„Teixl, dös isch a prächtige Wand“
Die Tourenbücher der Südtiroler Bergsteigerbrüder Hruschka geben einen Einblick in das Bergsteigen vor rund 100 Jahren. Ein Beitrag des Herausgebers Martin Harpf.
Bergsteigen vor rund 100 Jahren: mit dem Fahrrad zum Ausgangspunkt, in Baumwollhemd und Knickerbocker auf den Gipfel, mit Hanfseilen an steilen Felswänden empor, sich selbst überlassen bei Unfällen. Wer in die vergangene Welt des Bergsports in Südtirol eintauchen möchte, dürfte seine Freude am neu erschienenen Buch „Teixl, dös isch a prächtige Wand“ haben, ist es doch reich gespickt mit historischen Fotos und Berichten von Bergerlebnissen aus privaten Archiven.
Die Brüder Josef (Pepi) und Max Hruschka gewähren darin mit ihren persönlichen und umfangreichen Bergtagebüchern aus den Jahren 1910–1957 einen spannenden Einblick in das Bergsteigen von damals.
Einige der schönsten und interessantesten Tourenbeschreibungen nehmen die Leserinnen und Leser mit auf eine historische Abenteuerreise in die beeindruckende Bergwelt der Dolomiten und lassen vergangene Bergabenteuer mit- und einmalige Klettertouren nacherleben, nicht zuletzt durch Reproduktionen einiger Lichtbilder aus den Bergtagebüchern. Eine Auswahl von Glasplattenfotografien des Brixner Alpinfotografen Joseph March (1879–1948) und des Brunecker Fotopioniers Hermann Mahl (1860–1944), darunter auch einige frühe Farb-Autochrome, runden die Erzählungen ab.
Neben den Bergerlebnissen skizziert der Band auch kurz die außergewöhnliche Geschichte der ursprünglich aus Mähren stammenden Familie Hruschka, die im 19. und 20. Jahrhundert einiges über bekannte Persönlichkeiten wie etwa Artur Hruschka, dem Zahnarzt der Zaren, Artur (Aga) und Kurt Hruska, den Zahnärzten der Päpste, oder Emilie Hruschka, der ersten Zahnärztin in der k. u. k., erzählen kann.
Etwas ausführlicher beschäftigt sich der biografische Teil mit den Autoren und zugleich Protagonisten der Bergtagebücher Pepi, Max und Karl Hruschka. Er führt auch auf einen historischen Ausflug in eine Zeit, die von Krieg und politischen Wirren geprägt war und in der es in Südtirol keinen Schulunterricht in deutscher Sprache gab und der Alpenverein nicht bestand.
Zahnarzt Josef Hruschka (1897–1953)
Die spannende Bergsteigergeschichte der Familie Hruschka beginnt mit dem ältesten Bruder Josef (Pepi), dem das Bergsteigen sozusagen in die Wiege gelegt wurde und der schon als elfjähriger Bub seine ersten Klettertouren unternahm.
Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gründete er im Juni 1919 gemeinsam mit seinen Bergfreunden Willi Erschbaumer, Franz Neuner und Ludwig Ratschiller den Brixner Alpenklub. Noch im selben Jahr gelang den vier Gründungsmitgliedern die damals spektakuläre Erstbesteigung der Nordwand des Peitlerkofels. In die 1920er Jahr fallen weitere Erstbegehungen, wie etwa die Rodelheilspitze über den „Hruschka-Kamin“ und der „Schiefe Tod“ an der Murfreitspitze.
Beruflich wählte Pepi den Berufszweig seiner Vorfahren und eröffnete nach seinem Medizinstudium in Innsbruck und einer Facharztausbildung in Berlin im Jahr 1925 in Bozen eine eigene Zahnarztpraxis.
