sommer mit der Lebenshilfe gemeinsam mit meiner Frau ans Meer zu fahren.
Was mögen Sie gar nicht, was geht Ihnen auf die Nerven?
Ich mag es nicht gern, wenn ich spontan Fragen beantworten muss. Das stresst mich. Ich brauche Zeit zu reflektieren und die Gedanken zu ordnen. Spontan fällt mir oft nichts ein und dann reagiere ich ruppig. Auf die Nerven geht mir, wenn mich meine Mutter beim Telefonieren stört, oder wenn ich nicht in Ruhe alle Zeitungen lesen kann.
Was lesen Sie in den Zeitungen?
Ich lese täglich die Dolomiten und die Tageszeitung, donnerstags auch die FF und die PZ. Am liebsten lese ich Interviews, die Überschriften und Schlagzeilen, zurzeit alles über Covid, dann mein Horoskop, Wetternachrichten und in den Dolomiten über den Heiligen des Tages. Den Rest überfliege ich.
Verfolgen Sie auch die Politik?
Politik interessiert mich eher wenig.
Welche Sportart interessiert Sie und welche/r Sportlerin ist Ihr/e Heldin?
Auch Sport verfolge ich kaum. Ich sage immer „Sport ist Mord“. Ich bin weder Aktiv- noch Passivsportler.
Sie sind auch Musiker. Welche Musik hören Sie am liebsten?
Schlager und volkstümliche Musik (meine Mutter sagt dazu volksdümmlich Musik).
Was schauen sie am liebsten im Fernsehen?
Krimis, Soaps und Musiksendungen
Sind sie auf Facebook oder Instagram?
Ja ich bin auf Facebook, poste aber nur selten etwas.
Ein Gedicht widmen Sie Ihrer Ehefrau Annemarie und die Liebe wohnt in der „herzmitte“. Wie haben Sie Ihre Braut kennengelernt und hat Sie auch das Down-Syndrom?
Annemarie habe ich bei einem gemeinsamen Praktikum in der Berufsschule kennengelernt. Sie besuchte den Berufsfindungskurs und ich das Biennium für Hotellerie und Gastronomie. Annemarie hat auch das Down Syndrom.
Mit Markus, so schreiben Sie, führen Sie Männergespräche. Worüber reden Männer?
Markus ist der Mann meiner Tante und wenn er zu Besuch kommt, ziehen wir uns in eine ruhige Ecke zurück und reden über Gott und die Welt und nennen das Männergespräche. Markus ist vor allem ein guter Zuhörer.
Auch über Angst schreiben Sie. Aber alle Ängste verschwinden, „wenn mamas arme mich umfangen.“ Hilft auch das Schreiben gegen die Angst?
Wenn es mir gelingt, die Angst in Worte zu fassen, ist es so, als ob sie schrumpft.
Sie sind Bandleader, Sänger, Dichter, Schauspieler, Zeichner, Regisseur und und … In welchem Medium drücken Sie sich am liebsten aus?
Am wohlsten fühle ich mich auf der Bühne, sei es als Schauspieler, als Musiker, Ansager oder Moderator.
In Ihrem Buch sind auch sehr viele Zeichnungen enthalten. Gehören Zeichnen und Schreiben zusammen?
Texte und Zeichnungen sind unabhängig voneinander entstanden. Gemeinsam mit meiner Mutter habe ich aus meinen Zeichnungen die ausgesucht, die uns passend erschienen.
Wenn Sie Ihre „wörterkiste“ aufräumen, bleiben drei Worte zurück: „traurigkeit wut und freude“. Sind das die Gefühle, um die sich Ihr Schreiben dreht?
Das würde ich gerade nicht sagen. Ich schreibe über die Natur, über Stimmungen, Liebe und Freundschaft und zu besonderen Anlässen und über Verschiedenes, was mich bewegt.
„wörter helfen mir/ meine kopfvorstellungen zu bändigen“schreiben Sie. Wie bändigen Wörter den Kopf?
Mein Kopf ist immer voller Gedanken, am besten bringe ich sie zum Schweigen, wenn ich Stichworte schreibe, das ist meine liebste Freizeitbeschäftigung
„corona ist sooo blöd und macht mir angst warum so ein schöner name“ schreiben Sie in einem „anticoronagedicht“. Leiden Sie sehr darunter, Ihre Freunde nicht sehen zu dürfen?
