Verwaiste Werkstätten
Ganz besonders hart trifft die Pandemie Menschen in Behindertenwerkstätten und Betreuungseinrichtungen. Weil das Personal fehlt, werden Dienste zurückgefahren oder ganz aufgelassen – wie im Trayah in Bruneck.
von Silke Hinterwaldner
Normalerweise müsste in den Werkstätten des Sozialzentrums Trayah in diesen Tagen hektisches Treiben herrschen. Denn ähnlich der Wichtelwerkstatt, in der die Weihnachtsgeschenke für Kinder produziert werden, basteln, schnitzen, malen und nähen die Menschen in der Behindertenwerkstatt allerhand Geschenke, die im Auftrag produziert oder im hauseigenen Ladile verkauft werden.
„In diesem Jahr“, sagt Doris Wild, „konnten wir keine Aufträge annehmen.“ Die Werkzeuge, Pinsel und Blätter bleiben unbenutzt, die geschützte Werkstatt ist verwaist. Dabei würden die Menschen nichts lieber tun als, wie jedes Jahr vor Weihnachten, besonders schöne Geschenke herzustellen. Stattdessen aber sitzen sie zu Hause und warten vergeblich darauf, endlich wieder ihrem geregelten Alltag nachgehen zu dürfen. Für die Betroffenen und deren Familien ist die Situation belastend, sie wissen nicht, wie es weitergeht, sie wissen nicht, wie und wo eine sinnvolle Beschäftigung und Betreuung organisiert werden kann.
Wenn von den Verlierern der Pandemie die Rede ist, dann muss man auch sagen, dass es diese Menschen besonders hart trifft. „Es wird immer schwieriger“, sagt Robert Alexander Steger, Präsident der Bezirksgemeinschaft Pustertal, „diese Dienste aufrecht zu erhalten. Das ist eine enorme Herausforderung für uns.“ Er geht davon aus, dass rund fünf Prozent der Mitarbeiter in den Strukturen Impfgegner sind, sie nehmen in Kauf von der Arbeit suspendiert zu werden. „Die Schwächsten in der Gesellschaft sind die Leidtragenden“, sagt er, „wir suchen zwar nach Ersatz für jene Mitarbeiter, die ausfallen, aber der ist sehr schwer zu finden.“ Manchmal kommt Verstärkung aus anderen Strukturen, die dort abgezogen wird, wo vielleicht keine essenziellen Dienste angeboten werden. Aber was ist wichtig und worauf kann man verzichten? Jene Menschen, die normalerweise in den Werkstätten arbeiten, halten ihre Tätigkeit für essenziell, für die Familien ist auch die fachkundige Betreuung dort eigentlich unverzichtbar. Aber die Sozialdienste im Pustertal mussten mittlerweile auch die Tagespflege einschränken. „Alles läuft im Notbetrieb“, sagt Steger und hofft immer noch, dass manche der fehlenden Mitarbeiter sich zu einer Impfung durchringen können.
Aber die Lage ist alles andere als rosig. Im Sozialzentrum Trayah in Bruneck sind in normalen Zeiten 115 Mitarbeiter beschäftigt. 31 davon sind allerdings derzeit nicht an ihrem Arbeitsplatz: Manche haben sich suspendieren lassen, weil sie sich gegen eine Corona-Impfung wehren, andere haben Elternzeit beantragt oder gleich gekündigt. Sie wollen auf diese Weise die Impfpflicht umschiffen. Einige andere sind derzeit in Quarantäne. Für 28 Menschen, die in der Behindertenwerkstatt des Trayah beschäftigt sind, bedeutet dies, dass sie seit Ende November zu Hause bleiben müssen – sie können nicht betreut werden, haben keinen strukturierten Alltag, keine Aufgabe. Für die Angehörigen bedeutet dies, dass sie sich kümmern müssen, das ist allerdings in vielen Situationen schwer. „Für die Familien ist das heftig“, sagt Doris Wild, Strukturleiterin im Sozialzentrum Trayah, „den Menschen geht es schlecht. Ich bekomme täglich Anrufe von den Angehörigen, die mir sagen, dass sie es zu Hause nicht mehr schaffen.“
Diese Situation wird sich so schnell nicht bessern. Derzeit werden im Sozialzentrum nur noch jene Menschen betreut, die in den Wohneinrichtungen zu Hause sind. Doris Wild hofft inständig, dass auch die sozialpädagogische Tagesstätte offenbleiben kann, wo Menschen mit Mehrfachbehinderungen begleitet werden. „Wir gewährleisten noch ein Minimum an Betreuung, aber schaffen nicht mehr alles, was wirklich vorgesehen wäre“, sagt Doris Wild. Sie macht sich Sorgen, wenn sie an die Zukunft denkt: Derzeit sind zwar alle Mitarbeiter und alle Betreuten im Sozialzentrum Trayah geimpft, aber nach und nach kommen Pensionierungen, Mutterschaftsurlaube und ähnliches hinzu. Die Mitarbeiter vor Ort müssen umso mehr Einsatz zeigen, das geht mit der Zeit an die Substanz.
Dass die Menschen in den geschützten Werkstätten wieder ihrer Tätigkeit nachkommen können, wird noch eine Weile dauern. Im besten Fall kann das Personal nur langsam wieder aufgestockt werden. „Wir hoffen, dass sich die Lage wieder stabilisiert“, sagt Doris Wild, „das alles wird aber noch länger dauern.“ So hofft sie auch, dass die Politik eine dezentrale Ausbildungsmöglichkeit bietet, damit zumindest in Zukunft der Personalnotstand abgefedert werden kann.
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Kommentare (15)
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olle3xgscheid
Danke an die Politik, des Problem hobm sie jo net……!!
sigo70
War das letztes Jahr auch schon so? Könnte es sein, dass die Regierung mit getroffenen Maßnahmen der Gesundheit des Einzelnen mehr geschadet hat?
„Art. 32 Die Republik hütet die Gesundheit als Grundrecht des Einzelnen und als Interesse der Gemeinschaft und gewährleistet den Bedürftigen kostenlose Behandlung.“
gorgo
Das es diesen Suspendierten und jenen die zu anderen Tricks greifen nicht zu blöd ist?
Könnt ihr euren Kollegen und den Betreuten überhaupt noch in die Augen schauen, wenn ihr dann irgendwann geimpft zurück kommt?