Auch nach seiner aktiven Bergsteigerzeit blieb Pepi Hruschka seiner Leidenschaft treu und bemühte sich im Jahr 1947 mit anderen Brunecker Bergsteigern um die Wiedergründung der Sektion Bruneck des Alpenvereins, der er im ersten Jahr auch vorstand. Im Zuge der faschistischen Assimilierungspolitik wurden im September 1923 alle deutschsprachigen, alpinen Vereine in Südtirol aufgelöst.
Pepis Bergtagebücher geben einen detaillierten Einblick in seine Berg- und Klettererlebnisse, jeder Schritt und jede Emotion, die er in bestimmten Situationen empfunden hat, ist für die Leserinnen und Leser nachvollziehbar. So auch in der Beschreibung der erstmaligen Überwindung der Schlüsselstelle in der Nordwand des Peitlerkofels:
[…] Es sind zwar nur 2–3 m, aber an der Wand fehlte schon gar alles. Zu allen Lagen suchte ich mich hinüberzuschwindeln; einmal war ich fast drüben am Rande des Daches, da verlor ich die Balance und taumelte zurück an den Haken. Aber Gelegenheit macht Diebe und Mauerhakenschlagen macht Modekletterer. Ahnungslos kam ich drauf, daß das durch den Karabiner laufende Seil einen vorzüglichen Griff abgab, der bis zu einem gewissen Grade verlängert werden konnte. Die Hand am Seil hebend, ließ ich den Oberkörper weit hinaus und tastete mich mit den Füßen an die haltlose, gelbe Wand stemmend hinüber. Nun begann trotz des Seilzuges die Balance kritisch zu werden, aber es fehlten kaum mehr 10 cm bis zum Rande des Überhanges; ich gab mir einen kleinen Schupf und hing mit der Linken an einem kleinen Henkel, bald hatte auch die Rechte Griff; ein freier Klimmzug mit letzter Kraft brachte mich hinauf. Der Schlüssel war genommen, wir jubelten […].
Lehrer Max Hruschka (1905–1976)
Die Tourenbücher von Bruder Max sind ähnlich aufgebaut, gewähren aber durch viele sehr persönliche Anmerkungen einen noch tieferen Einblick in die Gefühlswelt des Verfassers. Zudem spiegeln sie auch, wie schon erwähnt, persönliche Erfahrungen aus einer Epoche wider, in der es in Südtirol keinen Schulunterricht in deutscher Sprache gab und die Option das friedliche Zusammenleben der Südtiroler Bevölkerung stark beeinträchtigte.
Ein Tagebucheintrag aus dem Jahr 1940 verdeutlicht eindrucksvoll, wie sehr Max diese durch die Option herbeigeführte Spaltung der Gesellschaft belastete:
[…] schwer lastete auf verhetzten, geängstigten, überreizten Gemütern der Landsleute die Ungewißheit über das zukünftige Schicksal. Am meisten wohl mußte ich eine gewisse Entartung der Menschen bedauern, die nun ihren Individualismus betrogen, auch nur noch einer Schafherde zu gleichen schienen, die alles fromm und bieder nachblöken, was ihnen irgendein lächerlich aus dem Boden herausgesprossener Konjunkturritter vormacht. Und welch furchtbaren Gegensatz bildet zur frischen, lebendigen Naturschönheit dieses Landes die unnatürliche Sucht unzähliger Menschen, den nächsten zu belauern, zu bespitzeln, ihm alle denkbaren Fallen zu legen, um vor den Zweigstellen der SS und Gestapo zu prangen als „ganzer Kerl“, als ob darin ein gutes nationales Werk bestünde […].
Beruflich ging Max einen anderen Weg als seine beiden Brüder Pepi und Karl und trat 1929, nach seinem Maturaabschluss an der Lehrerbildungsanstalt in Bozen, seine erste Lehrerstelle in St. Jakob im Ahrntal an. Wie nahezu alle deutschsprachigen Lehrpersonen in Südtirol, wurde auch er infolge der fortschreitenden Italianisierungspolitik bald aus dem Schuldienst entlassen. Unter Gefahr arbeitete er als Notschullehrer der Katakombenschulen in Bruneck und Aufhofen, an deren Aufbau er aktiv mitgewirkt hat.
