„Sehr gute Aussagekraft“
Der Freienfelder Biochemiker Markus Ralser hat gemeinsam mit einem Forschungsteam eine Methode entwickelt, mit der schwere Covid-Fälle vorhergesagt werden können. Wie das funktioniert.
Tageszeitung: Herr Professor Ralser, Sie haben mit einem Forschungsteam eine Methode entwickelt, die schwere Covid-Verläufe früh erkennen kann. Das hört sich bahnbrechend an. Ist es das auch?
Markus Ralser: Wir sind an dem Thema seit Beginn der Pandemie dran. In meinem frühen Labor in London und Cambridge haben wir eine Plattform-Technologie entwickelt. In Berlin haben wir diese gerade mit Beginn der Pandemie aufgestellt. Die erste Frage war, ob man den COVID19 Verlauf mit dieser Technologie besser verstehen kann. Wir haben dann damit begonnen, die ersten Covid-19-Patienten an der Charité mit der Plattform zu vermessen. Man hat dann schnell gesehen, dass man aufgrund der Messungen genau sagen kann, wie krank ein Individuum ist. Es wird derzeit ein Test entwickelt, der dies anzeigen kann. Das ist natürlich hilfreich, da man möglichst früh die richtige Therapie ermitteln kann. Allerdings wollten wir wissen, ob man auch eine Prädiktion machen könnte, wie es dem Getesteten zwei bis drei Wochen später geht. Beim ersten Versuch vor über einem Jahr haben wir geschaut, ob man das bei allen Krankheitsgruppen machen kann. Das hat sehr gut funktioniert, war aber auch ein einfacherer Ansatz, weil ein Patient, der schwer krank ist, eine größere Wahrscheinlichkeit hat, einen schlechtere Therapieaussicht zu haben, als ein Patient, der jünger und gesünder ist. Wo es aber zu diesem Zeitpunkt keine verlässliche Möglichkeit der Vorhersage gab, waren die Gruppen der schwer Erkrankten, sprich die Intensivpatienten, die künstlich beatmet werden und Unterstützungen für mögliche Organausfälle benötigen. Bei diesen schwer kranken Patienten in der Charité gab es leider Gottes eine hohe Sterblichkeitsrate von rund 35 Prozent. Über die Frage, ob man auch zu diesen Gruppen eine Vorhersage treffen kann, erschien am Dienstag eine Studie im Fachblatt „PLOS Digital Health“. Mit unseren Tests kann man nämlich zu Beginn des Krankheitsverlaufes relativ genau die Unterscheidung treffen, wer zum Schluss einen positiven Outcome haben wird und die Therapie übersteht.
Wie sicher ist die Methode?
Das hängt davon ab, auf welche Gruppen man das bezieht. Wenn man innerhalb der homogenen Gruppe bleibt i.e. Schwerkranke Patienten, kommen wir wie erwartet, nicht auf so hohe Werte, wie über alle Krankheitsgruppen. Der Test ist aber deutlich genauer als andere Vorhersagemodelle, die man früher benutzt hat oder in er klinischen Praxis einsetzt. Es ist also ein großer Sprung nach vorne was die Vorhersagekraft betrifft.
Ist der Einsatz dieser Test in einem Krankenhaus denkbar?
Dazu gibt es zwei Szenarien. Angewendet wird der Test, der im Forschungsstadium ist, bereits in klinischen Studien. Wenn man beispielsweise einen neuen Therapieansatz hat, die Dosierung eines Medikamentes oder ähnliches austesten will, braucht man Indikatoren, ob die Therapie funktioniert. Das ist die Hauptanwendung für solche Tests. Man macht damit also keine klinischen Entscheidungen, kann aber einschätzen, ob ein Therapieansatz vielversprechend ist oder nicht. Die zweite Anwendung, die wir bislang zum Glück noch nicht erreicht haben, ist der klinische Einsatz. Das ist aber nur dann der Fall, wenn nicht mehr genügend Intensivbetten zur Verfügung stehen, sodass nicht mehr jeder Patient behandelt werden kann. Über diagnostische Verfahren versucht man dem Arzt, der die schwierige Entscheidung treffen muss, möglichst viele Informationen zu geben. Dafür sind solche Tests sehr hilfreich, in der aktuellen Omikron-Welle war es bisher glücklicherweise zumindest in den meisten Fällen nicht notwendig.
