Wie kam Techno nach Südtirol?
Die Kuratorin Frida Carazzato hat für die aktuelle Techno-Ausstellung im Museion die Anfänge der Technomusik in Südtirol recherchiert und in einem „möglichen Archiv“ zusammengefasst. Ein Gespräch über eine Szene, die nie wirklich akzeptiert wurde.
Tageszeitung: Frau Carazzato, waren Sie ein Techno-Fan bevor Sie sich als Kuratorin damit befasst haben?
Frida Carazzato: Nein, es war eine völlig neue Reise für mich. Ich war schon ein paar Mal in einem Club, aber ich kann nicht sagen, dass ich ein regelmäßiger Besucher war.
Techno ist ein urbanes Phänomen, das von Detroit ausgehend über die britische Rave-Szene und Berlin weltweit die Clubs eroberte. Wie und wann kam Techno in das ländliche Südtirol?
Diese Frage habe ich verschiedenen Leuten gestellt, als ich mit der Recherche für die Techno-Ausstellung im Museion begann. Sagen wir, dass diese Art von Musik und Kultur in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu zirkulieren begann und sich in den 90er Jahren verstärkt hat. Das erste Flugblatt, mit dem die Zeitachse von „Ein mögliches Archiv“ im Museion beginnt, stammt aus dem Jahr 1989, was aber nicht zwingend bedeutet, dass es zu diesem Zeitpunkt in Südtirol begann.
Wer waren die Pioniere, die Protagonisten und welche Idee von Techno hatten sie?
„A Possible Archive“ ist, wie der Titel schon sagt, nur ein Ausgangspunkt. Es ist sicherlich nicht die Geschichte des Techno in Südtirol , aber ein erster Versuch, Informationen zu sammeln und die verschiedenen Gruppen zu verbinden. Es ist ein kollektives Archiv. Ich hatte das Vergnügen, mit vielen zu sprechen, die damals die Initiative ergriffen haben und die Protagonisten waren, aber leider habe ich nicht alle interviewt. Wir sind uns der Lücken bewusst. Zu ihnen gehören sicherlich Enrico Sartini mit Athanatos (Tao, Manni, Sartini) und Walter Garber (der mir erzählte, dass er anfangs nicht der einzige „Veloziped“ war – ein Name, der sich von der Sendung ableitet, die bei Radio Tandem verwendet wurde). Auch Alexander Bonsignore (Mr Alex), Cristian Rot oder Dj Corrado, obwohl er der Afro-Szene angehörte. Und dann Hubert Zwerger (alias Bossifunk), der gegen Ende der 90er Jahre aktiv wurde. Aber wir sprechen immer von Techno und House-Partys. Dann kam Werner Gutgsell und brachte mit Audiomat richtig Schwung in die Szene. Als ich Gutgsell bat, mir etwas über die Anfänge zu erzählen, erwähnte er, dass es verschiedene Orte (Brixen, Meran, Bozen, Pustertal, Barbian usw.) und verschiedene Einflüsse gab. Ich möchte zitieren, was er mir schrieb, um diese Vielfalt zusammenzufassen: „Die vorwiegend italienischsprachige House Szene orientierte sich in Richtung der Diskotheken von Verona und Rimini, während die deutschsprachigen, allgemein härtere Musik liebenden Südtiroler Techno- und Goa-Fans waren und lieber auf Raves und Clubs nach Innsbruck, München, Frankfurt, Wien und natürlich Berlin fuhren. In den Anfangszeiten kann man auch noch über Techno oder Tekno im Allgemeinen reden, später haben sich unzählige Strömungen und Subgenres daraus entwickelt unter anderem Tekkno, Tekk, Hardtekk, TechHouse, House, VocalHouse, Minimal, Goa, Psytrance, ….“. Es ging auf jeden Fall darum, das in die Provinz zu bringen, was ringsherum passierte.
Techno, House, Electro und Drum’n’Bass blühten in den Ruinen verfallener Fabrikhallen und leeren Lagerräumen auf, wo die Rave-Szene abfeierte, was vom Niedergang der fordistischen Stadt übrigblieb. Die Voraussetzungen in Südtirol waren jedoch völlig andere. Warum hat Techno dennoch so rasch Fuß gefasst hierzulande?