Bekanntheit erlangte Max neben seinen bergsteigerischen Leistungen auch durch die Brunecker Alpenfamilie, die er 1926 gemeinsam mit Karl Lang ins Leben rief. Max ging es dabei nicht nur um den Klettersport, sondern auch darum, einen starken Gruppenzusammenhalt zu schaffen. Auch versuchte er, abseits aller politischen Einflüsse und in der Einsamkeit der Berge das Bewusstsein für die deutsche Kultur und Sprache zu stärken und sich so gegen die drohende Italianisierung der Jugend durch die faschistische Repression einzusetzen.
Einige Mitglieder der Brunecker Alpenfamilie traten in den 1930er Jahren dem völkischen Kampfring Südtirols (VKS) bei. Der VKS bemühte sich auch um Max, der in der Organisation als Leiter der Jugendgruppe eingesetzt werden sollte. Seine Ablehnung und die fehlende Aussicht auf eine geregelte Arbeitsstelle haben wohl letztlich dazu geführt, dass er noch vor der Option im Jänner 1939 nach Nordtirol auswanderte.
Die Hauptakteure in Max‘ Bergtagebüchern sind hauptsächlich seine Kletterschüler sowie sein Bruder Karl, genannt „Znum“ (1909–1979), der ihn auch aktiv beim Aufbau der Brunecker Alpenfamilie unterstützte.
Der „Vater der Alpen“, wie Max liebevoll von seinen Kletterschülern genannt wurde, war ein begnadeter Schreiber und so lesen sich seine Tourenberichte flüssig. Sie sind durch viele persönliche Anmerkungen unterhaltsam, teilweise aber auch ernst und gesellschaftskritisch.
Wie Max die Leserinnen und Leser an seinen Abenteuern teilhaben lässt, zeigt der folgende Ausschnitt aus dem Tourenbuch 1929 über eine Besteigung des Delagoturmes (Vajolettürme):
[…] Die eindrucksvollste, die verwegenste und die hartnäckigste der drei zu Kalk gewordenen Rosen König Laurins stand uns mit finsterem Ernst gegenüber und kehrte uns mit raublustiger Opfergier ihre längsten Dornen zu. Ins Bodenlose schweift der Blick zur Tiefe, wo schwarze Rachegeister lauern und zähnefletschend heraufzüngeln, gleichsam, als müssten sie ihren Günstling in seiner keuschen Heiligkeit bewahren. Er andererseits beugt sich mich höhnender Fratze, mit weit aufgespreiztem Raubtierrachen drohend über uns Erdengeschöpfe nieder, als wollte er sagen: „Nur herbei, ihr Würmer, die graue Purgametschhexe da drunten fordert ihren Tribut!“ Und johlende Sturmgesellen stimmen pfauchend dem Dämone bei, rabenschwarze Wetterwolken und ausgelassene Nebelkinder tanzen um ihn den wilden Reigen.
Znum aber tritt keck heran an des Delagoturmes drohende Gipfelstirne. […] Ein fester Händedruck gab unseren Gefühlen Ausdruck. Der letzte der drei Titanentürme ist gefallen. Neidisch raunt die graue Tiefe herauf und schickt durch ihre Windboten ihre grimmigen Flüche herauf […].
Die Tourenbücher der Bergsteigerbrüder Hruschka sind Zeugnisse ihrer alpinen Leistungen, aber auch ihrer Jugendarbeit in schwierigen Zeiten und ihres Einsatzes im Alpenverein. Ihre Veröffentlichung in dem neu erschienenen Band soll dazu beitragen, dass die Bergsteigerpioniere nicht in Vergessenheit geraten, vor allem aber dass wir anhand von authentischen Zeugnissen das Bergsteigen und das Leben in Südtirol in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besser kennenlernen.
Martin Harpf (Hrsg.): „Teixl, dös isch a prächtige Wand“. Die Tourenbücher der Südtiroler Bergsteigerbrüder Hruschka 1910 – 1957
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