Die Tests könnten also bereits in Krankenhäusern eingesetzt werden?
Die Methode gibt eine sehr starke Aussagekraft. Sie ist an Patienten der Charité und der Intensivstation in Innsbruck getestet worden und hat in beiden Fallen genau funktioniert. Wir haben es bisher nicht weiter validiert. Das ist jetzt der nächste Schritt, es handelt sich nämlich um einen Test im Versuchsstadium. Man kann ihn noch nicht kommerziell erwerben. Für den Schweregradtest sind wir dagegen weiter. Wir haben eine Kooperation mit drei Unternehmen, die die Tests in ihren Laboren etabliert haben. Diese Tests kann man also bereits kommerziell erwerben. Man sollte aber im jetzigen Stadium nur aufgrund des Tests eine endgültige Entscheidung treffen. Das sollte man prinzipiell nicht machen, die Tests geben aber Zusatzinformationen, die für einen behandelnden Mediziner wertvoll sind.
Wie geht es nun mit diesen Tests weiter?
Im Moment ist das Testverfahren mit einer Instrumentation, die teuer und aufwendig ist. Man kann aber, sobald man die Marker-Proteine, die entscheidend für den Krankheitsverlauf sind, kennt, das auf einfacher Testverfahren übertragen. Das ist nun der nächste Schritt. Wir wollen den Test also vereinfachen und dann Studien dranhängen, die auf einer breiteren Basis validieren, wie hilfreich die Tests sind. Es nutzt schließlich nichts, wenn der Test zwar sehr zuverlässig ist, aber keinen Einfluss auf die medizinische Entscheidung hat. Eine Studie führen wir beispielsweise bei neu aufgenommenen Patienten durch. Dabei vergleichen wir, welchen Einfluss die Tests haben.
Es ist also denkbar, dass die Tests früher oder später breit zum Einsatz kommen?
Es ist zumindest unser Arbeitsziel, das zu ermöglichen. Dadurch könnten klinische Studien verbessert werden. Langfristig möchten wir Patienten mit bestimmten therapeutischen Bedürfnissen möglichst schnell auf das entsprechende Niveau zu heben. Der Schweregradtest könnte also weniger spektakulär, dafür aber umso wichtiger sein, damit man sofort erkennen kann, wie schwer der Patient erkrankt. Die zweite Hoffnung ist, dass – sobald sich die Pandemie in eine Endemie verwandelt – man die Methode auch bei anderen Krankheiten anwenden kann. Bei vielen Krankheiten ist eine Vorhersage des Schweregrades nämlich noch nicht möglich.
Apropos Endemie: Stehen wir derzeit tatsächlich am Anfang dieser Phase?
Es gibt zwei Antworten dazu. Die eine ist, dass sich Omikron wahnsinnig schnell ausbreitet und eine große Schicht infizieren wird. Bei Geimpften gibt es sehr selten schwere Verläufe, dennoch stellt es ein Problem dar. Ich habe beispielsweise ein Drittel meiner Mitarbeiter im Moment zu Hause, weil sie entweder selbst oder ihre Familien positiv sind. Die zweite Antwort, die leider auch stimmt, ist, dass sich Omikron stark von den Vorgängervarianten unterscheidet. Gerade vor kurzem hat man herausgefunden, dass man trotz einer überstandenen Omikron-Infektion nicht unbedingt gegen vorhergehenden Varianten geschützt ist. Eine überstandene Omikron-Infektion ist zwar ein teilweiser Schutz gegen beispielsweise die Delta-Variante, allerdings kein vollkommener Schutz. Man muss also fleißig weiterimpfen, um die Impflücken zu schließen. Wenn wir bis zum Herbst eine hohe Zahl von Omikron-Infektionen hinter uns haben, und eine hohe Impfquote erreichen , kommen wir gegen Ende des Sommers vielleicht in eine endemische Situation. Sowohl in Südtirol als auch in Deutschland muss dazu aber die Impfquote hoch. An der Impfung führt kein Weg vorbei.
Interview: Markus Rufin
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