Der erste Lockdown war für mich sehr schlimm. Ich durfte wochenlang nicht zur Arbeit, konnte die Kolleginnen und Kollegen nicht sehen, habe die Bekanntschaften von Zug und Bus vermisst und auch den Morgenkaffee in der Bar. Ich bin nicht aus dem Haus gegangen und kaum aus meinem Zimmer. Ich hatte auch keine Lust zu schreiben. Gott sei Dank ist der strenge Lockdown vorbei.
Für Ihre Gedichte wurden Sie bereits mit dem Literaturpreis Ohrenschmaus ausgezeichnet. Was bedeutet Erfolg für Sie und spornt er Sie an, weiterzuschreiben?
Erfolg ist für mich sehr wichtig, die Preise haben mich motiviert weiter zu schreiben, so ist mein Buch entstanden. Als feststand, dass es gedruckt wird, habe ich sofort begonnen an einem weiteren Buch zu arbeiten. Es soll ein Buch mit kurzen Geschichten aus meinem Leben werden und zeigen, dass ein Leben mit Down Syndrom lebenswert ist.
Sie könnten eine Karriere als Schriftsteller starten wie Georg Paulmichl aus Prad. Er ist leider verstorben, aber vielleicht kennen Sie seine Texte.
Ich kenne einige seiner Texte. Sie sind toll. Wenn ich eine Karriere als Schriftsteller starten wollte, könnte ich nicht weiter in die Kunstwerkstatt gehen. Ich bräuchte dann mehr Zeit. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich immer genug Ideen zum Schreiben hätte, obwohl ich viele Wörter im Kopf, in den Gehirnwindungen gespeichert habe. Ich bin einfach zu gern mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Kunstwerkstatt und die Tätigkeiten dort machen meist viel Freude.
Lesen sie außer Zeitungen auch Bücher und welche?
Ich habe wenig Zeit, Bücher zu lesen, das Zeitunglesen nimmt viel Zeit ein, ich bin aber sehr interessiert an heimatkundlichen Themen und recherchiere in Nachschlagwerken, Tirolensien und bei Google. Im Urlaub lese ich Krimis.
Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?
Mein größter Wunsch, ein eigenes Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, ist bereits in Erfüllung gegangen. Am zweiten Buch arbeite ich, und hoffentlich wird es gut und interessiert viele Menschen. Ich möchte gesund bleiben und viele Jahre in der Kunstwerkstatt arbeiten.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Julian Peter Messner: geboren 1986 in Bruneck. Arbeit im Integrierten Kunstatelier bei Grain in Bruneck und in der Kunstwerkstatt „Akzent“ der Lebenshilfe Onlus Südtirol. Erhielt 2012 den Sonderpreis und 2013 den Hauptpreis beim Literaturwettbewerb „Ohrenschmaus“ in Wien.
2020 stand er mit dem Text „ausnahmsweise ohne titel“ auf der Ehrenliste des Literaturpreises „Ohrenschmaus“ und sein Text „mut“ war unter den Gewinnern des „Schoko-Preises“ (Gewinnertexte werden auf die Banderole von Zotter-Schokolade gedruckt).
Buchvorstellungen: Das im Raetia Verlag erschiene Buch „ausnahmsweise ohne titel“ mit einem Nachwort von Elmar Locher wird am Mittwoch, 19. Jänner 19 Uhr in der Stadtbibliothek Bruneck vorgestellt. Am 28. Jänner wird das Buch bei Literatur Lana präsentiert.
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Kommentare (2)
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andreas1234567
Hallo nach Südtirol,
muss ich mal wieder etwas Werbung für das Südtiroler Bergleben machen, dort wird jeder nach dem was er kann eingeordnet und Pflichten und Arbeiten auferlegt.
Im Gegenzug gibt es Respekt und Teilhabe am Leben.
Meist werkeln diese Menschen versteckt insbesondere in Betrieben mit „Touristenkontakt“ , extreme Stammgäste die auch noch auf Berghof und Hütte hocken wenn die letzte Seilbahn längst unten ist werden mir zustimmen, erst wenn der letzte Standardtourist gegangen ist bekommt man diese unsichtbaren Hilfsgeister zu Gesicht.
Es sind wirklich Hilfsgeister, wenn jeder Willen und Bereitschaft hätte sich mit allem was er kann und weiss zu 100 % einzubringen wäre die Menschheit eine Bessere.
Gruss nach Südtirol