„Inflation bleibt nicht hoch“
Alex Weissensteiner, Wirtschaftsprofessor an der Uni Bozen, über die Entwicklung der Inflation, den Schutz vor der Geldentwertung – und über Bitcoin.
Tageszeitung: Herr Weissensteiner, die Inflation ist in Südtirol auf vier Prozent geklettert. Werden wir uns darauf einstellen müssen, dass die Inflation mittel- und langfristig eher hoch bleiben wird?
Alex Weissensteiner: Das ist die Gretchenfrage. Die hohe Inflation wird speziell durch die stark angestiegenen Energiepreise getrieben. Zudem gibt es auf der Angebotsseite Lieferengpässe, weil es immer wieder zu Unterbrechungen in den Produktionsprozessen gekommen ist. China schränkt etwa ganze Städte stark ein, sodass Produktion und Lieferung stocken. Gleichzeitig würde die hohe Liquidität Nachfrage generieren. Weiters sehen wir weltweit unterschiedliche Entwicklungen. Die USA hat nahezu Vollbeschäftigung und die Löhne steigen dort bereits an, damit die Kaufkraft gleich bleibt. Doch die Lohn-Preis-Spirale ist gefährlich, weil sie zu einer noch höheren Inflation führen kann. In Europa beobachten wir das noch nicht – es gibt noch kein Vorkrisen-Niveau etwa bei der Arbeitslosigkeit. Deshalb muss die EZB mit eventuellen Zinserhöhungen vorsichtig sein, sonst drohen negative Effekte: Kredite werden teurer, Investitionen werden weniger, Wachstum wird gebremst und die Schuldenlast für Staaten wird höher. Der aktuelle Kurs der EZB, von schnellen Zinserhöhungen abzusehen, ist der richtige. Natürlich sind die Preise kurzzeitig angestiegen, aber die Aussicht für zukünftige Inflation ist nicht extrem hoch, was man an den Anleihenpreisen sieht. In der Debatte muss zudem auch die sogenannte Kerninflation berücksichtigt werden.
Das heißt?
Die Kerninflation ist eine Messgröße, bei der Lebensmittel und Energie absichtlich nicht berücksichtigt werden, weil diese Bereiche starken Schwankungen unterworfen sind. Es macht Sinn, auch auf diese Kerninflation zu schauen. Die steigenden Energiepreise etwa haben auch mit anderen Faktoren zu tun, Stichwort Energiewende. Auch muss man berücksichtigen, dass im Zuge der Pandemie der Konsum abgenommen hat. Dieses niedrige Niveau mit einberechnet, sind die Preisanstiege nicht ganz so stark.
Also sollte die EZB erst einmal keine größeren Maßnahmen ergreifen, weil sich das Problem Inflation mittelfristig von alleine lösen wird?
Genau. Die EZB hat schon erste Schritte gesetzt, indem das Notprogramm langsam zurückgefahren wird. Bei Ausbruch der Pandemie kaufte sie verstärkt Anleihen, um mehr Liquidität in den Markt zu pumpen. Ansonsten ist die EZB zögerlich und will erst einmal abwarten, welche Auswirkungen die Omikron-Variante auf die Wirtschaft hat. Sie will nicht den Fehler von 2008 wiederholen, als die Zinsen schnell erhöht wurden und dann wieder gesenkt werden mussten. Was man auch sagen muss: Im Jahr 2020 war die Inflationskurve relativ flach und springt jetzt nach oben. Betrachtet man die Entwicklung des Preisniveaus in den letzten 20 Jahren und klammert dabei 2020 aus, so ist die Situation noch nicht so besorgniserregend, als dass die EZB sofort stark einschreiten müsste.
War die massive Geldmengen-Ausweitung der EZB in den letzten zehn Jahren mit Niedrigzinsen und Anleihenkäufen ein Fehler – im Hinblick auf Geldentwertung und eine immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich?
Die Maßnahmen waren richtig. Man sieht ja, wie schnell sich die Wirtschaft erholt – viel schneller als 2008, also man zögerlich reagierte. Alle Länder haben jetzt massiv interveniert und konnten den extremen Schock viel schneller abfangen und das Schlimmste abwenden. Der massive Eingriff war notwendig. Es kommt natürlich auch die Zeit, in der man die Maßnahmen wieder schrittweise zurücknehmen kann. Steigende Inflation und steigende Zinsen muss man als positives Signal für die Wirtschaft sehen – und wir hätten einen Polster für die Zukunft, falls wir wieder einmal Impulse für die Wirtschaft brauchen. Ziel ist ein normales Marktumfeld mit Inflation und Zinsen von zwei bis drei Prozent. Die EZB wartet jetzt aber zurecht noch ab, um das Wachstum nicht wieder sofort zu zerstören.
Rund um das Thema Inflation fällt immer öfter der Name Bitcoin. Viele sehen in Bitcoin eine Lösung für die Probleme unseres Geldsystems. Die Anzahl der Bitcoins ist nämlich auf 21 Millionen begrenzt, während die Zentralbanken die Mengen an Euros und Dollar ständig ausweiten, das Geld so entwerten und damit offensichtlich die Schere zwischen Arm und Reich immer größer machen. Wie sehen Sie das Thema Bitcoin?