Im Vergleich zu anderen Städten oder Gebieten fasste Techno in unserer Region auf jeden Fall verspätet Fuß. Es ist wichtig, Techno, die Clubwelt , die Diskotheken – vor allem im italienischen Kontext – von den Raves, auf den ja auch Techno gespielt wird, zu unterscheiden.
Techno-Fans wollen Spaß, sich temporär ausklinken, die tollsten Partys feiern und am Montag pünktlich zur Arbeit erscheinen. Direktor Bart van der Heide nennt Techno den Soundtrack des Eskapismus. Würden Sie auch die Südtiroler Techno-Jünger der 1990er Jahre so beschreiben?
Diese Frage kann ich aus eigener Erfahrung nicht beantworten, aber die Geschichten, die ich gehört habe, sprechen dafür. Ich denke, Eskapismus hat es unabhängig von Kontexten und regionalen Besonderheiten überall gegeben. Techno schafft vorübergehende Gemeinschaften, die aus kleinen Gruppen bestehen können. Man ist ein kollektiver Körper, aber man erlebt diese Erfahrung individuell.
DJ´s und DJanes sind die Götter des Techno. Wenn sie gut sind, produzieren sie Techno live. Gab es hierzulande interessante, experimentierende Figuren oder wurden diese importiert?
Das wäre eine Frage, die man denjenigen stellen sollte, die zur Szene gehörten. Ich würde ich sagen: Es gab beides. Viele haben die Region verlassen, tragen aber weiterhin zum lokalen Diskurs bei. Allerdings haben alle lokalen Organisatoren sehr präzise und gewissenhaft gearbeitet, um international bekannte Künstler hierher zu bringen, aber auch, um die lokale Szene international zu positionieren und zu fördern. Dies wird zum Beispiel immer wieder in der Zeitleiste der Ausstellung deutlich, wo die Sammlung von Flugblättern, Plakaten oder Zeitungsartikeln von eben dieser Verbindung zwischen dem in der Region produzierten und dem europäischen, nationalen und außereuropäischen Techno zeugt.
Techno braucht viel Platz und der ist bekanntlich sehr knapp in Südtirol. Wo fanden die ersten Techno-Veranstaltungen statt?
Anfangs, so wurde es mir erzählt, fand alles in kleinen Räumen, kleinen Clubs oder sogar in Bunkern oder anderen eher abgelegenen Bereichen statt. Es gab natürlich auch die Diskotheken, auch wenn die sich von einem richtigen Techno-Club unterscheiden. In jüngerer Zeit wurden dann Festivals und Veranstaltungen für eine breitere Öffentlichkeit organisiert, die manchmal auch kommerzieller waren. Und nach den 2000er Jahren wurden auch die Jugendzentren aktiv.
Die meisten Party-Orte haben nur kurzzeitig überlebt, siehe die Halle 28 in Bozen. Warum?
Die fehlenden Räume sind das große Thema, das die Techno-Szene in Südtirol prägt. Das lässt sich anhand der in der Ausstellung gesammelten Materialien und der von Nicolò Degiorgis aufgenommenen Fotos leicht erkennen. Ein Aspekt bei der Schließung dieser Räume oder ihrer kurzlebigen Aktivität war und ist der unterschwellige Widerstand, mit dem die Organisatoren ständig konfrontiert waren und sind. Sie werden nicht wirklich akzeptiert, die Techno-Gemeinschaft wird auf eine bestimmte Weise wahrgenommen und die Bedeutung dieser Orte von ihrem sozialen Wert getrennt.
Gab es jemals einen richtigen Techno-Club in der Region?
Wenn man dabei Orte wie das Berliner Berghain im Kopf hat, lautet die Antwort klar: Nein. Aber jeder Kontext bringt seine eigenen Orte und Situationen hervor, wobei das Einzugsgebiet, die Möglichkeiten und die Geografie zu berücksichtigen sind. Die Geschichte einiger Clubs mit eher großstädtischem Flair, ist in der Ausstellung durch die Fotos und Flugblätter erzählt, auch wenn sie leider nur von kurzer Dauer waren. Jetzt gibt es große Aufmerksamkeit für die Basis in Schlanders, über die diese Zeitung geschrieben hat. Sie ist ein echter Inkubator und Verbindungsglied, geboren aus einer Vision, aber auch aus einem stark empfundenen Bedürfnis heraus.
