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Der Teufelskreis

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Die 2G-Pflicht wird für immer mehr Minderjährige zum Problem, weil sie aus vielen Bereichen ausgeschlossen werden – und nicht selbst entscheiden können, ob sie sich impfen lassen.

Tageszeitung: Frau Höller, die Corona-Regeln wurden erneut verschärft und 2G gilt jetzt in immer mehr Bereichen. Was bedeuten diese Regeln für Kinder und Jugendliche?

Daniela Höller (Kinder- und Jugendanwältin): Erst Anfang der Woche wurde eine Studie der Claudiana veröffentlicht, welche zeigt, dass Kinder und Jugendliche psychisch stark belastet sind, dazu haben auch die Schulschließungen beigetragen – deswegen begrüße ich, dass der Präsenzunterricht auf Landes- und auch auf Staatsebene Priorität hat. Für Kinder und Jugendliche ist aber nicht nur die Schule wichtig, sondern auch viele andere Bereiche, wie z.B. Jugendzentren und -treffs und Sport. Und dort gilt jetzt eine 2G-Pflicht, in den Schulen gibt es neue Quarantäne-Regeln und viele Bereiche sind deswegen nicht mehr breit zugänglich. Aber eine Impfung bleibt bis zur Volljährigkeit die Entscheidung der Eltern und das ist aktuell ein großes Problem.

Weil Kinder und Jugendliche von Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen werden, obwohl sie sich vielleicht impfen lassen möchten?

Genau. Zuletzt sind bei uns gehäuft Fälle von Minderjährigen im Alter von 15 bis 17 Jahren eingegangen, die sich impfen lassen möchten, ihr Vater oder ihre Mutter aber dagegen sind – ganz oft sind es Trennungs- oder Scheidungssituationen.

Sind diese schwierigen Situationen zuletzt immer häufiger geworden? 

Wir sehen hier eindeutig eine starke Zunahme. Wenn sich die Eltern uneins sind, melden sich sehr oft die Minderjährigen selbst oder auch ein Elternteil um nachzufragen, wie die rechtliche Situation aussieht. Zuletzt waren es aber meist die Jugendlichen selbst, die nachgefragt haben, was sie tun können. In den letzten Wochen haben wir sicher schon zehn bis 15 Fälle in diesem Zusammenhang innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums bearbeitet – und es werden mehr.

Warum wollen sich die Kinder und Jugendlichen impfen lassen?

Viele Jugendliche zeigen ein sehr großes Verantwortungsbewusstsein und sagen, dass wir ohne Impfung aus dieser Situation nicht mehr herauskommen. Andere möchten nicht ausgeschlossen werden. Die Beweggründe sind sicher verschiedene, aber grundsätzlich gibt es infolge der Pandemie auch tiefe familiäre Konflikte.

Die 2G-Pflicht wird für immer mehr Minderjährige zum Problem, weil sie aus vielen Bereichen ausgeschlossen werden – und nicht selbst entscheiden können, ob sie sich impfen lassen.

Und gerade bei Trennungs- und Scheidungssituationen, wo grundsätzlich schon vieles zum Streitthema wird, geht es auch hier oft weniger um die Sache an sich sondern um eine Machtfrage. Es stimmt, dass Eltern bis 18 Jahren für ihre Kinder entscheiden, aber sie müssen im Interesse der Kinder handeln – und ganz oft wird dieser Beisatz übersehen. Die Jugendlichen selbst müssen auch gefragt werden, und vor allem aus ethischer Sicht muss der Wille der sogenannten älteren Jugendlichen stärker berücksichtigt werden.

Es heißt auch, dass einige Kinder mittlerweile nicht mehr in die Schule gehen, weil es den Eltern zu aufwändig oder zu teuer ist, die Kinder für den Schulbus testen zu lassen. Haben Sie auch schon von solchen Fällen gehört?

Solche Fälle sind mir auch bekannt, aber diese Fälle kommen normal erst zu uns, wenn ein anderes Elternteil oder Verwandte diese Situation wahrnehmen und bei uns melden.

Ist den Eltern bewusst, was sie ihren Kindern zumuten? 

Hier haben wir wirklich ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Es gab Vermittlungsgespräche, wo wir schlussendlich ein Einlenken erreichen konnten, aber es gab auch Fälle, wo es zu keiner Mediation gekommen ist, weil das die Eltern nicht wollten. Wir versuchen immer im Interesse des Minderjährigen das Gespräch mit den Eltern zu suchen, aber es ist oft schwierig – vor allem wenn Paarkonflikte zwischen den Eltern auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden.

Daniela Höller

Und für die Kinder ist das einfach nur eine sehr ungute Situation…

Ja genau, weil sie nicht selbst diese Entscheidung, die ihren Alltag maßgeblich bestimmt, treffen können, zudem haben sie auch bislang schon sehr stark unter dieser Situation gelitten. Wir müssen die psychosoziale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen stärker in den Mittelpunkt rücken.

Aber was können Kinder und Jugendliche tun, wenn sie sich impfen lassen möchten? 

Grundsätzlich müssen Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren bei allen Entscheidungen, die sie betreffen, angehört werden. So steht es im Zivilgesetzbuch und dasselbe Prinzip ist auch in der UN-Kinderrechtskonvention verankert. Die Entscheidung wird unter Berücksichtigung dessen aber letztendlich von den Eltern getroffen. Bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern über Fragen von besonderer Bedeutung kann jeder Elternteil den Gerichtsweg wählen, wodurch das Gericht eine Entscheidung im Sinne des Kindes trifft.

Und wenn beide Eltern dagegen sind, die Kinder sich aber impfen lassen möchten? 

Das ist ein großes Problem. Wenn der Leidensdruck so groß wird und das Kindeswohl dadurch sogar gefährdet ist, dann kann ein eine öffentliche Einrichtung, die in Kenntnis dieser Situation ist, wie z.B. die Schule oder der Sozialdienst, eine Meldung an die Gerichtsbehörden machen. Dies kann unter Umständen auch beim Thema Impfung passieren.

Auf ungeimpfte Kinder und Jugendliche kommt eine schwere Zeit zu…

Es wird derzeit auf eine Personengruppe, die schon seit Beginn der Pandemie sehr stark unter den Auswirkungen leidet, sehr viel Druck ausgeübt. Kinder und Jugendliche sind zwar direkt Betroffene, können die Entscheidungen aber nicht selbst treffen – das ist wie ein Teufelskreis. Aber es muss einfach klar sein, dass jede Handlung im Interesse des Kindes sein muss – und das wird leider oft übersehen.

Interview: Lisi Lang

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