Zur Einkommensschere erklären Forschungseinrichtungen, dass gerade die Superreichen in der Krise stark zugelegt haben, die in den Bereichen Klimawandel, Informatik und Technologie aktiv sind und davon profitieren, dass diese Bereiche stärker als andere gewachsen sind. Generell hat die Krise zudem stärker die arbeitende Bevölkerung mit handwerklichen Tätigkeiten oder Kundenkontakt getroffen. Dieser Teil konnte nicht auf Homeoffice umsteigen. Das hat sicherlich dazu geführt, dass die Ungleichheit größer wurde. Zu Bitcoin: In den letzten Jahren hat er stark an Wert gewonnen, aber auch große Kurssprünge nach unten sind keine Seltenheit. Für den Otto-Normalverbraucher sehe ich Bitcoin nicht als Investitionsmittel. Es ist zwar ein Zahlungsmittel, um Geld schnell von A nach B zu schicken, aber würde es den elektronischen Euro geben – es gibt eine entsprechende Initiative der EZB –, gäbe es keine große Präferenz für Bitcoin. Denn Bitcoin ist etwas Abstraktes im Netz, wo keine Zentralbank dahintersteht. Eine Aussage von Elon Musk über Bitcoin etwa kann den Kurs extrem verändern – und der arme Sparer sieht sein Vermögen stark schwankend und möglicherweise auch reduziert. Die Bitcoin-Euphorie ist zu einem bestimmten Grad auch ein Spieltrieb: eine risikoreiche Investition, die für Otto-Normalverbraucher zumindest nicht mit größeren Beträgen anzuraten ist. Auch ist im Umfeld von Bitcoin doch eine bestimmte Schattenwirtschaft im kriminellen Bereich zu beobachten, die von solchen Instrumenten profitiert. Bitcoin sollte – wenn schon – einen minimal kleinen Anteil im eigenen Portfolio einnehmen.
Sehen Sie grundsätzlich auch keine Vorteile einer begrenzten Geldmenge, wie es bei Bitcoin der Fall ist, im Gegensatz zu normalen Währungen wie Euro oder Dollar? Die Menge des von Ihnen angesprochenen digitalen Euro kann ja auch beliebig von der Zentralbank ausgeweitet werden.
Außer dass man mit Bitcoin künstlich ein knappes Gut geschaffen hat, sehe ich eher Nachteile. Bitcoin wäre so dezentral, dass die Zentralbanken nicht mehr geldpolitisch aktiv werden könnten. Man darf auch nicht vergessen, dass Bitcoins nicht produktiven Aktivitäten zugeführt werden. Wenn man Geld in Finanzinstitute legt, werden damit lokale Wirtschaftskreisläufe belebt. Die Technologie hinter Bitcoin hat neben Nachteilen wie dem enormen Energieverbrauch natürlich auch Vorteile, ist hochspannend und kann in vielen Bereichen eingesetzt werden. Es ist toll, dass man bestimmte Transaktionen oder Dokumente versiegeln und unveränderbar machen kann. Mit Bitcoin als Zahlungsmittel kann man Geld in kurzer Zeit garantiert von A nach B schicken, aber man kann in Zukunft auch den digitalen Euro nutzen. Wenn die Zentralbanken digitale Währungen anbieten, werden die meisten Menschen lieber dieses zertifizierte Produkt verwenden als eine Kryptowährung, die irgendwo im Netz herumschwirrt.
Wobei digitale Zentralbank-Währungen eben inflationäre Produkte sind, was bei Bitcoin mit seiner begrenzten Menge nicht der Fall ist…
Das stimmt, Bitcoin ist ein knappes Gut, aber dann könnte man genauso gut Gold kaufen.
Bitcoin wird ja auch als digitales Gold bezeichnet…
Ja, aber es bleibt der Unterschied, dass bei Zentralbank-Währungen Institutionen dahinterstehen, die ein bestimmtes Versprechen abgeben. Wenn man bei Bitcoin den Wallet-Zugang verliert oder ein Hackerangriff erfolgt, gibt es niemanden, an den man sich wenden könnte. Für clevere Personen, die das Risiko verstehen und im kleinen Stil in Bitcoin investieren, ist das annehmbar. Nur sollte man Kleinsparer vor den Gefahren warnen. Es ist schade, wenn Menschen auf der Strecke bleiben, die ohnehin schon sehr schwer Geld sparen, weil sie das meiste für den Lebensunterhalt brauchen. Ich bin da eher konservativ.
Viele Menschen überlegen sich nun, wie man sich vor der Inflation schützen kann. Sehen Sie die Lösung in der Suche nach geeigneten Sparmöglichkeiten bei den täglichen Ausgaben und bei sinnvollen Geldanlagen, die zur persönlichen Lage passen?
Grundsätzlich braucht es einmal die Fähigkeit, Geld auf die Seite zu legen. Wenn ich keine Ersparnisse habe, kann ich der Inflation auch nicht ausweichen. Zum einen denke ich, dass die Inflation nicht über Jahre hinweg hoch bleiben wird. Zum anderen war es aber auch schon vor Corona so, dass eine reine Geldanlage im Sparbuch keine Erträge abwirft. Die Inflation ist seit langem höher als die Zinsen, sodass man real immer Geld verloren hat. Wer einen langen Anlagehorizont hat, kann einen Teil seines Ersparten in Produkte investieren, die kurzfristig mit einem höheren Risiko verbunden sind, aber langfristig einen höheren Ertrag abwerfen – etwa Aktien. Dann allerdings möglichst breit gestreut über viele Länder und Branchen, sodass man sich keine Einzelrisiken einkauft. Dabei sollte sich jeder an einen Finanzberater wenden, der die individuelle Situation beurteilt und verhindern kann, dass man in Fallen tappt.
Interview: Heinrich Schwarz
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