Südtirol war musikalisch Anfang der 1990er Jahre fast zur Gänze in der Hand von Rockbands, Punks, Liedermachern und einigen Jazzern. Mit dem hypnotischen Bass-Drum-Beat des Technos kam ein völlig anderes Genre dazu. Wie haben die unterschiedlichen Kulturen sich vertragen? Gab es überhaupt Kontakte oder hat man sich gemieden?
Über die Südtiroler Musikszene ist viel geschrieben worden und das zu Recht – ein Text unter vielen ist zum Beispiel „Alta Fedeltà“ oder das Buch über die Geschichte von Radio Tandem. Ich würde sagen, die unterschiedlichen Szenen haben parallel existiert. Im Archiv der Ausstellung ist jedoch eine Veranstaltung verzeichnet, die unter dem Titel ‚Final Collapse‘ (organisiert von Patze Faller und Philipp Kieser) einige Szenen zusammenbrachte.
Es war, wie mir die Organisatoren sagten, ein Indoor-Clubfestival, das Punk und Metal mit Drum&Bass und Techno kombinierte.
Sie haben die Entstehung der Techno-Szene in Südtirol für die aktuelle Ausstellung im Museion recherchiert. Was haben Sie herausgefunden, was hat Sie am meisten überrascht?
Was ich heute über Techno, Tekno und den ganzen Rest weiß – eigentlich ist es noch sehr wenig – ist das Ergebnis dieser Forschung und all derer, die ihre Erfahrungen und einen Teil ihrer persönlichen Archive dem Museion zur Verfügung gestellt haben. Für mich, der ich seit 12 Jahren in dieser Gegend lebe, war es eine Möglichkeit, diese auf eine andere Art und Weise kennenzulernen und auch ihre Geschichte auf eine andere Art zu erzählen. Es geht in der Ausstellung und in dem Schwerpunkt Museion Passage wirklich darum, eine Geschichte sichtbar zu machen. Und genau das versuchen wir auch mit den übrigen Veranstaltungen, Terminen und vertiefenden Studien, die das Museum in den letzten Monaten sowohl in Präsenz als auch digital durchgeführt hat.
Die Ausstellung im Museion reflektiert Technogeschichte im Rahmen der Hochkultur, aber es war doch mal Underground und ein soziales Labor, bevor es zum globalen Geschäft wurde.
Das Techno-Projekt des Museion (Ausstellung, Reader, Podcast und öffentliches Programm) will eine Interpretation der Gegenwart durch die Linse der Techno-Kultur ermöglichen. Der Fokus auf Südtirol im Besonderen bietet uns die Möglichkeit, eine andere Erzählung zu schreiben, Menschen, Projekte und Ideen zu erzählen und zu präsentieren, die vielleicht im Verborgenen bleiben würden oder von denen man nie denken würde, dass sie so miteinander verbunden und so global (und international) sind.
Der Siegeszug von Techno erfolgte parallel zum Niedergang der Industrie und dem Aufstieg einer neoliberalen Wirtschaftsordnung. Wird das thematisiert?
Dazu sammeln wir Erfahrungen vor Ort. Im Februar werden auf der Website des Museion Videointerviews mit lokalen Gelehrten, Fachleuten und Musikern an einigen der symbolträchtigsten Orte dieses Diskurses veröffentlicht.
Techno hat mitterweile gut 30 Jahre auf dem Buckel. Wie schaut die Szene heute im Vergleich zu früher aus?
Mir kommt vor, dass sie in guter Verfassung ist, auch wenn sie, wie alle Szenen, stark von der Pandemie betroffen ist. Wie kürzlich auf einer Podiumsdiskussion im Museion erörtert wurde, kann die Zukunft nur durch eine gute Vernetzungsarbeit zwischen allen Akteuren gestaltet werden. Nur so erreicht die Szene Sichtbarkeit und findet die Orte, die sie braucht.
Letzte Frage: Kennen sie den Kater nach einer zweitägigen Party?
Ja, aber den habe ich mir nicht beim Techno-Beat geholt.
Interview: Heinrich Schwazer
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.